KOLUMNE
Als ich nach dem Schlusspfiff des Spiels zwischen dem Hamburger SV und dem FC Augsburg auf dem Weg in die Mixed-Zone des Volksparkstadions war, gingen mir mehrere Fragen durch den Kopf: Wen interessiert dieses Ergebnis eigentlich wirklich? Ist das Spiel, das außerhalb des Rasens gespielt wird, für die kurz-, mittel- und langfristige Entwicklung des Klubs nicht viel wichtiger? Und welche Antworten geben uns die Aussagen des Investors Klaus-Michael Kühne auf die Frage, warum der HSV in den letzten Jahren immer wieder das Bild des Trümmerhaufens abgegeben hat? Trotz unterschiedlicher personeller Konstellationen?
HSV sucht Ersatz für den verletzten Nicolai Müller
Seit ich 2012 anfing den HSV nicht mehr aus der Perspektive des Fans, sondern aus einer anderen Rolle heraus zu beobachten, zeigt die Gesamtentwicklung steil nach unten. Wobei an dieser Stelle ein Ereignis heraus gestellt und nochmals in Erinnerung gerufen werden muss. Es ist der Wendepunkt in der Frage nach Selbstbestimmung und Autorität. Der Sündenfall begann mit der Verpflichtung von Rafael van der Vaart am 31. August 2012. Ein Versuch, Vergangenes mit großem finanziellen Aufwand in die Gegenwart zu übertragen. Ein Fehler, der sich in den kommenden Jahren wiederholen sollte.
Kühnes Einmischung ist Gift für den HSV
Was war passiert? Mithilfe einer groß angelegten Medienoffensive (damals wie heute ein probates Mittel zur Durchsetzung bestimmter Wünsche) gelang es Kühne, den damaligen Vorstand dazu zu bringen, den Niederländer zurück in die Hansestadt zu holen. Obwohl Sportchef Frank Arnesen sich deutlich gegen diese Idee aussprach und Kühnes Geld lieber für andere, jüngere und talentiertere Spieler ausgegeben hätte.
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Doch Kühne ist die personifizierte Hamburger Ungeduld; ein in Nostalgie schwelgender Fan, der sich wünscht, das vieles noch so ist wie zu Zeiten von Uwe Seeler, Horst Hrubesch und Felix Magath. Rafael van der Vaart und die Mannschaft um ihn herum gaben diesen Fans zwischen 2005 und 2008 ein Stück dieses Gefühls zurück, als sie es kurzzeitig schafften, gegen den FC Bayern aufzumucken.
Genau dieses Gefühl und diesen Zustand sollte van der Vaart erneut herbeiführen. Doch seine Verpflichtung leitete sowohl den sportlichen als auch den finanziellen Niedergang ein. Der Fußball hatte sich in der Zwischenzeit verändert. Während andere Klubs moderne Wege fanden, Mannschaften aufzubauen und Erfolg zu haben, kramte der HSV in der Vergangenheit nach alten Lösungen auf neue Herausforderungen. Und fiel damit kräftig auf die Nase.
Nicht nur, dass diese Verpflichtung für ein nachhallendes Beben innerhalb der Führungsgremien gesorgt hatte - es leitete alles Weitere ein, unter anderem die endgültige Demontage Arnesens und die später als eine Reaktion auf das Chaos vollzogene Ausgliederung der Profifußballabteilung. Die wahren Top-Leute der Fußball-Branche schrecken die Verhältnisse in Hamburg seither ab.
All das wäre ohne Kühne vielleicht nicht passiert. Er hat in den letzten Jahren stets eine zentralere Rolle gespielt als es vielen Fans und Mitgliedern recht ist. Jahrelang weigerten sie sich zu glauben, dass der Investor beim HSV mitbestimmen kann. Sie standen ihm eine öffentliche Meinung und Kritik zu, weil sie inhaltlich in vielen Fällen richtig gewesen sein mag. Aber sie vergaßen seinen Anteil am HSV-Untergang zu berücksichtigen. Kühne hat es nämlich geschafft, sich in fast allen Fällen auf die falsche Seite zu stellen. Mal schützte er den höchst umstrittenen Marketingchef Joachim Hilke, dann hielt er an dem völlig gescheiterten Dietmar Beiersdorfer fest, weil er um seinen Einfluss fürchtete, sollte dieser irgendwann durch jemanden ersetzt werden, der sich ihm in den Weg stellt.

Selbst höchst fragwürdige Konstellationen wie die enge Zusammenarbeit mit einem Spielerberater sind in dieser Phase möglich geworden. Bei keinem Klub, der sich auf Ähnliches einließ (zum Beispiel einst in Kaiserslautern), hat diese Symbiose zum Erfolg geführt. Im Gegenteil.
Wenn Kühne nun in Interviews öffentlich zugibt, auf Anraten eines Spielerberaters und auf Wunsch eines Trainers, der eng mit diesem Berater verknüpft ist, zu kooperieren und Vereinspolitik nach ihrem Gusto beeinflusst ("Wenn ihr mit Wood nicht verlängert, finanziere ich Hahn nicht"), dann legt er gnadenlos offen, was längst bekannt, nur noch nicht in dieser Deutlichkeit gesagt worden ist. Der HSV ist labil und erpressbar, er kippt um, wenn der Druck von allen Seiten kommt. Und er schmeißt jedes hehre Ziel über Bord und jeden Angestellten raus, wenn nur stark genug an dessen Stuhl gesägt wird. Schutz davor gibt es nicht.
Die wegen Kühnes Einmischung hervorgerufenen Machtspiele fressen zu viel Energie, als dass der Sport und die wichtigen Inhalte im Mittelpunkt stehen können. Die Ergebnisse sind seit Jahren auf dem Rasen zu bestaunen. Keine unmittelbare, aber eine mittelbare Folge.
Immer wieder das gleiche Muster bei Transfers
Der Ausweg aus der Abhängigkeit hätte darin bestehen können, ein nach klaren Prinzipien und Profilen ausgerichtetes Konzept durchzuziehen. Trotz aller Widerstände und logischer Rückschläge. Keine Spieler mehr, die älter als 23 sind. Keine Spieler mehr, die mehr als Summe X kosten und verdienen. Niemandem hätte die Möglichkeit eingeräumt werden dürfen, den Investor zu nutzen, um die von oben vorgegebene Vereinsphilosophie zu torpedieren. Hoffenheim und Leipzig sind gute Beispiele dafür, wie von Investoren getragene Klubs irgendwann auf eigenen Beinen stehen können.
Sie könnten Spieler für 50, 80 oder 100 Millionen Euro verkaufen. Der HSV wird seine Spieler maximal mit Abfindung los, weil immer nach dem gleichen Muster verfahren wird. Oder glaubt irgendwer, dass ein Kyriakos Papadopoulos, Bobby Wood oder Andre Hahn (die Kühne allesamt befürwortete!) irgendwann mit einem riesigen Gewinn abgegeben werden können? Wer soll diese Spieler mit diesen Gehältern denn nehmen? Oder anders gefragt: Was müssten sie leisten, um von einem Klub umworben zu werden, der ihnen mehr bietet als der HSV?
Kühnes Rundumschlag gegen Vorstand ("Übergangslösung"), Sportchef ("Ihm fehlt die Genialität") und Spieler ("Luschen") muss den Auftakt zur Selbstreflexion darstellen. Welchen Anteil hat er am Chaos? Wem hilft er mit seinen Aussagen? Auf welche Spieler und Verantwortliche bestand er, die sich als Flop heraus gestellt haben? Welche Deals ist er mit dem HSV eingegangen und wer zieht den größeren Nutzen? Er selbst oder sein Lieblingsverein? Und vor allem: Wie gut sind eigentlich seine Berater? War es richtig, sich auf Reiner Calmund und Volker Struth einzulassen? War es richtig, nur den Trainer und sonst niemanden zu stärken?
Will er dem HSV wirklich helfen und ihn nicht regelmäßig erpressen, muss er sein gesamtes Vorgehen in Zukunft gründlich überdenken. Andernfalls ist er nicht nur eine Last und Gefahr für diesen Klub - er bleibt das zentrale Problem.
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