Ex-Barcelona-Juwel Gbenga Okunowo: Im Ascheregen

"Ich wachte so gegen zwei Uhr auf, weil ich ein Geräusch aus Richtung des Nachbarhauses wahrgenommen hatte", erzählt Samuel Gbenga Okunowo an diesem heißen Julitag im nigerianischen Ibadan vor einigen Jahren im Gespräch mit GOAL und SPOX. Er ist verzweifelt, ringt mit den Tränen, weil er das, was sich tags zuvor abgespielt hatte, immer noch nicht realisieren kann. "Es brannte nebenan und ich sprang sofort aus dem Bett, um den Nachbarn zu helfen. Dabei habe ich natürlich nicht bedacht, dass die Flammen auf unser Haus überspringen könnten. Kurz darauf musste ich tatenlos zusehen, wie das Feuer sich ausbreitete. Bevor ich wusste, was da passiert, brannte das Dach nieder, es war so heiß, dass sich niemand in die Nähe begeben konnte."

Okunowo verliert sein komplettes Hab und Gut, wobei zum Glück niemand bei dem Inferno verletzt wird. Was es bedeutet, all das, wofür man jahrelang gearbeitet hat, in Schutt und Asche liegen zu sehen, kann wohl kaum jemand nachfühlen. "Ich konnte nichts mehr retten. Ich bin unendlich traurig. Alles ist weg, mein Pass, alle Papiere, Trophäen, Medaillen, das Feuer hat alles verschluckt." Der einstige Nationalspieler Nigerias steht im wahrsten Sinne vor den Trümmern seines Lebens. Die sinnbildliche Ruine einer bewegenden Vita.

"Muss mich bei meinen Eltern bedanken"

Gbenga erblickt am 1. März 1979 in Ibadan das Licht der Welt, schon im Kindergarten findet er Gefallen daran, sich mit dem runden Leder zu beschäftigen. Bemüht man häufig den Satz, "der nimmt den Ball sogar mit ins Bett", um zu unterstreichen, wie fußballbegeistert jemand ist, trifft die Metapher auf den jungen Okunowo tatsächlich zu.

Nichts und niemand kann den Kleinen von seiner heißgeliebten Kugel trennen. "Ich muss meinen Eltern dafür danken, dass sie mir nie dazwischengefunkt haben. Sie ließen mich einfach spielen. Selbst meine Mutter, die rein gar nichts über Fußball weiß, hat mich immer unterstützt", verrät Okunowo.

In der Schule ragt Gbenga aus seinen Mitschülern deutlich heraus, ist talentierter und ambitionierter als alle anderen in seinem Alter. Sein unermüdliches Training zahlt sich letztlich aus, als der Liberty Boys Club, ein Verein mit Reputation, auf das schnelle Rechtsverteidiger-Juwel aufmerksam wird. Nach kurzer Zeit spricht sich herum, dass dort offenbar ein ganz besonderer Rohdiamant heranwächst, für damalige Verhältnisse beinahe schon revolutionär die Außenbahn offensiv wie defensiv beackert.

OkunowoGetty

Lediglich einer der etlichen Gründe, warum plötzlich jeder Eliteklub des Landes um die Dienste Okunowos buhlt. 1995 zählt der Youngster zur U17-Delegation der Super Eagles bei der Weltmeisterschaft in Ecuador. Ist Nigeria mit seinen Nachwuchsteams zu dieser Zeit normalerweise Mitfavorit auf den Titel, scheiden die Afrikaner schon im Viertelfinale gegen den Oman aus. Nur wenige wissen in Südamerika zu gefallen. Einer der Lichtblicke ist Okunowo.

Im Anschluss an das Turnier, im Alter von 16 Jahren, zieht es Gbenga zum Shooting Stars Sports Club, dem absoluten Dominator in der heimischen Liga, wo er sich auf der Stelle einen Platz in der Startelf sichert. Zu diesem Zeitpunkt beeindruckt er die Massen vor allem mit seiner unglaublichen Physis. Verletzungen und Blessuren suchen Okunowo nicht heim. Noch nicht. Mit Nigerias U20 reist der Emporkömmling als 18-Jähriger zum UEFA-CAF Meridian Cup nach Portugal. Neben den Adlern treten Ghana, die Elfenbeinküste, Guinea aus Afrika sowie Griechenland, Frankreich, Spanien und der Gastgeber aus Europa an. Die Berufung, die seine Karriere so richtig ins Rollen bringen sollte.

Duell mit Xavi, Angebot von Barcelona

Okunowo kämpft sich mit seiner Mannschaft bis ins Finale vor, wo Nigeria auf Spanien, unter anderem mit Xavi, trifft. Die Afrikaner setzen sich in einem legendären Endspiel mit 3:2 gegen die Iberer durch, Gbenga sorgt mit einer Glanzleistung für Furore, die anwesenden Scouts versetzt er ins Staunen.

Allen voran die Talentspäher des FC Barcelona wollen keine Zeit verlieren, werden nur eine Stunde nach der Begegnung bei Okunowo vorstellig. Der Deal: Er darf ein einwöchiges Probetraining bei den Katalanen absolvieren. Mit ordentlich Selbstbewusstsein ausgestattet und der Gewissheit, die eigene Familie hinter sich zu haben, weiß der Teenager zu gefallen, die Blaugrana zahlen eine – aus heutiger Sicht betrachtet schier lächerlich geringe Ablösesumme - von umgerechnet 20.000 Euro an die Shooting Stars.

Nigerias neues Sternchen am Fußballhimmel wird zunächst für die zweite Mannschaft verpflichtet, nur ein Jahr später, im Vorfeld der Saison 1997/98, beruft Barcas Trainer Louis van Gaal Okunowo in den Profi-Kader. Auf sein Debüt im Starensemble muss er allerdings etwas warten, im August 1998 steht Gbenga in der Startelf gegen Racing Santander, hält keinem Geringeren als Luis Figo auf der rechten Bahn den Rücken frei.

Sergi Okunowo Salihamidzic Barcelona Bayern Munchen Champions League 04111998Getty Images

Ganze 21-mal kommt er für das spanische Schwergewicht in dieser Spielzeit zum Einsatz, nur sechsmal davon fungiert er als Einwechselspieler. Den größten Moment seiner Karriere erlebt der Defensivmann drei Monate nach seinem Auftakt, als Manchester United im Camp Nou gastiert. Nach aufreibenden 90 Minuten steht ein 3:3 auf der Anzeigetafel, Okunowos Gegenspieler Dwight Yorke erzielt in der Offensivschlacht einen Doppelpack.

"Weil wir so viele verletzte Spieler hatten, wurde ich vom Trainer zurück beordert", erinnert sich Gbenga im Gespräch mit der nigerianischen Zeitung This Day. Er schildert weiter: "Ich habe vor dieser Partie unendlich viel Druck verspürt, vor allem, weil ich wusste, dass ich mit Yorke und Andy Cole auf die beiden besten Stürmer überhaupt treffen würde. Ich habe mein Bestes gegeben und war am Ende froh, dass wir nicht verloren haben."

Van Gaals Holland-Bande

Niemand ahnt seinerzeit, dass es fortan nur noch bergab gehen würde. Nach Okunowos erster Runde, im Sommer 1999, scharrt van Gaal weitere Landsmänner um sich. Kritiker sind der Meinung, der Coach bevorzuge die Niederländer. Van Gaals Entscheidung, welcher Spieler auf der Rechtsverteidiger-Position den Vorzug erhalten soll, fällt daher auch wenig überraschend zugunsten von Michael Reiziger aus, Gbenga gerät aufs Abstellgleis, wird zu Benfica nach Lissabon ausgeliehen.

Das Leihgeschäft mit den Portugiesen bringt allerdings nicht die erhoffte Weiterentwicklung, lediglich zehn Spiele bestreitet Okunowo für die Hauptstädter, ehe van Gaal den Abwehrmann wieder nach Barcelona beordert. Mit neuem Mut, neuer Ambition, sich jetzt endgültig bei Barca durchsetzen zu wollen, nimmt der mittlerweile 21-Jährige den Konkurrenzkampf an. Doch dann zieht sich Gbenga, er, der nie mit Versehrungen zu tun hatte, einen schwerwiegenden Kreuzbandriss zu. Nach langer und leidiger Reha wird er abermals verliehen, diesmal zum Zweitligisten CD Badajoz. 

Weil der einstige Wunderknabe nicht mehr in die Spur findet, gibt Barcelona ihn ablösefrei an den griechischen Klub Ionikos ab, zwei Jahre später geht es weiter zu Dinamo Bukarest, eine weitere Saison danach steht er bei KF Tirana in Albanien unter Vertrag, wo es ihn ebenfalls nur eine Spielzeit hält. Okunowo avanciert zum Wandervogel: Über Metalurg Donezk landet er für zwei Jahre auf den Malediven, um 2009 beim englischen Amateurklub Waltham Forest anzuheuern.

OkunowoGetty

Nach seinem Weggang von Barçabestreitet Gbenga in acht Jahren nur 20 Pflichtspiele. Wieder in Nigeria, in seiner Heimatstadt angekommen, der eingangs erwähnte Brand, der seine gesamten Habseligkeiten pulverisiert. In der dunkelsten Stunde werden seine Gebete allerdings erhört: Als Barca-Verantwortliche von dem Schicksalsschlag lesen, entschließt sich Okunowos Ex-Klub dazu, seinem ehemaligen Schützling finanziell unter die Arme zu greifen.

Die Erinnerung bleibt

Mittlerweile arbeitet das einstige Super-Talent als renommierter Scout, hilft aussichtsreichen Kickern aus seiner Heimat, den Sprung nach oben zu schaffen. "Ich helfe vielen nigerianischen Vereinen, gute Spieler zu bekommen. Leider herrscht in diesem Land, auch im Fußball, zu viel Korruption. Ich hoffe einfach nur, dass sich das irgendwann ändert."

Und so wendet sich am Ende einer langen Reise das Blatt doch noch zum Guten. Der Mann, der vor wenigen Jahren im Ascheregen stand, gezwungen war zuzusehen, wie die materiellen Andenken seiner Karriere in der Flammenhölle vernichtet wurden, er ist seiner Leidenschaft treugeblieben. Das, was bleibt, ist die Erinnerung an die kurze, glorreiche Zeit. Daran, mit einigen der besten Spieler aller Zeiten auf dem Platz gestanden zu haben. Etwas, das kein Feuer der Welt auslöschen kann.

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