Almuth Schult Germany Women's World CupGetty Images

Deutscher Frauenfußball wird nach WM in die Mangel genommen: DFB hat sich "zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht"


HINTERGRUND

Der Ton wird rauer. Die Zeit des Bedauerns über das vorzeitige WM-Aus und der beschwichtigenden Parolen ist vorbei, nach Abschluss der Endrunde wird der deutsche Frauenfußball mächtig in die Mangel genommen. Fehlende Investitionen, verschlafene Entwicklungen, kaum Professionalisierung - so lauten die Vorwürfe in Richtung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).

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Die Liste der Kritiker ist lang. Die Europäische Fußball-Union (UEFA), Bundesliga-Bosse und Ex-Nationalspielerinnen stellen dem Verband ein schlechtes Zeugnis aus. Auch die Vereine kommen nicht gut weg. "In Deutschland gibt es momentan zu wenige Investitionen, vor allem die professionellen Männerklubs sollten sich Gedanken machen", sagte UEFA-Frauenchefin Nadine Keßler bei Spiegel Online: "Und der DFB muss vorgeben, welche Entwicklung Deutschland als ganzes Konstrukt gehen will."

Die UEFA, die sieben von acht WM-Viertelfinalisten stellte, zeigt den Weg. Ab dem kommenden Jahr wird jeder nationale Verband 150.000 Euro pro Jahr für die Entwicklung des Frauenfußballs erhalten, bisher waren es 100.000 Euro. Auch in China wird geklotzt. Der Online-Gigant Alibaba steckt in den kommenden zehn Jahren 130 Millionen Euro in den heimischen Frauenfußball.

Kellermann: DFB hat sich "zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht"

Ralf Kellermann wertet das als eindeutige Signale. Nach Meinung des Sportchefs von Double-Gewinner VfL Wolfsburg sind der "DFB und die Liga gefordert", um die Lücke zur Weltspitze wieder zu schließen. "Ohne Investitionen und weitreichende Konzepte - damit meine ich unter anderem die Trainerausbildung in den Ligen sowie im Nachwuchsbereich, strengere Zulassungskriterien für die Liga und deren konsequente Umsetzung, TV-Präsenz und Marketing - sowie eine klare Positionierung der zukünftigen DFB-Spitze zum Frauenfußball wird diese Lücke auch nicht geschlossen werden können", schrieb Kellermann im kicker.

Sein Vorwurf an den DFB ist heftig: "In den vergangenen Jahren hat man sich zu sehr auf den Erfolgen ausgeruht und den Prozess, der sich schon länger angedeutet hat, nicht wirklich ernst genommen."

Deutschland DFB Frauen

Siegfried Dietrich zeigt sich zwar etwas moderater ("Ich spüre beim DFB die Ernsthaftigkeit"), legt den Finger aber auch in die Wunde. "Es ist offensichtlich, dass in anderen europäischen Verbänden und Ligen viel investiert und für den Frauenfußball getan wird", sagte der Manager des siebenmaligen Meisters 1. FFC Frankfurt der FAZ: "Allen Beteiligten und Verantwortlichen muss bewusst werden, wenn wir das Feld, das uns zum Teil links und rechts überholt hat, wieder einholen wollen, dass wir dann in allen Bereichen Gas geben müssen."

Nach Ansicht Dietrichs sind vor allem die Männer-Bundesligisten gefordert. "Mit Blick auf den nationalen und internationalen Wettbewerb sind die Voraussetzungen und Strukturen bei den Männervereinen für den Spitzen-Vereinsfrauenfußball der Zukunft das Maß aller Dinge", sagte der Bundesliga-Sprecher, dessen Klub zukünftig unter dem Dach von Eintracht Frankfurt zu Hause sein wird.

Künzer: "Der wahre Wille muss da sein"

Die bloße Aufnahme der Frauen bei den großen Männervereinen sieht Nia Künzer allerdings kritisch. "Das allein reicht nicht", betonte die Weltmeisterin von 2003 in der ARD: "Es müssen auch die Ernsthaftigkeit und der wahre Wille da sein, den Frauenfußball voranzutreiben - nicht nur bei den Vereinen, auch beim DFB."

An diesem Willen zweifeln zahlreiche Beobachter. Viel mehr als eine Absichtserklärung war nach dem Viertelfinal-Aus der Mannschaft von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bisher nicht zu vernehmen. "Wir wollen mit den Frauen zurück zur Weltspitze", sagte Joti Chatzialexiou (sportlicher Leiter der Nationalmannschaften) der Frankfurter Rundschau: "Das ist unser Anspruch, und das sind wir auch dem deutschen Fußball aufgrund seiner Kultur und Vergangenheit schuldig."

Zuvor ist der DFB seinen Mitgliedern allerdings einen Präsidenten oder eine Präsidentin schuldig. Ob der neue Boss den Frauenfußball zur Chefsache macht, ist sicher eine der entscheidenden Zukunftsfragen.

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