Der Mittelfeldspieler erzielte in der 89. Minute den Siegtreffer für Les Bleus beim 2:1 gegen Rumänien und verließ weinend das Feld, als er in der Nachspielzeit ausgewechselt wurde. Auch auf der Ersatzbank fing er sich lange Zeit nicht – zu überwältigend war für ihn allem Anschein nach die Tatsache, dass er gerade für die Entscheidung gesorgt hatte. Gleichzeitig veranschaulichte die Szene aber auch die Tatsache, dass auf dem Team von Trainer Didier Deschamps vor eigenem Publikum ein besonderer Druck lastete und vor dem zweiten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Albanien (ab 21.00 Uhr im LIVE-TICKER) immer noch lastet.
Titel-Hattrick?
Denn ein Blick in das Fußball-Geschichtsbuch macht klar, wie es aus Sicht der Franzosen für die eigene Mannschaft laufen muss: 1984 fand die EM in Frankreich statt – und der Gastgeber setzte sich, angeführt von Michel Platini, durch. 1998 fand die WM in Frankreich statt – und wieder war es der Ausrichter, der zum Schluss, angeführt von Kapitän Didier Deschamps, den Pokal in die Höhe recken durfte. In diesem Sommer soll es den Titel-Hattrick vor eigenem Publikum geben. Und niemand weiß im Lager der Grande Nation besser als Didier Deschamps, was es braucht, um am Ende auch erfolgreich zu sein.
Der ehemalige Mittelfeldspieler ist nun der Coach – und er macht das, was auch der deutschen Mannschaft angeblich am meisten auf dem Weg zum WM-Triumph geholfen hat: Er legt sein ausschließliches Augenmerk darauf, dass für Frankreich ein echtes Team auf dem Platz steht.
GOALDas, was bei den früheren WM-Titeln Deutschlands 1954 als "der Geist von Spiez" oder 1974 als "der Geist von Malente" bezeichnet wurde, das Wir-Gefühl, das beim DFB-Team vor zwei Jahren allem Anschein nach im Campo Bahia entstand – das ist in Frankreich der "Geist von Clairefontaine". Das Ausbildungszentrum des Verbandes ist seit 1988 die Heimat der französischen Nationalelf, die dort in der Nähe von Paris traditionell ihr Quartier bezieht.
"Dieser Ort ist ein mythischer Ort. Aber jetzt liegt es an uns, etwas zu gewinnen", sagte Stürmer Olivier Giroud dem Guardian vor Turnierbeginn.
Die Erinnerungen an den WM-Triumph von 1998 sind bei den meisten Franzosen noch vorhanden, als Stars wie Zinedine Zidane, Laurent Blanc, Didier Deschamps oder Thierry Henry die Nation in einen Freudentaumel stürzten. "Jetzt ist es an der Zeit für die aktuelle französische Generation, Geschichte zu schreiben", forderte Giroud.
"Positiver Teamgeist"
Und mit diesem Auftrag ist Trainer Didier Deschamps angetreten – und er verlässt sich dabei auf seine eigenen Erfahrungen des Jahres 1998. "Die Integration der neuen Spieler ist durch den positiven Teamgeist viel leichter geworden", veranschaulicht Giroud eine der entscheidenden Veränderungen. Deschamps setzt auf Leute wie Paul Pogba, Dimitri Payet, Anthony Martial oder Kingsley Coman – Spieler, die sich im Nationalteam einen großen Namen machen und unbedingt etwas gewinnen wollen.
Potenzielle Störungen durch hausgemachte Konflikte wollte Deschamps schon im Vorfeld verhindern und entschied sich deshalb dafür, mit Karim Benzema seinen besten Stürmer nicht zu nominieren. Die Auswirkungen des Skandals um die angebliche Erpressung von Mathieu Valbuena mit einem Sex-Video waren dem Trainer zu ungewiss, alles wird bei den Franzosen dem Mannschaftsgedanken untergeordnet. Auch angebliche "Problem-Profis" wie Samir Nasri und Hatem Ben Arfa ließ der Übungsleiter zuhause. "Die positive Stimmung, die Didier Deschamps seit seinem Amtsantritt geschaffen hat, hat wirklich geholfen", fasste Olivier Giroud das Ergebnis dieser Entscheidungen zusammen.
"Wir fühlen uns, als ob wir dieses 1998-Ding noch einmal erleben", meinte Außenverteidiger Bacary Sagna bei einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche. Seine Mannschaft hat mit dem Trainer den Experten dabei, der weiß, wie man den Weg zum Titel beschreiten muss. Und wenn das Team diesen Weg erfolgreich bis zum Ende gehen sollte, dann werden wohl noch mehr Franzosen als nur Dimitri Payet Tränen in den Augen haben.
