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Florian Thauvin: Vom Flop im Smoking zum Europa-League-Helden?


HINTERGRUND

Es gibt nur eine Gelegenheit, einen ersten Eindruck zu hinterlassen. Aber man kann diesen Eindruck mit großer Anstrengung immerhin noch korrigieren. Florian Thauvin weiß das.

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Als er als Neuzugang von Newcastle United im August 2015 zehn Tage nach seinem Transfer von Olympique Marseille zu seinem ersten Liga-Spiel in den St. James' Park kam, tat er das auf ganz besondere Art und Weise: Lächelnd lief er an der Seitenlinie in einem schwarzen Smoking entlang, eine Fliege um den Hals gebunden, die Luxus-Kulturtasche locker in der Hand. Die Fotografen nahmen das Motiv mit Kusshand und verbreiteten das Bild in ganz England - und ganz England fragte sich: Wer ist dieser selbstbewusste 22-Jährige, der sich allem Anschein nach gerne in den Mittelpunkt stellt? Der erste Eindruck war jedenfalls gemacht.

Thauvin enttäuscht bei Newcastle

Ob Thauvin dem englischen Humor seiner Mitspieler aufgesessen war, die ihm eventuell erklärt hatten, dass ein derartiges Auftreten zum Spiel im Mutterland des Fußballs durchaus üblich sei, ist nicht geklärt. Thauvin jedenfalls verteidigte seine Kleiderwahl: "In England muss man zu jedem Heimspiel im Anzug kommen“, sagte er L’Equipe und war sich spätestens mit dieser öffentlichen Antwort darüber bewusst, dass ihn dieses Thema möglicherweise noch einmal einholen wird.

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Großer Auftritt beim ersten Heimspiel: Florian Thauvin vor dem Newcastle-Duell mit Arsenal

Denn leider aus Newcastle-Sicht hinterließ Thauvin nur neben dem Platz einen glänzenden Eindruck. Auf dem Feld erfüllte der 18-Millionen-Euro-Neuzugang die Erwartungen in keinster Weise: Nur 13-mal durfte er in der Premier League ran, drei Einsätze von Beginn an sprechen dafür, dass sich alle Beteiligten mehr vom ersten Auslandsabenteuer des Franzosen erhofft hatten. "Der kommt in einem Smoking! Das ist ein ernstes Geschäft, was wir hier machen. Das war am Anfang der Saison vielleicht witzig, aber jetzt ist es nicht mehr lustig", wetterte Newcastles Klub-Legende Alan Shearer bei BBC schon einen Monat nach Thauvins Debüt, als der Franzose wieder einmal enttäuscht hatte.

Nach nur einem halben Jahr war schon wieder Schluss in England für Thauvin – es ging zurück zu Olympique Marseille, erst zweimal auf Leihbasis, ehe im vergangenen Sommer die feste Rückkehr nach Südfrankreich perfekt gemacht wurde. Und dort hat er zuletzt einen ganz anderen, viel besseren Eindruck hinterlassen.

Kritik an Thauvin: "Erbse als Gehirn"

Dabei hatten die Smoking-Bilder in seiner Heimat zunächst durchaus bei vielen Fans und Experten das Bild bestätigt, das sie von Thauvin hatten. Der Offensivmann galt immer schon als, vorsichtig formuliert, schwieriger Charakter. Dieser Eindruck hatte sich vor allem mit seinem Verhalten im Sommer 2013 verfestigt, als er seinen Wechsel von Lille nach Marseille mit einem Streik erzwang. Erst ein halbes Jahr vorher hatte er sich für die Nordfranzosen entschieden, war dann nach Bastia ausgeliehen worden. Im August machte er dann klar, dass er Lille sofort wieder verlassen wollte, ohne eine Minute für den Verein auf dem Platz gestanden zu haben.

Es waren diese Allüren, die viele Leute in Frankreich verzweifeln ließen und Thauvin in eine Riege mit dem damaligen extravaganten PSG-Star Zlatan Ibrahimovic stellten. "Ibrahimovic ist genau wie Thauvin. Die brauchen mal einen harten Schlag", sagte Ex-Nationaltorhüter Jean-Paul Bertrand-Demanes. "Wenn man sich anschaut, was Thauvin mit Lille gemacht hat, würde das jeder auch so sehen. Solche Spieler haben Erbsen als Gehirn und sie behandeln andere Leute wie Idioten", regte er sich auf.

Aufschwung unter Marseille-Trainer Rudi Garcia

Nach seiner Rückkehr nach Marseille lief es für Thauvin zunächst unter Trainer Michel überhaupt nicht. "Das ist nicht der Spieler, den ich haben wollte", hatte der Coach bekannt und damit war klar, dass es für den Flügelspieler bei OM nicht besser laufen würde als bei Newcastle. Als Michel Geschichte war und dessen Nachfolger Franck Passi durch Rudi Garcia im Oktober 2016 ersetzt wurde, war das der Startschuss für Thauvin: Er begann, an seinem zweiten Eindruck zu arbeiten – und der ist bislang ebenso glänzend wie sein Smoking in der Premier League.

GFX INFO THAUVIN GERMAN

15 Tore und neun Vorlagen lieferte er in der abgelaufenen Spielzeit ab – und diese starken Werte toppt er noch einmal in der aktuellen Saison. 34 Scorer-Punkte in 34 Liga-Spielen machen ihn zum überragenden Akteur bei Marseille und gleichzeitig auch zum Hoffnungsträger für das Finale in der Europa League gegen Atletico Madrid (Mi., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER). Er ist neben den Barca-Stars Lionel Messi und Luis Suarez der einzige Spieler in Europas fünf Top-Ligen, der mehr als 20 Tore und mehr als zehn Assists vorweisen kann.

"Wenn ich jetzt den richtigen Weg einschlage, dann kann ich alles noch einmal ändern. Ich darf mir selbst nur nicht zu viel Druck machen", hatte er nach seiner Rückkehr zu OM gesagt. Den ersten Eindruck kann Florian Thauvin nicht mehr ändern. Aber wenn er den Eindruck, den er aktuell hinterlässt, auf der großen Europapokal-Bühne am Mittwoch bestätigt, dann darf er das aus Sicht der Marseille-Fans mit Sicherheit feiern – vielleicht auch mit einem Auftritt im Smoking beim nächsten Heimspiel.
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