FC Bayern: Jonathan David als Lösung für das Lewandowski-Problem?

Wer wissen möchte, wie gut dieser Jonathan David ist, muss nur beim VfL Wolfsburg nachfragen - oder diesen Artikel lesen. In der Champions-League-Gruppenphase der Saison 2021/22 spielte der 22-Jährige die Wölfe schwindelig. Sowohl beim 0:0 im Hinspiel als auch beim 3:1-Erfolg in Wolfsburg war er einer der Spieler, die den VfL vor die größten Probleme stellten.

Der in New York geborene Kanadier hat für die kanadische Nationalelf bereits 30 Spiele absolviert und dabei 20 Treffer erzielt. Nach kleinen Startschwierigkeiten lief es für den Angreifer auch bei Lille rund. 13 Tore und drei Assists steuerte er in der Meistersaison 2020/21 bei, in der abgelaufenen Saison reichte es zu 15 Toren in der Liga.

Nun soll der FC Bayern München wieder mal interessiert sein. David wird als Nachfolger von Robert Lewandowski gehandelt. Schaut man auf die bisher genannten Zahlen, ist Skepsis wohl berechtigt. Immerhin erzielte der Pole für Bayern zuletzt 50 Treffer in 46 Einsätzen.

Löst man sich allerdings von diesen Zahlen und schaut ein wenig unter die Oberfläche, gibt es viele Aspekte, die einen möglichen David-Transfer für die Münchner attraktiv machen könnten.

Robert Lewandowski und eine unersetzbare Torquote

Daten von CreateFootball zeigen, dass sich David mehr am Spiel beteiligt als der zweimalige FIFA-Weltfußballer. In seiner Debütsaison für Lille spielte er 20 Pässe pro 90 Minuten, in der abgelaufenen Saison waren es 19. Lewandowski kam zuletzt bei den Bayern auf 20, war allerdings Teil eines Teams, das insgesamt deutlich häufiger und länger den Ball hatte. Lille kam im Schnitt auf 51 Prozent Ballbesitz, die Bayern auf 64.

Jonathan David Lille 2021-22Getty Images

Der Anteil am Kombinationsspiel und am Ballvortrag ist beim Kanadier in Bezug auf sein Team also größer. David weicht innerhalb eines Spiels auch häufiger auf die Halbpositionen aus, um sich den Ball tiefer abzuholen und mit Tempo auf die gegnerische Kette zuzugehen. In der Offensive ist er wegen seiner enormen Geschwindigkeit und seiner technischen Fähigkeiten flexibel, was seine Rolle angeht.

Für Lille agierte er häufig als eine Art Schattenstürmer, was womöglich auch die für einen Neuner nicht überragende Torquote erklärt. Während Lewandowski pro 90 Minuten in der vergangenen Saison 4,3-mal abschloss und auf einen Expected-Goals-Wert (xG) von 0,93 kam, lag David bei rund 1,9 Schüssen und 0,4 xG.

Der Kanadier ist umtriebiger, arbeitet mehr dafür, dass andere Spieler in seinem Team gut aussehen. Gleichzeitig hat er einen sehr guten Abschluss. Mit einer Chancenverwertung von 37 Prozent im ersten und 32 Prozent im zweiten Jahr übertrifft er Lewandowskis bei Bayern zuletzt erreichte 30 Prozent.

Jonathan David: Dieses Bayern-Problem könnte er lösen

David bewegt sich im letzten Drittel sehr klug, kann nicht nur mit Tempo und Raum gefährlich sein, sondern auch unter Druck die Bälle festmachen und weiterverteilen. Obwohl er nicht sehr groß ist (1,77 Meter), kann er sich körperlich fast immer durchsetzen. Neben seinen Qualitäten im Eins-gegen-Eins und im Kombinationsspiel sowie seinem explosiven Antritt ist er auch gegen den Ball ein sehr aktiver Spieler.

Pressing und Gegenpressing liegen ihm. Er läuft nicht nur intensiv, sondern auch klug an. Im Schnitt setzte er seine Gegenspieler 18,2-mal pro 90 Minuten unter Druck (Saison 21/22). Lewandowski kam im selben Zeitraum auf 9,8-Drucksituationen - allerdings ist auch hier wichtig, dass Bayern seltener ohne Ball war als Lille.

Trotzdem ist es auffällig, wie aggressiv David in den richtigen Momenten sein kann. Er wägt klug ab, ob ein Pressingauslöser sinnvoll ist oder nicht. Beim FC Bayern könnte er gemeinsam mit Thomas Müller dafür sorgen, dass Pressing und Gegenpressing wieder besser funktionieren.

Julian Nagelsmann müsste viel anpassen

Fakt ist aber auch: Julian Nagelsmann müsste den Angriff beim FC Bayern im Vergleich zur Lewy-Ära umbauen und seine Spielweise neu ausrichten. Bis zum Sommer war das System darauf ausgelegt, Lewandowski in möglichst gute Abschlusssituationen zu bringen. Er war der Zielspieler in einer hochkarätig besetzten Offensive. Alle anderen Offensivspieler waren häufig Zuarbeiter. Ob David als Zielspieler taugt, lässt sich nur schwer beurteilen. Lille spielt einen gänzlich anderen Fußball, der vor allem auf offensive Umschaltmomente setzt.

Jonathan David, LOSC vs OMGetty Images

Da war der Angreifer sehr stark. Mit viel Raum war er kaum aufzuhalten, immer wieder lief er die richtigen Räume mit Tempo an und sorgte so für Gefahr im Angriffsdrittel. Bei seiner Station beim KAA Gent sowie in seiner zweiten Saison bei Lille, als sich Gegner deutlich häufiger auf die Spielweise des OSC einstellten, konnte er aber seine Variabilität zeigen.

David ist erst 22 und sehr anpassungsfähig. Seine Statur sowie seine saubere Ballverarbeitung sind gute Voraussetzungen dafür, dass er seine Qualität auch mit weniger Raum unter Beweis stellen kann. Zumal er keinen klar erkennbaren starken Fuß hat, sondern mit beiden gut kicken kann.

FC Bayern: Braucht es einen weiteren Schattenspieler?

Die größte Frage, die sich der FC Bayern stellen muss, ist, ob man ihm den Schritt von einem Schattenspieler hin zu einem häufiger im Mittelpunkt stehenden Angreifer zutraut. Mit Thomas Müller, Kingsley Coman, Sadio Mané, Leroy Sané und Serge Gnabry haben die Bayern schon viele Spielertypen, die rund um einen Zielspieler sehr gut funktionieren. Ein System mit einer dynamisch besetzten Offensive wäre denkbar, aber braucht es dafür einen weiteren Spieler?

David als einen weiteren Supporter zu kaufen, würde wohl keinen Sinn ergeben. Zumal Lille laut französischen Medienberichten eine Ablösesumme von mehr als 50 Millionen Euro aufrufen soll.

Es gibt viele positive Aspekte, die einen Transfer auch für die Bayern reizvoll machen würden. Doch der Anpassungsprozess könnte für beide Seiten zu groß sein. David ist trotz guter Physis nicht der Typ, den man an weniger guten Tagen mit den berühmten Brechstangen-Flanken füttern kann. Er könnte letztendlich zu umtriebig für den Spielstil der Bayern sein.

Zumindest in Wolfsburg würde man sich wohl freuen, wenn der Kanadier nicht in die Bundesliga wechselt.

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