HINTERGRUND
Die Presseräumlichkeiten in der Allianz Arena glichen an diesem Dienstagmittag einem Bienenstock. Emsige Journalisten liefen umher, einige währenddessen geschäftstüchtig telefonierend, englische, spanische und deutsche Wortfetzen vermischten sich zu einem bunten, lauten Potpourri. Hier noch eine Kamera vernünftig platziert, dort noch schnell ein Mikrofon in den optimalen Winkel manövriert, fertig war das Bühnenbild für die beiden Hauptdarsteller Jupp Heynckes und Jerome Boateng.
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Als Letzterer die kleine Empore betrat, sich lässig auf seinem Stuhl niederließ, stylish mit einem Exemplar seiner eigenen Sehhilfen-Kollektion bebrillt, und den Blick im Raum schweifen ließ, war allen Anwesenden klar: Dort oben sitzt sie, die personifizierte Gelassenheit - und das vor einem dieser viel zitierten Endspiele, dem ersten von zwei Duellen mit dem zwölffachen Champions-League-Sieger Real Madrid und seiner schillernsten Figur Cristiano Ronaldo.
Gleich die erste Frage zielte dann auch auf den unangefochtenen Superstar im königlichen Edel-Kader ab. "Er ist ein unglaublicher Athlet, das sieht man auch immer, wenn er Tore schießt und das Trikot auszieht", antwortete der Innenverteidiger mit der typischen boatengschen Ruhe in der Stimme, ohne auch nur den Anflug eines Lächelns über sein Gesicht huschen zu lassen. Vereinzeltes Kichern bei der Zuhörerschaft, obwohl dies gar nicht als Scherz gemeint war. Er ergänzte diesbezüglich: "Er hat fast keine Schwächen, ist sehr, sehr kopfballstark. Wir können ihn nur als Team aufhalten."
Cristiano Ronaldo, der Bayern-Schreck
"Aufhalten, ausschalten, stoppen", war im Zusammenhang mit CR7 dieser Tage in München häufiger als Marschroute zu vernehmen. Also quasi das bewerkstelligen, was vor rund einem Jahr nicht gelungen war, als der Portugiese in zwei Viertelfinal-Spielen der Königsklasse fünf der sechs erzielten Tore für seine Blancos gegen die Bayern beisteuerte. "Man sollte nicht mehr mit der Vergangenheit hadern, sondern sich auf die zwei kommenden Spiele konzentrieren", erklärte Boateng im Hinblick auf das Ausscheiden in der vergangenen Saison und prophezeite: "Wir wissen, dass es nicht einfach wird, Real Madrid hat zweimal in Folge die Champions League gewonnen. Aber wir haben ein Team, mit dem wir sie schlagen können."
Dass der deutsche Rekordmeister aktuell womöglich tatsächlich höher gehandelt wird als in den Jahren zuvor, hat mehrere Gründe, ist mit etlichen kleinen Rädchen verbunden, die ineinander greifen. Eines dieser metaphorischen Rädchen ist die Form Boatengs, die seit Heynckes' Rückkehr aus der wohlverdienten Rente immer stärker an ebenjene aus dem Triple-Jahr erinnert.
Goal"Nur mit solchen Spielern kann man in der Champions League etwas gewinnen. Er hat mit vielen anderen Jungs großen Anteil an unserem Erfolg", lobte auch Heynckes nur wenige Minuten, bevor Boateng seine Einschätzungen auf der Pressekonferenz zum Besten gab. Der 72-jährige Übungsleiter der Münchner sagte außerdem: "Als ich kam, war er nicht fit, verletzungsanfällig. Wir haben mit dem gesamten Trainerteam daran gearbeitet, dass seine physische Verfassung besser und seine Verletzungsanfälligkeit weniger wurde. Ich muss sagen, dass Jerome fast wieder die Top-Form hat, die er 2013 hatte."
Genau diese Form ist gegen Real notwendig. Wenn Boateng bemüht, das Team könne Ronaldo nur gemeinsam aufhalten, dann weiß er natürlich ganz genau, auf welche beiden Spieler es dennoch ganz besonders ankommt, will man dem Überflieger die Stirn bieten. Auf Mats Hummels und eben ihn selbst. Vor allem in Anbetracht dessen, dass der fünfmalige Weltfußballer aller Voraussicht nach nicht über die Außen kommen wird, sondern an vorderster Front im Zentrum agieren dürfte.
Jerome Boateng: "Ich hatte eine schwere Zeit"
"Er ist einfach ein Weltklasse-Stürmer. Es macht immer Spaß, gegen ihn zu spielen. Nur so verbessert man sich", lobte Boateng seinen Rivalen erneut, ehe er sich zu seiner eigenen Leistunssteigerung in dieser Saison äußerte: "Ich hatte eine schwere Zeit wegen Verletzungen und musste hart arbeiten, um wieder da zu sein, wo ich jetzt bin. Der Trainer hat ein sehr gutes Gespür und mich in Spielen draußen gelassen, in denen ich lieber gespielt hätte. Er hat mir sehr geholfen, seitdem er da ist. Es freut mich, dass ich jetzt in Top-Verfassung bin und der Mannschaft in wichtigen Spielen helfen kann." Dass Boateng bei diesen Worten keine Miene verzog, muss vermutlich nicht separat erwähnt werden.
Und so cool, wie er die Bühne betreten hatte, verließ der hochgewachsene Abwehrmann den Raum auch wieder. Schlendernd, ausgeglichen, optimistisch. Abschließend war er noch einmal auf eine Aussage von Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge angesprochen worden, der Boateng in schwierigeren Zeiten geraten hatte, mal wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren. "Ich habe damals meine Meinung dazu gesagt. Jetzt bin ich einfach nur froh, dass ich zu meiner Form zurückgefunden habe."
Hätte es sich bei dem Mikrofon im Fröttmaninger Stadion nicht um ein Standmikro gehandelt, Boateng hätte es vermutlich gedroppt.


