Louis van Gaal, Uli Hoeness, Bayern MunichGetty Images

Flick vs. Salihamidzic, van Gaals "Kraftakt" gegen Hoeneß und Ancelottis Gesichtsverlust: Die Bayern-Tradition der Trainer-Bosse-Konflikte


HINTERGRUND

Beim FC Bayern brodelt es zwischen Trainer Hansi Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic.

Immer wieder wird von Meinungsverschiedenheiten bezüglich Transfers und Personalentscheidungen berichtet, die Bild-Zeitung legte am Mittwoch nach, schrieb von einem "lautstarken Krach" zwischen den beiden starken Männern.

Kein Novum an der Säbener Straße – alleine in den vergangenen zehn Jahren kam es zwischen Trainern und Bossen wegen Transfers und Personalentscheidungen regelmäßig zu Streitigkeiten, gar Zerwürfnissen.

Die Geschichte zeigt: Als Bayern-Trainer zieht man bei Transferwünschen häufig den Kürzeren, das von Flick diesbezüglich erhoffte "Veto-Recht" für Übungsleiter gibt es quasi nicht. Goal und SPOX verdeutlichen dies anhand von vier Beispielen.

2011: "Kraftakt" wird Louis van Gaal zum Verhängnis

Mit dieser Entscheidung "ging die ganze Scheiße los", knurrte Chef-Knurrer Uli Hoeneß Anfang April 2011. "Die ganze Scheiße", damit waren die ständig schwelenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Trainer Louis van Gaal und dem Münchner Vorstand gemeint, die letztlich in einem Flächenbrand und van Gaals Entlassung gipfelten.

Und was war Startpunkt für "die ganze Scheiße" gewesen? Der polarisierende Tulpengeneral hatte vor der Rückrunde 2010/11 ohne ersichtlichen Grund Hans-Jörg Butt zur Nummer zwei degradiert und den bis dahin weitestgehend unbekannten Thomas Kraft zum Stammkeeper befördert.

Entgegen einer Absprache, wie sich im Nachhinein herausstellen sollte: Da die Verpflichtung von Manuel Neuer bereits im Winter in trockene Tücher gebracht worden war, sollte Butt, der eine solide Spielzeit absolvierte, bis zur Ankunft der neuen Nummer eins im Sommer das Münchner Tor hüten.

Koan Neuer DFB-Pokal Schalke 04 Bayern Munich München 02032011Getty Images Bild: Getty Images

Doch van Gaal sah, anders als seine Chefs, in Neuer nicht den Heilsbringer. Er hatte Kraft als Stammtorhüter für die folgenden Jahre ausgemacht. Rückendeckung bekam er diesbezüglich von den eigenen Fans, die mittels Plakaten gegen ein Neuer-Engagement demonstrierten. "Koan Neuer" und "Neuer im Tor ist für uns wie Trainer Daum und Manager Lemke für dich", war zu lesen. Letzteres mit dem Verweis auf Hoeneß langjährige Erzfeinde.  

Dazu wäre es aus Hoeneß' Sicht nie gekommen, wenn van Gaal einfach die Vorgaben erfüllt und Butt nicht abgesägt hätte. "Das Thema Neuer hätte sich nicht hochgeschaukelt. Darüber sollte Louis van Gaal mal nachdenken", schimpfte Hoeneß.

"Der Vorstand hat van Gaal ganz klar darauf hingewiesen", sagte Hoeneß-Kollege Karl-Heinz Rummenigge kurz nach van Gaals Entlassung. "Er hat es aber trotzdem gemacht." Christian Nerlinger, damaliger Sportdirektor beim FCB, soll laut Bild sogar kurz nach besagtem Torwart-Wechsel mit einem Rauswurf gedroht haben, sollte die Entscheidung pro Kraft die sportlichen Ziele in Gefahr bringen.

Sie gerieten in Gefahr. Kraft patzte gleich mehrfach, van Gaal war seinen Job los. "Ironie des Schicksals" urteilte Rummenigge süffisant. Ebenfalls Ironie des Schicksals, dass der von den Fans abgelehnte Neuer bei den Bayern zu einem der besten Torhüter der Geschichte heranreifte – und mittlerweile die Kapitänsbinde trägt.

2014: Pep Guardiolas gescheiterte Kroos-Bemühungen lassen Verhältnis erkalten

Pep Guardiola hatte große Pläne für den FC Bayern. Um große fußballerische Pläne umzusetzen, benötigt es große Spieler. Kurz nach seinem Amtsantritt im Sommer 2013 wurde ihm seine Forderung "Thiago oder nix" erfüllt, andere Pep-Wünsche wurden allerdings ausgeschlagen.

Neymar kam nicht, weil man beim FC Bayern laut Hoeneß "in der Vergangenheit nicht so gut gelegen mit jungen Brasilianern" war. Stattdessen bekam Pep Mario Götze, den damals nicht nur Bayerns Bosse als deutschen Neymar wähnten. Auch Luis Suarez, Paul Pogba, Marco Verratti, Eden Hazard oder Kevin De Bruyne, die Guardiola ebenfalls ins Gespräch gebracht haben soll, fanden nie den Weg nach München. Ebenso wenig wie die angeblich vom damaligen Kaderplaner Michael Reschke empfohlenen Gonzalo Castro und Hakan Calhanoglu.

Die Entscheidung, die das Verhältnis zwischen Guardiola und seinen Bossen aber erkalten ließ, war der Verkauf von Toni Kroos an Real Madrid. "Er (Guardiola, die Red.) wollte mich unbedingt halten. Nur die vorausgesetzten Rahmenbedingungen von Vereinsseite haben einfach nicht gepasst", sagte Kroos kurz nach seinem Wechsel bei Sky.

PEP GUARDIOLA TONI KROOS MANCHESTER UNITED FC BAYERN CHAMPIONS LEAGUE 04012014Getty Bild: Getty Images

Monatelang habe Guardiola um den "künftigen Dirigenten des Bayern-Orchesters", wie er Kroos liebevoll nannte, gekämpft. Sein enger Vertrauter Marti Peranau schrieb in der Pep-Biografie "Herr Guardiola", dass er vor Beginn seiner Tätigkeit beim FC Bayern darauf bestanden habe, sich unter keinen Umständen von dem Mittelfeldstrategen zu trennen. Diesem Wunsch entsprachen die Bosse nicht. "Im Fall Kroos hat der Vorstand absolut richtig entschieden", sagte Präsident Karl Hopfner seinerzeit dem kicker .

Kroos, der laut Guardiola-Biograf Guillem Balague "essentiell" für den Katalanen gewesen sei, war also weg, Ersatz musste her. Die Bayern-Bosse schlugen ihrem perfektionistischen Coach Sami Khedira als möglichen Nachfolger für den abgewanderten Greifswalder vor. Weltmeister für Weltmeister quasi. Guardiola winkte jedoch ab, Khediras Spielweise passte nicht in sein System, das nur passgenaue Akteure vorsah und keinen dynamischen Brecher wie Khedira.

Im Interview mit Goal und SPOX enthüllte Balague, dass der Khedira-Vorstoß für Irritationen sorgte. "In diesem Moment hat Pep gemerkt, dass er und der Klub andere Ansichten und Prioritäten haben. Diese Schlussfolgerung hat ihn traurig gemacht", verriet Balague.

Ein Schlüsselerlebnis, das nach nur einer Saison die Weichen auf Abschied stellte. Guardiola erfüllte zwar seinen Vertrag in der bayerischen Landeshauptstadt, 2016 zog er jedoch zu Manchester City weiter.

2017: Ancelottis Gesichtsverlust

Auf Guardiola folgte mit Carlo Ancelotti ein neuer namhafter Trainer, der seine Klasse auf internationaler Bühne bereits nachhaltig unter Beweis gestellt hatte. Mit den Gepflogenheiten FC Bayern wurde der gemütliche Italiener allerdings nie wirklich warm.

Knapp ein Jahr nach Amtsantritt traten erste Risse im Mannschaftsgefüge zutage, weil es Ancelotti nicht gelang, seine Stars für sich zu gewinnen. Fanliebling Franck Ribery feuerte nach einer Auswechslung sein Trikot wütend in Richtung Trainerbank, Arjen Robben soll wochenlang mit dem Trainings- und Spielniveau gehadert haben. Selbst die Grünwalder D-Jugend, in der sein Sohn kickte, absolvierte Robben zufolge härtere Trainingseinheiten als die Profis des Rekordmeisters.

Immer wieder gerieten Ancelottis Trainingseinheiten in den Fokus, von lascher Führung und Intensität war die Rede. Fitnesscoach Giovanni Mauri rauchte sogar auf dem Platz, während die Spieler seine Übungen umsetzten. Hasan Salihamidzic schob der Qualmerei kurz nach seiner Einstellung einen Riegel vor, Verbot das Rauchen auf dem Trainingsgelände für Mauri und auch Chefcoach Ancelotti, selbst ein großer Genussraucher. "Das Verbot ist gut für meine Gesundheit. Meine Frau freut sich", sagte Ancelotti, gepasst haben dürfte ihm die Restriktion allerdings nicht.

Sogar der sonst recht ruhige Robert Lewandowski übte im November, als Ancelotti längst vor die Tür gesetzt worden war, nachträglich Kritik an der Trainingsintensität des Trainer-Routiniers, machte den fehlenden Zug für die zahlreichen Muskelverletzungen seiner Kollegen verantwortlich. "Wenn viele Muskelverletzungen passieren, muss man nicht die letzten Wochen des Trainings beobachten, sondern zwei, drei Monate zurückgehen", sagte der Pole im Gespräch mit der Sport Bild und schob nach: "Es ist wahrscheinlicher, dass dort der Grund liegt."

Carlo Ancelotti Hasan Salihamidzic Bayern MunichGetty Bild: Getty Images

Das subtile Nachkeilen des Torjägers offenbarte, wie es um das Verhältnis zwischen Ancelotti und Mannschaft bestellt war. Vor dem Champions-League-Spiel bei PSG riss Ancelotti der Geduldsfaden: Er setzte Franck Ribery, Arjen Robben, Mats Hummels und Kingsley Coman auf die Bank, Jerome Boateng gar auf die Tribüne und ließ eine seltsame zentrumsfokussierte Taktik spielen (Thomas Müller damals: „Der Trainer wird sich was dabei gedacht haben“) und ging 0:3 unter. Ancelotti musste gehen, machte dies aber in erster Linie am fehlenden Rückhalt der Klubführung fest.

"Ich habe eine Art zu arbeiten, die ich nicht ändere", sagte er nach seinem Weggang aus München im Interview mit Domenica Sportiva. Er ergänzte: "Welche Entscheidung man auch trifft: wenn der Verein dich nicht schützt, bist du tot."

Bezüglich seiner angeblich unzureichenden Trainingsintensität erklärte er: "Bevor die Spieler eineinhalb Stunden auf dem sind und langsam laufen, habe ich sie lieber eine Stunde auf dem Platz mit Fokus auf kurze Sprints, Arbeit mit dem Ball und Spielsituationen. Im Fußball geht es nicht darum, langsam zu laufen."

Vor allem das Untergraben seiner Autoritäten seitens Hoeneß und Rummenigge prangerte Ancelotti an: "Wenn man einen Spieler aussortiert, dieser zur Vereinsführung geht und von ihr gestärkt wird, dann verliert man sein Gesicht vor den anderen Spielern. Davon erholt man sich nicht", beklagte er. "Laut den Medien wurde ich bei den Bayern gefeuert, weil ich fünf große Spieler gegen mich hatte."

Boss Hoeneß bestätigte die Spielerrevolte via FFH : "Du kannst als Trainer nicht deine prominentesten Spieler als Gegner haben. Ich habe in meinem Leben einen Spruch kennengelernt: Der Feind in deinem Bett ist der gefährlichste. Deswegen mussten wir handeln."

2019: Kovacs 200 km/h-Problem

Prominente Spieler brachte auch Niko Kovac gegen sich auf. Unvergessen ist beispielsweise die Müller-Notnagel-Aussage des Kroaten, der von Anfang an nicht die absolute Wunschlösung der Bayern-Bosse war.

Rummenigge hätte gerne Thomas Tuchel als Trainer geholt, Uli Hoeneß hatte Jupp Heynckes‘ Sehnsucht nach dem Ruhestand völlig unterschätzt. Als Heynckes seine unumstößliche Entscheidung ein allerletztes Mal deutlich gemacht hatte, war Tuchel nicht mehr zu haben – und Kovac wurde als B-Lösung präsentiert.

Eine Ehe, die schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt war? Vielleicht. Vor allem die gegensätzlichen Vorstellungen, welche Spieler zum FC Bayern passen könnten, sorgten nach Kovacs Übernahme immer wieder für Querelen. Der ehemalige Frankfurter hätte gerne seinen Ex-Schützling Ante Rebic mitgebracht, auch Hoffenheims Kevin Vogt soll von Kovac als möglicher Neuzugang präsentiert worden sein.

Die Bayern-Verantwortlichen hatten allerdings andere Pläne. Leon Goretzkas Transfer war schon im Winter 2018 fixiert worden, Serge Gnabrys erfolgreiche Leihe bei Hoffenheim endete, Renato Sanches kehrte, ebenfalls nach einer Leihe, aus Swansea zurück. In der Winterpause 2018/19 schnappte Salihamidzic sich zudem das unbekannte Juwel Alphonso Davies.

Im darauffolgenden Sommer, nachdem Kovac das Double geholt, aber auch deutlich den Einzug ins Champions-League-Viertelfinale verpasst hatte, wagte er einen neuen Anlauf bei den Bossen, nannte laut Sport Bild unter anderem Denis Zakaria und Florian Neuhaus als Kandidaten.

Auch diesmal erhörten Salihamidzic, Rummenigge und Hoeneß die Wünsche des Ex-Bayern-Profis nicht, Lucas Hernandez wurde als Rekordeinkauf von Atletico Madrid vorgestellt, Benjamin Pavard kam aus Stuttgart und Philippe Coutinho sollte den von dannen gezogenen James Rodriguez als Freigeist-Zehner beerben. Eine Entscheidung über Kovacs Kopf hinweg, war der doch schon mit dem Kolumbianer, der zwischenzeitlich mit "wir sind hier nicht in Frankfurt" für Aufsehen gesorgt hatte, überhaupt nicht klargekommen.

Niko Kovac FC Bayern 29102019Getty Bild: Getty Images

Mit Ausnahme von Pavard wusste Kovac nicht viel mit seinen Neuen anzufangen, Hernandez durfte anfangs zwar spielen, verletzte sich aber schon im Oktober schwer, Coutinho kam – ähnlich wie vor ihm James – kaum zum Zuge, weil Kovac keine Verwendung für einen Kreativling hatte. Zudem verscherzte der gebürtige Berliner es mit einigen gestandenen Akteuren wie bereits angesprochenem Müller oder Jerome Boateng.

Besonders aussagekräftige Kritik an der Kaderzusammenstellung übte Kovac schließlich im Oktober 2019. Als er zum Gegenpressing-Powerfußball von Liverpools Trainer Jürgen Klopp gefragt wurde, antwortete er: "Man muss auch die Spielertypen haben. Man kann nicht versuchen, 200 km/h auf der Autobahn zu fahren, wenn sie nur 100 schaffen. Man muss das anpassen, was man hat." Man müsse einen guten Mix finden.

Als er versuchte, das Ganze noch glattzubügeln, hatte Kovac sich bereits um Kopf und Kragen gerettet. Bezüglich der Zeit, die seinem Kollegen Klopp in Liverpool für die Verwirklichung seines Projektes gegeben wurde, sagte er: "Worüber reden wir? Kontinuität! Es geht darum, jedem Trainer die Möglichkeit zu geben, sich zu zeigen. Man muss den Menschen Zeit geben."

Kovac bekam nicht mehr viel Zeit. Nur wenige Tage später, nach einem desolaten Auftritt seiner Mannschaft bei Eintracht Frankfurt, war seine Zeit beim FC Bayern vorbei. Hoeneß sprach im Nachgang davon, Kovac "von einem ungeheuren Druck" befreit zu haben.

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