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Ex-Barca-Talent Cristian Hidalgo im Interview: "Ronaldinho hat mich ständig veräppelt"

Cristian Hidalgo schwankte in der Saison 2005/06 zwischen der Reserve- und der Profimannschaft des FC Barcelona. Nach einem Kurzeinsatz unter Frank Rijkaard wechselte der talentierte Offensivspieler innerhalb Spaniens, um sich seinen Traum von regelmäßiger Spielzeit in der Primera Division zu erfüllen. Stattdessen verschwand er aber Schritt für Schritt von der Bildfläche. Raus aus der Heimat, raus in die Welt.

Hidalgo lernte sieben neue Länder und zwei neue Kontinente kennen. Seinen Lieblingsberuf musste er dafür nicht aufgeben.

Im Karriere-Interview mit Goal und SPOX berichtet der heute 36-Jährige von seiner wilden Odyssee, die ihm vor Augen geführt hat, dass so manches Problem eigentlich gar kein Problem ist. Von Gehaltsärger in Alicante, Zypern und Rumänien. Von Raketen in Israel. Von Armut in Indien. Von Steinattacken in Marokko. Und vom "Schlaraffenland" Barcelona, wo er sich von Ronaldinho auf die Schippe nehmen ließ und den jungen Lionel Messi aufblühen sah.

Herr Hidalgo, Sie unterschrieben als 17-Jähriger beim FC Barcelona. Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an diese Zeit denken?

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Cristian Hidalgo:  Die gewaltige Dimension des Vereins. Für mich fühlte sich das alles an wie im Schlaraffenland. Uns jungen Spielern wurden zwar gewisse Werte wie Demut und Respekt vermittelt, aber wir mussten uns um nichts kümmern. Uns wurde das leckerste Essen gekocht, uns wurden die Schuhe geputzt und hinterhergetragen, wir hatten die besten Physiotherapeuten. Ich musste mich dann hin und wieder auch kneifen, als ich auf den Trainingsplatz ging und neben mir Ronaldinho und Deco mit dem Ball jonglierten. Rückblickend war das alles ziemlich irre.

Welcher Spieler hat einen bleibenden Eindruck bei Ihnen hinterlassen?

Hidalgo:  Da waren außer Ronaldinho und Deco noch so viele andere Top-Spieler wie Samuel Eto'o, Xavi oder Andres Iniesta. Wenn ich jemanden herauspicken soll, ist es aber Ronaldinho. Ohne ihn und seine positive Aura wäre Barca damals nicht ansatzweise so erfolgreich gewesen. Er war die personifizierte Freude, er steckte jeden Mannschaftskollegen mit seinem Lachen an. Abgesehen davon habe ich nie einen besseren Dribbler gesehen als ihn. Er hat uns im Training alle vernascht.

Hidalgo: "Ronaldinho war sehr professionell"

Erinnern Sie sich an ein besonderes Erlebnis mit Ronaldinho?

Hidalgo:  Da gibt es viele, aber ich werde nie vergessen, als ich vor einem Ligaspiel mit den anderen nominierten Jugendspielern schon sehr früh im Besprechungsraum unseres Hotels war und nacheinander die Profis zu ihren Plätzen gingen. Am Ende war weiter hinten nur noch ein Stuhl frei - der von Ronaldinho. Und als er - noch gerade so pünktlich - in den Raum schlenderte, zeigte er plötzlich mit dem Finger auf mich und warf mir vor, auf seinem Platz zu sitzen. Also stand ich eingeschüchtert auf und ging nach hinten. Letztlich war es nur ein Scherz von Ronaldinho und alle begannen zu lachen. Er hat uns Jüngere ständig veräppelt, mich besonders gerne.

Stimmt es eigentlich, dass Ronaldinho ein Feierbiest war?

Hidalgo:  Jeder hat sein Leben außerhalb des Fußballplatzes. Ehrlich gesagt kann ich darüber keine Auskunft geben. Ich kann nur sagen, dass ich ihn stets als sehr professionellen Spieler wahrgenommen habe. Er war nie zu spät. Und dass nicht jeder Spieler einen Tag nach einem Spiel das volle Training durchzieht, sondern ein bisschen mehr Zeit als üblich auf der Massagebank verbringt, ist völlig normal.

Wie wurden Sie als Talent aus La Masia bei den Profis aufgenommen?

Hidalgo:  Sehr gut. In der Mannschaft waren so viele große Persönlichkeiten wie Carles Puyol, Fernando Navarro oder auch Xavi und Iniesta, die alle wussten, wie es ist, aus La Masia in den Profikader zu kommen und sich seine Daseinsberechtigung unter vielen Weltstars hart verdienen zu müssen. Ich habe nicht nur fußballerisch sehr viel von ihnen gelernt. Mit ihnen konnte man sich auch über private Themen unterhalten.

Hidalgo: "Messi sprach nur, wenn es nötig war"

Zu jener Zeit ging auch der Stern von Lionel Messi in Barcelona auf. War seine Entwicklung vom Supertalent zum sechsmaligen Weltfußballer absehbar?

Hidalgo:  Leo war ein unglaubliches Talent. Jeder im Verein wusste, dass er einmal ein sehr guter Spieler werden würde. Aber der beste aller Zeiten? Nein. Niemand konnte das vorhersehen. Die Errungenschaften von Leo sind einzigartig.

Lionel Messi Ronaldinho BarcelonaGetty Images

Wie war der junge Messi als Typ?

Hidalgo:  Sehr schüchtern, sehr introvertiert. Er sprach eigentlich nur, wenn es nötig war. Als er mehr spielte und begann, Tore zu erzielen, taute er ein wenig auf und scherzte mehr herum.

Wen haben Sie abseits der großen Namen noch aus Ihrer Zeit bei Barca positiv in Erinnerung?

Hidalgo:  Oleguer. Nicht der größte Techniker, aber ein unglaublich disziplinierter und professioneller Abwehrspieler mit einer Pferdelunge. Er stand zwar nie im Fokus der Presse, aber gab immer 100 Prozent - im Spiel und im Training.

Sie feierten im Januar 2006 im Pokalspiel gegen Zamora (3:1) Ihr Profidebüt unter Frank Rijkaard. Es sollte Ihr einziger Einsatz für die Profis bleiben. Warum?

Hidalgo:  Es würde zu kurz greifen, nur zu sagen, dass es an der hohen Konkurrenz in der Offensive lag. Ich hatte damals schon ab und zu Knieprobleme, die mir später auch viele Türen verschlossen haben. Aber wer weiß, vielleicht wäre mit einem anderen Trainer und ein bisschen mehr Geduld alles anders gekommen.

Hidalgo: "Vielleicht hätte Guardiola mir mehr Chancen gegeben"

Hatten Sie Probleme mit Rijkaard?

Hidalgo:  Nein, aber die direkte Kommunikation mit ihm war nicht so einfach, weil er nicht gut Spanisch gesprochen hat. Man muss aber auch dazu sagen, dass es damals einfach noch nicht die goldene Zeit von La Masia war. Die begann erst ab 2008 mit der Beförderung von Pep Guardiola zum Profitrainer. Guardiola hatte durch seine Zeit bei der B-Mannschaft einen viel engeren Bezug zu den Jugendspielern als Rijkaard. Vielleicht hätte er mir mehr Chancen gegeben. Ich saß unter Rijkaard an die 20-mal auf der Bank, wurde aber nur einmal eingesetzt.

Deshalb verließen Sie Barca im Sommer 2006 zu Deportivo La Coruna. Etwas zu voreilig?

Hidalgo:  Ich wollte unbedingt mehr Spielzeit auf Erstliga-Niveau. Was passiert wäre, wenn ich geblieben wäre, kann niemand sagen. Meine Erfahrung bei Depor möchte ich aber nicht missen, der Verein hat mir schon als Kind gefallen und sich viele Monate um mich bemüht. Ich wurde in La Coruna sehr gut aufgenommen und spielte mit Juan Carlos Valeron zusammen, der eines meiner größten Vorbilder war. Leider habe ich nach einer für mich guten ersten Saison immer größere Probleme mit meinem Knie bekommen.

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Die Sie so sehr plagten, dass Sie im Sommer 2009 in der Segunda Division bei Hercules Alicante landeten.

Hidalgo:  Kein Erstligist bot mir einen langfristigen Vertrag. Es war frustrierend, aber Hercules hatte damals viel vor und sicherte mir Spielzeit zu. Uns gelang direkt der Aufstieg, was ein sehr schönes Erlebnis für mich war. Danach wurden manche Leute im Verein aber leider vom Größenwahn gepackt.

Hidalgo: "Ich bekam erst fünf Jahre später mein Geld"

Hercules holte für viel Geld viele neue, zum Teil namhafte Spieler wie David Trezeguet oder Nelson Valdez.

Hidalgo:  Drei oder vier Neuzugänge hätten gereicht, doch der Verein holte so viele, dass wir am Ende praktisch zwei Mannschaften hatten. Hinzu kam, dass offenbar schon vor der Saison nicht mehr genug Geld da war, um alle Gehälter fristgerecht zu bezahlen. Ab Januar wurden wir überhaupt nicht mehr bezahlt. Es war beschämend. Der Kader fiel stückweise auseinander und trainierte nur noch in Mini-Grüppchen oder überhaupt nicht mehr. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verein auch schon eigenmächtig ein paar Verträge aufgelöst, darunter auch meinen. Ich musste die Saison beim FC Elche beenden und bekam nach einem nervigen Kampf vor Gericht erst fünf Jahre später mein Geld.

Fassten Sie deshalb den Entschluss, Spanien zu verlassen?

Hidalgo:  Nein, sondern wegen meines Knies. In Spanien oder einer anderen europäischen Top-Liga hätte ich keinen Medizincheck mehr bestanden. Da ich meine Karriere nicht mit 27 beenden wollte, schlug ich nach langem Überlegen mit meiner Familie einen anderen Weg ein.

Sie wechselten nach Zypern. Bei Ihrem neuen Verein Alki Larnaka blieben Sie aber nur ein halbes Jahr.

Hidalgo:  Es war eine Erfahrung zum Vergessen. Nach einem Monat wurden ein paar ausländische Teamkollegen und ich nicht mehr bezahlt. Unter ihnen befanden sich noch weitere Spanier wie Jonathan Aspas, der ältere Bruder von Iago Aspas. Wir kehrten daraufhin nach Spanien zurück und reichten eine Klage bei der FIFA ein, doch die konnte uns erst einmal nicht helfen, weil sich der Verein plötzlich umbenannt hatte. Erst ein paar Jahre später wurde der Verein bestraft. Heute existiert er nicht mehr.

Ihr Weg wurde daraufhin immer unübersichtlicher: Sie gingen nach Bulgarien, Israel, Indien, Marokko und Rumänien, blieben fast nie länger als ein Jahr in einem Land. Warum?

Hidalgo:  Mir war natürlich klar, dass ich als Fußballer nicht mehr groß rauskommen würde, aber ich wollte damit weiter mein Geld verdienen und hatte keine Angst vor neuen Abenteuern. Dass ich gemeinsam mit meiner Familie neue Kulturen kennenlernte, war ein positiver Nebeneffekt. In Israel hatten wir unsere beste Zeit. Landschaftlich und kulturell hat das Land unheimlich viel zu bieten, außerdem haben die Menschen uns sehr freundlich behandelt.

Wie gingen Sie mit der politisch angespannten Lage in Israel um?

Hidalgo:  Davon bekamen wir wenig mit. Außer an unserem letzten Tag auf dem Weg zum Flughafen, als wir in der Bahn saßen und irgendwo ein paar Kilometer weiter plötzlich eine Rakete in der Nähe eines Strands einschlug. Man sagte uns zwar relativ schnell, dass wir nichts zu befürchten hätten, trotzdem war es ein beängstigendes Gefühl.

Hidalgo: "Nicht sicher, ob sie nur schliefen oder tot waren"

In welchem Land machten Sie Ihre schlechteste Erfahrung?

Hidalgo:  In Rumänien, wo ich vor meiner Rückkehr nach Spanien kurze Zeit für einen Zweitligisten spielte. Dort bezahlten sie mich wieder nicht richtig. Als meine damals hochschwangere Frau nach Spanien musste, um das Kind zu gebären, bat ich den Verein darum, sie begleiten zu dürfen. Der Vorstand ließ mich aber nicht, weil er der Meinung war, mich bezahlt zu haben, was schlichtweg gelogen war. Es war ein riesiges Theater. In Indien lief es mir aber auch hin und wieder kalt den Rücken herunter.

Inwiefern?

Hidalgo:  Mehr als zwei Drittel der Menschen in Indien leben in Armut. Das ist viel schlimmer, als man sich das vorstellen kann. Ich hielt mich meistens im Hotel auf, aber wenn ich mal auf der Straße unterwegs war, sah ich viele schreckliche Dinge. Dort lagen mit Planen abgedeckte Menschen in Ecken, bei denen ich mir nicht sicher war, ob sie nur schliefen oder tot waren. Kinder, die wenig oder überhaupt nichts zum Anziehen hatten und auf Müllhalden nach Essbarem suchten oder mit dem Müll spielten, weil sie nichts anderes hatten. Wenn man ihnen eine Rupie, umgerechnet etwas mehr als zehn Cent, oder ein paar Süßigkeiten gab, flippten sie vor Freude aus. Diese Bilder werden mir nie aus dem Kopf gehen.

Welche Lehren zogen Sie aus diesen Erlebnissen?

Hidalgo:  Vor allem die Zeit in Indien hat mir gezeigt, wie dankbar man sich schätzen kann, ein Dach über dem Kopf und einen vollen Kühlschrank zu haben. Es gab ja tatsächlich Leute, die dort glücklich mit den wenigen Dingen waren, die sie hatten. Und dann gehst du zurück nach Europa und merkst, dass sich die Leute dort ständig über Probleme beschweren, die eigentlich gar keine sind.

Hidalgo: "In Casablanca flogen uns Steine entgegen"

Welche sportlichen Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit in Indien? Sie hatten beim FC Chennaiyin in Marco Materazzi einen Weltmeister von 2006 als Vorgesetzten.

Hidalgo: Er war Spielertrainer und ging in so mancher Trainingseinheit mit offener Sohle in den Zweikampf, um den Chef zu markieren. Ein verrückter Kerl, aber total lustig. Wir saßen abends häufiger mit ihm und Alessandro Nesta zusammen, der ja kurz nach mir auch noch zu Chennaiyin kam.

Cristian Hidalgo Gonzalez of Chennaiyin FC celebrates goal during ISL match against Mumbai City FCISL

Wie oft kam dabei der Kopfstoß von Zinedine Zidane zur Sprache?

Hidalgo:  Ein paar Mal. (lacht) Generell wurde sehr viel gelacht. Manchmal dachte ich mir: Jetzt sitzt du hier mit zwei Weltmeistern aus Italien an einem Esstisch, die einen Witz nach dem anderen reißen. In Indien. Das ist doch irgendwie verrückt. Andererseits war die Liga damals sehr beliebt bei ehemaligen Top-Stars aus Europa. Robert Pires, Nicolas Anelka, Alessandro del Piero, Joan Capdevila und ein paar andere waren auch dort.

Wie war die Atmosphäre in den Stadien?

Hidalgo:  Sehr gut, obwohl Fußball in Indien nicht einmal die Sportart Nummer eins ist. Wenn wir über die Stimmung in den Stadien sprechen, muss ich aber Marokko nennen. So etwas habe ich nirgendwo sonst erlebt. Die Stadien sind fast aus allen Nähten geplatzt, die Fans unheimlich leidenschaftlich und heißblütig, teilweise wurde es sogar zu extrem. Bei einem Auswärtsspiel in Casablanca flogen uns einmal Steine von den Rängen entgegen. Da war man froh, wenn man heil nach Hause kam.

Hidalgo: Barca? "Es langweilt mich"

Heute spielen Sie in Andorra, knapp drei Autostunden von ihrem Heimatort Badalona entfernt. Wie lange stehen Sie noch auf dem Rasen?

Hidalgo:  Mal sehen. Aufgrund der Coronakrise steht der Fußball aktuell ohnehin im Hintergrund. Mich kitzelt es aber in den Füßen. Geht es nach mir, spiele ich noch ein bisschen weiter.

Fiebern Sie eigentlich noch mit dem FC Barcelona mit?

Hidalgo:  Ehrlich gesagt nicht. Ich liebe es, selbst zu spielen. Aber zuschauen? Wenn es nicht gerade ein besonderes Spiel wie der Clasico ist, schaue ich keine 90 Minuten am Stück. Es langweilt mich. Der Fußball in Europas Top-Ligen ist heutzutage leider nur noch eine große Show, bei der wirtschaftliche und kommerzielle Interessen im Vordergrund stehen. Da beschäftige ich mich lieber mit meiner Frau und meinen Kindern.

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