ONLY GERMANY Diego Contento Pep Guardiola Bayern Munchen 2014imago images / MIS

Diego Contento im Interview: "Es konnte schon passieren, dass Guardiola dich als Individuum vergisst"


INTERVIEW


Fast 20 Jahre verbrachte Diego Contento beim FC Bayern München und gewann dabei unter anderem das Triple. Im Jahr 2014 lotste ihn Willy Sagnol nach Bordeaux, wo er vier erfolgreiche Jahr verbrachte. Nach zwei enttäuschenden Saisons bei Fortuna Düsseldorf möchte der 30-Jährige nun in Sandhausen zu alter Stärke finden.

Im Interview mit Goal und SPOX blickt Contento auf seine bisherige Karriere zurück, erinnert sich an das traumatische "Finale dahoam" und erklärt, inwiefern Triple-Trainer Hansi Flick Parallelen zu Jupp Heynckes aufweist. Zudem erzählte der Linksverteidiger, wieso er in Düsseldorf eine "faire Chance" verdient gehabt hätte und wie der SV Sandhausen ihm wieder Kraft gegeben hat.

Diego Contento, wann sind Sie das erste Mal mit dem Fußball in Kontakt gekommen?

Diego Contento: Ich habe zwei große Brüder, die beide beim FC Bayern gespielt haben. Mein Vater und ich standen bei den Trainingseinheiten oft am Spielfeldrand und haben ein bisschen gekickt. Die Trainer haben das gesehen und sind auf mich aufmerksam geworden. So kam ich als Fünfjähriger in die F-Jugend der Bayern.

Ihre beiden älteren Brüder Domenico und Vincenzo gewannen 2001 jeweils die Meisterschaft mit der B- respektive A-Jugend des FCB. Wie wichtig waren Ihre Brüder für Sie als Vorbilder?

Contento: Meine älteren Brüder waren immer auf eine gewisse Art Vorbilder für mich. In der Zeit, in der Domenico in der B- und Vincenzo in der A-Jugend gespielt haben, war ich in der D-Jugend. Ich habe mich immer für sie gefreut, wenn sie etwas zu feiern hatten. Als sie die Meisterschaft gewonnen haben, war das für mich auch ein Ansporn. Dort, wo sie waren, wollte ich auch hinkommen.

Ihre Brüder schafften nie den Sprung zu den Profis. Hat es Ihr Verhältnis jemals belastet, dass Sie sich Ihren Traum verwirklichen konnten, während es Ihren Brüdern verwehrt blieb?

Contento: Meine beiden älteren Brüder gönnen mir meinen Erfolg. Wir hatten deswegen nie einen Konflikt und sie haben sich immer ehrlich für mich gefreut. Was sie nicht erreichen konnten, habe ich geschafft. Das macht sie stolz. Wir respektieren einander und haben eine gute Beziehung.

Ihre Eltern stammen aus Neapel. Zuletzt unterstützten Sie eine Kampagne der Fondazione Cannavaro Ferrara, deren Erlös für den Kauf von Essen für Bedürftige aus der Region verwendet wurde. Wie eng fühlen Sie sich der Heimat Ihrer Eltern verbunden?

Contento: Ich bin dort sehr verwurzelt und habe noch immer Familie in Neapel. Gerade Corona hat die Region zuletzt sehr gebeutelt. Ich unterstütze die Leute dort gerne – unter anderem mit dieser Kampagne. Mein Herz schlägt für Neapel.

Sie kamen als Fünfjähriger zum FC Bayern und durchliefen dort alle Jugendmannschaften. Wie muss man sich die Ausbildung damals im Vergleich zu heute vorstellen?

Contento: Der Fußball ändert sich Jahr für Jahr. Ich denke, damals war es als Jugendspieler anstrengender. Heutzutage gibt es mehr Trainer und das Training ist auf mehr Tage verteilt. Früher hatte man zweimal am Tag Training und musste am Wochenende gute Leistungen bringen.

2017 eröffnete der FC Bayern seinen Campus. Sie sagten zuletzt, Sie seien nicht neidisch auf die heutigen Spieler, die dort ausgebildet werden. Warum?

Contento: Ich würde nicht gerne mit ihnen tauschen, weil man heute als Jugendspieler schon alles hat. Früher hingegen musste man sich gewisse Dinge erst erkämpfen, das Spiel war sehr emotional. Ich will nicht sagen, dass das im heutigen Fußball nicht mehr der Fall ist, aber durch meine damalige Ausbildung wurde ich der, der ich heute bin. Das möchte ich nicht missen. Die heutigen Spieler können auf neuartige Geräte zurückgreifen und trainieren auf neuen Trainingsplätzen. Wir mussten früher hingegen mit fünf Mannschaften auf einem Kunstrasen trainieren. Das hat sich alles verändert.

Nach Ihrer Generation schafften es lange kaum eigene Talente beim FC Bayern in den Profi-Kader. Woran lag das?

Contento: Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einerseits hängt es davon ab, wie der Trainer tickt. Wenn er nicht auf junge Spieler setzt, schaffen es auch keine Talente zu den Profis. Es liegt aber auch an den jungen Spielern und daran, wie viel Einsatz sie zeigen. Pauschal kann man das nicht sagen.

Sie haben in der Jugend des FC Bayern unter anderem mit Thomas Müller, Holger Badstuber und David Alaba zusammengespielt. Gibt es einen Mitspieler, dessen Entwicklung Sie besonders überrascht hat?

Contento: Wenn es jemand bis ins Profigeschäft geschafft hat, muss er ein gewisses Talent haben. Natürlich braucht man auch ein bisschen Glück, aber Thomas Müller oder David Alaba haben sich ihren Erfolg hart erarbeitet und sind heute absolute Weltklasse-Spieler. Von einer Überraschung würde ich nicht sprechen.

Ihr Debüt feierten Sie unter Louis van Gaal, den Sie als Ihren größten Förderer neben Hermann Gerland bezeichneten. Was haben Sie aus der Zeit unter van Gaal mitgenommen?

Contento: Eigentlich habe ich alles von ihm gelernt. Er war ein Trainer, der jungen Spieler viel Wertschätzung entgegenbrachte. Er hat meinen Charakter geformt und mir Disziplin beigebracht. Ich kann mich nur bei ihm bedanken. Er und Hermann Gerland waren für mich wichtige Mentoren.

Wie war er im Umgang mit Ihnen?

Contento: Er war hart zu mir, aber im positiven Sinne. Er hat mich oft angeschrien, aber er wollte mich damit nie bloßstellen. Er pflegte diesen Umgang, um mich besser zu machen. Für mich ist er deshalb einer der besten Trainer der Welt.

Louis van Gaal gilt für viele als der Wegbereiter der späteren Erfolge des FC Bayern. Wie hat er den FC Bayern nachhaltig geprägt?

Contento: Natürlich hat jeder Trainer seine eigene Spielphilosophie und auch er brachte seinen eigenen Stil mit. Dennoch sieht man auch noch heute Elemente beim FC Bayern, die van Gaal damals etablierte.

Auf van Gaal folgte Heynckes. Viele schätzen ihn vor allem für seinen menschlichen Umgang. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit ihm?

Contento: Jupp Heynckes war ein Trainer, der viel mit Spielern gesprochen hat – auch mit denen, die nicht viel gespielt haben. Heynckes war wie eine Vaterfigur für uns. Deswegen waren wir mit ihm auch so erfolgreich.

Heynckes schaffte es, auch die Ersatzspieler immer bei Laune zu halten. Bei Hansi Flick soll das ähnlich sein. Sehen Sie Parallelen zwischen den beiden Trainern?

Contento: Ich denke, es gibt schon einige Parallelen. Ich habe nie mit Hansi Flick zusammengearbeitet, aber ich habe mit ehemaligen Mitspielern über ihn gesprochen und sehe, wie er in der Öffentlichkeit auftritt. Vor allem sein Umgang mit der Mannschaft erinnert mich an Jupp Heynckes.

GER ONLY Diego Contentoimago images / Revierfoto Bild: imago images / Revierfoto

Beim "Finale dahoam" im Jahr 2012 standen Sie die kompletten 120 Minuten auf dem Platz. Wie lange haben Sie gebraucht, um diese Niederlage zu verarbeiten?

Contento: Die Verarbeitung hat bei mir lange gedauert und ich denke, damit bin ich nicht der einzige. Auch für mich persönlich war es ein "Finale dahoam". Als Münchner war es für mich schon immer ein Traum, einmal in der Allianz-Arena zu spielen. Dass ich dann sogar das Champions-League-Finale vor heimischer Kulisse bestreiten durfte, war unbeschreiblich. In dem Spiel haben wir 120 Minuten auf ein Tor gespielt haben, kassierten aber in der 87. Minute den Ausgleich und verloren dann im Elfmeterschießen. Das war ein harter Schlag. Dennoch war es eines der besten Spiele, die ich in diesem Jahr gemacht habe. Ich denke, dass uns diese Erfahrung für das Triple im darauffolgenden Jahr gestärkt hat, weil wir dadurch näher zusammengerückt sind.

Im Nachhinein sagten viele Spieler und Verantwortliche, dass sich kaum jemand traute, im Elfmeterschießen anzutreten, weshalb sogar Manuel Neuer schießen musste. War die Angst vor dem Versagen an diesem Abend zu groß?

Contento: Ich habe diese Geschichte ehrlich gesagt gar nicht mitbekommen, weil ich so angespannt war. Ich weiß nicht, ob es wirklich so war, dass keiner schießen wollte und Manuel Neuer deshalb als Zweiter antreten musste. In diesem Moment war ich selbst nicht als Schütze gefragt und ich weiß auch nicht, wie ich reagiert hätte, wenn ich gefragt worden wäre, ob ich schießen möchte.

2013 holten Sie mit dem FCB das Triple, kamen dabei aber selbst nur in einem Gruppenspiel gegen Borisov zum Einsatz. Hat das den Erfolg für Sie persönlich geschmälert?

Contento: Ich habe zwar in der Champions League kaum gespielt, aber dafür mehrere Bundesliga-Spiele bestritten. Man kann deshalb nicht sagen, dass ich nicht mit dabei war. Wir waren eine Einheit und die Jungs haben mich immer unterstützt. Ich fühle mich als Triple-Sieger und das wäre auch so, wenn ich kein Spiel gemacht hätte.

Manuel Neuer sagte vor dem Champions-League-Finale im vergangenen Monat, die Triple-Mannschaft von 2013 sei in der Breite nicht so stark aufgestellt gewesen wie die von 2020. Wie sehen Sie das?

Contento: Da kann ich ihm schon zustimmen, aber die Kaderbreite war damals auch nicht der entscheidende Faktor. Wir waren in diesem Jahr eine Einheit und es war egal, ob eine Mannschaft A oder eine Mannschaft B gespielt hat. Die Kombination hat einfach gepasst.

Die Mannschaft, mit der Sie das Triple gewonnen haben, war beim Finale von Wembley auf ihrem Höhepunkt angekommen. Die Mannschaft von Hansi Flick spielt hingegen erst eine Saison in dieser Konstellation zusammen. Trauen Sie dem Team zu, eine Ära zu prägen?

Contento: Ein Vergleich zwischen den Triple-Mannschaften fällt mir schwer. Aber das Team von Hansi Flick ist hungrig und viele Spieler sind noch sehr jung. Was sie in der vergangenen Saison geleistet haben, ist großartig und wenn sie so weitermachen, können sie noch viel mehr erreichen.

GER ONLY Diego Contento FC Bayern Tripleimago images / Bernd König Bild: imago images / Bernd König

Nach dem Triple mit Jupp Heynckes übernahm Pep Guardiola, unter dem Sie Sie kaum noch eine Rolle spielten. Haben Sie dennoch von der Zusammenarbeit profitiert?

Contento: Jeder Trainer bringt etwas anderes mit. Deswegen hilft es immer, mit verschiedenen Trainern zusammenzuarbeiten. Guardiola setzt vor allem auf Taktik und kann einem Spieler viel beibringen. Deswegen hat mir das Jahr unter ihm sehr geholfen.

Inwiefern?

Contento: Ich habe viel von der Arbeit auf dem Platz profitiert – vor allem was Disziplin und Taktik angeht. Er hat mir außerdem gezeigt, wie ich mich besser auf dem Spielfeld orientieren kann.

Während Guardiolas Expertise unbestritten ist, wird er häufig für seinen kühlen Umgang kritisiert. Konnte er auch manchmal anstrengend sein?

Contento: Er spricht viel über Taktik und er arbeitet auch gerne mit dem Computer. Da konnte es schon passieren, dass er dich als Individuum vergisst, aber das meinte er nicht böse. Er wollte immer nur das Beste für seine Spieler.

Wenn Sie auf Ihre Zeit in München zurückblicken, wer war Ihr bester Teamkollege?

Contento: Da könnte ich jetzt viele aufzählen. Egal ob Franck Ribery, Arjen Robben, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger oder auch Mark van Bommel – das waren einfach Leader. Diese Liste könnte ewig weitergehen.

Sie sagten einmal, Sie wandern nicht gerne von Klub zu Klub. Warum war 2014 der richtige Moment, den FC Bayern in Richtung Bordeaux zu verlassen?

Contento: Ich habe unter Guardiola wenig gespielt und wollte mich endlich über eine ganze Saison und über 30 Spiele beweisen. Dank Willy Sagnol, der dort damals Trainer war, kam im Sommer die Möglichkeit, nach Bordeaux zu wechseln. Es waren gute Gespräche und er hat mich überzeugt.

Der Wechsel nach Frankreich bedeutete für Sie eine neue Umgebung und eine neue Sprache. Fiel es Ihnen am Anfang schwer, sich zurechtzufinden?

Contento: Französisch ähnelt dem Italienischen sehr, weshalb mir die Eingewöhnung nicht besonders schwerfiel. Die Sprache habe ich in der Kabine durch meine Mitspieler gelernt.

Bei Bordeaux waren Sie lange Stammspieler. In Ihrer letzten Saison in Frankreich kamen Sie hingegen nur noch auf fünf Einsätze, obwohl Sie fit waren. Woran lag das?

Contento: Dafür gab es verschiedene Gründe, auf die ich nicht genau eingehen möchte. Ich hatte dennoch eine schöne Zeit in Bordeaux, auch wenn das letzte halbe Jahr nicht mehr gepasst hat. Dann kam 2018 der Wechsel nach Düsseldorf.

Für Düsseldorf bestritten Sie in zwei Jahren nur ein Spiel. Dabei waren Sie lange von Verletzungen geplagt. Wie sind Sie mit diesen Rückschlägen umgegangen?

Contento: Meine einzige schlimme Verletzung war direkt zu Beginn der Kreuzbandriss, durch den ich die gesamte erste Saison verpasst habe. Das war selbstverständlich ein schlechter Start. Danach war ich zu 100 Prozent fit. Es kamen nur ab und zu noch kleinere Rückschläge, durch die ich aber meistens nicht länger als eine Woche fehlte. Letztlich war ich die meiste Zeit fit, habe aber nicht gespielt. Das konnte ich nicht nachvollziehen. Ich hätte einfach eine faire Chance verdient gehabt.

Wenn sie an die zwei Jahre bei der Fortuna zurückdenken, würden Sie im Nachhinein etwas anders machen?

Contento: Nein, der Kreuzbandriss gleich zu Beginn war Pech. Danach war ich immer zu 100 Prozent fit und habe auch im Training immer alles gegeben. Ich kann mir keinen Vorwurf machen.

GER ONLY Diego Contentoimago images / Eibner Bild: imago images / Eibner

Ex-VfB-Trainer Markus Weinzierl sagte 2019 wenige Monate vor dem Abstieg der Stuttgarter zu den anwesenden Journalisten: "Ihr müsstet auch nach Sandhausen – und das will doch keiner." Warum wollten Sie eben doch nach Sandhausen?

Contento: Viele unterschätzen den SV Sandhausen. Für mich ist es nicht wichtig, in welcher Liga ich spiele. Ich brauche das Gefühl, von meinem Verein wertgeschätzt zu werden. In dieser Transferperiode gab es mehrere Angebote, aber Sandhausen hat mir die nötige Anerkennung entgegengebracht. Nachdem ich es in den vergangenen zwei Jahren schwer hatte, hat mir dieser Klub wieder Kraft gegeben. Das habe ich einfach gebraucht.

Sie lebten bisher in München, Bordeaux und Düsseldorf. Nun kommen Sie das eher beschauliche Sandhausen. Wie haben Sie sich hier eingelebt?

Contento: Die Umgewöhnung fiel mir nicht schwer. Dass hier alles etwas kleiner ist, ist mir egal. Sandhausen hat mir gegeben, was ich wollte und ich habe mich hier gut eingelebt. Auch die Mannschaft hat mich gut aufgenommen. Das ist das Wichtigste.

In Düsseldorf kamen Sie zuletzt kaum zum Zug. Beim SVS sind Sie hingegen als erfahrener Profi und Führungsspieler gefragt. Wie gehen Sie mit dieser neuen Rolle um?

Contento: Ich freue mich auf meine neue Rolle. Es ist ein schönes Gefühl, der Mannschaft und dem Verein etwas zurückgeben zu können und zu zeigen, was ich draufhabe. Ich möchte dem Team mit meiner Erfahrung weiterhelfen.

Der SVS geht bereits in seine neunte Zweitligasaison und ist mittlerweile für viele zum Synonym für die 2. Bundesliga geworden. Welche persönlichen Ziele haben Sie mit dem Klub?

Contento: Mein Ziel ist es zunächst, unverletzt in die Saison zu kommen. Für das Team ist es wichtig, erfolgreich in die Saison zu starten. Danach werden wir von Spiel zu Spiel weitersehen.

Während sich viele Zweitligisten in diesem Sommer mit Zielvorgaben zurückhielten, peilt Sandhausen in dieser Saison die obere Tabellenhälfte an. Woher kommt dieses neue Selbstbewusstsein?

Contento: Man sieht ja, wie Trainer Uwe Koschinat mit uns arbeitet. Wir trainieren zurzeit sehr gut. Das gibt uns eine Menge Selbstvertrauen und natürlich hegt jeder von uns gewisse Träume.

Werbung