***GER ONLY*** Julian Nagelsmann Eintracht Frankfurt RB Leipzigimago

Die Gründe für Nagelsmanns Brandrede: Schöne Aussicht reicht nicht mehr

Acht Siege und ein Remis hatten die Roten Bullen in den letzten neun Ligaspielen eingefahren, sich völlig verdient mit teilweise begeisterndem Fußball an die Spitze gesetzt. Und in diesen neun Spielen immer mindestens drei Tore erzielt. 

Früher oder später musste ein Arbeitstag kommen, an dem es nicht mehr so rund laufen würde. Gegen Frankfurt war er schließlich da: Eintracht Frankfurt zeigte in der ersten Halbzeit fast nichts, ging dann durch einen Sonntagsschuss in Führung und vollendete per Konter schließlich zum 2:0. Den Rest der Zeit lief Leipzig erfolglos an, mal spielerisch besser und mit guten Torchancen wie in Halbzeit eins, mal verzweifelt und ohne großen Plan wie in Halbzeit zwei. 

Gelingen sollte in den 90 Minuten nicht viel im Spiel nach vorn. Mal hatte Kevin Trapp seine Hände im Spiel, mal verpassten die Leipziger Angreifer den Querpass oder Abpraller denkbar knapp. 22 Torschüsse gaben die Gäste ab - so oft hatten sie in der Bundesliga noch nie den Abschluss gesucht, ohne mindestens ein Tor zu erzielen. Es war über die 90 Minuten gesehen keine sehr gute Leistung, es war gegen sich im Spielverlauf deutlich steigernde Frankfurter aber auch nicht desaströs. 

Julian Nagelsmann knöpft sich Leipziger Mannschaft vor 

Wie gesagt: Irgendwann musste der Tag kommen - wie auch irgendwann der Tag kommen musste, an dem Timo Werner nicht mehr wie am Fließband trifft, sondern blass bis unsichtbar bleibt. Das passiert schließlich auch einem Robert Lewandowski, und auch die Bayern verlieren mal ein Spiel, in dem sie eigentlich überlegen sind. Wie in dieser Saison schon mehrfach gesehen. 

So gesehen wäre eine Reaktion angemessen, wie sie Nagelsmann bei Sky auch zeigte: Die guten Anlagen loben, die vergebenen Chancen bemängeln, die Fehler beim Gegentor natürlich auch, und über den verlorenen Spielfluss lamentieren. 08/15-Trainerschule, alles tausendmal gesehen. 

Das reichte Nagelsmann jedoch nicht. Und so holte er mit finsterer Miene noch einmal weit aus, als er darauf angesprochen wurde, dass er sein Team direkt nach Abpfiff schon in der Kabine kritisiert hatte. "Kurz vor dem Gipfel" stehe die Mannschaft, "und da ist immer die Frage wo man hin will. Entweder ich will nach oben zum Gipfelkreuz und etwas erreichen oder ich biege vorher ab und esse und trinke gemütlich etwas. Dann wirst du am Ende halt nur Vierter, wenn es gut läuft." 

Timo Werner RB Leipzig 25012020Getty

Nun hatte sich der junge Übungsleiter erst richtig in Rage geredet: "Wir haben nicht die Qualität von Bayern oder Dortmund", betonte er, diese Lücke könne man nur über hochkonzentrierte Trainingsleistungen schließen - und die sei beim Elf-gegen-Elf am Mittwoch desaströs gewesen. RB sei "noch weit davon weg, eine Spitzenmannschaft zu sein". Und: "Ich weiß nicht, ob jeder Spieler das verstanden hat." 

So schonungslos Nagelsmanns Kritik ausfiel, so gut hatte er sich seine Ansprache überlegt. Es handelte sich nicht um eine Reaktion aus der Emotion heraus, denn auf der Pressekonferenz in den Katakomben des Stadions nutzte er sein "Gipfel-Gleichnis" erneut, und auch die Mannschaft dürfte damit konfrontiert worden sein: "Mir geht's einfach um die paar letzten Prozentpunkte", erklärte Nagelsmann. "Da muss man hin und wieder den Finger in die Wunde legen." 

So tief scheint die Wunde in Leipzig aber eigentlich nicht zu sein, immerhin ist man weiter Tabellenführer. Dass der Trainer dennoch öffentlich auf diese Art und Weise kritisierte und sogar den Willen und die Einsatzbereitschaft seiner Spieler anzweifelte, dass er sich ein solches Bild fein säuberlich zurechtgelegt hatte, verrät zweierlei. 

RB Leipzig: Das Ziel ist ganz klar die Meisterschaft 

Erstes: Die Zeit für falsche Bescheidenheit ist bei den Roten Bullen vorbei. Das Ziel des Klubs ist ganz klar die Meisterschaft, und zwar schon in dieser Saison. 

Nun hatten die Vereinsoberen die Meisterschale in den vergangenen Wochen natürlich nicht dankend abgelehnt, so richtig offensiv wurden die Aussagen jedoch nicht. "Wir sind noch nicht gut genug, um Meister zu werden", hatte Nagelsmann in der Winterpause im Bild-Interview gesagt. Das Ziel sei, "uns für die Champions League zu qualifizieren", betonte RB-Boss Oliver Mintzlaff im Gespräch mit Goal und SPOX. Und nach dem erfolgreichen Rückrundenauftakt legte Nagelsmann vergangenen Samstag im Sportstudio noch einmal nach: "Wenn wir irgendwann mal nicht nur vier Punkte Vorsprung haben, sondern mehr, dann kann es sein, dass wir [vom Titel] sprechen." 

Julian Nagelsmann Oliver Mintzlaff RB LeipzigGetty Images

Fazit: Auch der Platz "unterhalb des Gipfelkreuzes" schien bei RB Leipzig eine ganz adrette Sache zu sein. Zumindest öffentlich. Dem widersprach Nagelsmann am Samstagnachmittag jedoch in aller Schärfe: "100 Prozent des Gipfels" sei das Ziel, die Spieler müssten sich dafür entscheiden, zu "brennen" und Deutscher Meister werden zu wollen. Mit der guten Aussicht, die ein Platz unter den besten Vier verspricht, will Nagelsmann sich nicht zufriedengeben. Es folgte der flammende Appell an die Truppe, doch bitte mitzuziehen. 

Zweitens: Den Finger in die Wunde zu legen, das ergibt nur Sinn, wenn die Wunder bereits da ist, aber bisher sträflich ignoriert wurde. Und diese Wunde hatte Nagelsmann schon einige Zeit ausgemacht, der beeindruckenden Serie zum Trotz. Schließlich war man in den letzten drei Spielen schon ohne Tor in die Halbzeit gegangen, es hatte jeweils ein Kraftakt folgen müssen. Mental war beim Tabellenführer der Schlendrian eingekehrt. 

Nagelsmann-Warnung fruchtete nicht

Vor den Konsequenzen hatte der Trainer schon in der Woche vor dem Auswärtsspiel in Frankfurt gewarnt: "Wir brauchen Bereitschaft und die Gier, eklig zu sein, zu kratzen und zu beißen." Rückständen hinterherlaufen, das würde sich rächen: "Irgendwann werden wir es nämlich nicht mehr umbiegen. Und das reicht dann nicht, um ganz oben mitzuspielen." 

Gefruchtet hatte die Warnung nur bedingt: Zwar zeigte sich das Team in einer ersten Hälfte endlich verbessert, was Nagelsmann auch würdigte, doch die Trainingsleistungen hatten schon seit Wochen zu wünschen übrig gelassen. Den Schalter im Spiel umzulegen, wenn man im Training den Ernstfall nicht geprobt hat, ist ein schwieriges Unterfangen. In Frankfurt ging es schief. 

Also sah sich Nagelsmann gezwungen, die Samthandschuhe auszuziehen und öffentlich an die Ehre seiner Spieler zu appellieren. Die Verfolger sind nicht weit weg - und der Spielplan in den kommenden Wochen hat es in sich. Um beim Bild des Trainers zu bleiben: Vom "Abstieg" kann natürlich keine Rede sein - doch die Aussicht könnte es den Bullen in den kommenden Wochen noch ganz schön verhageln. 

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