19-mal saß Hansi Flick nun als Trainer des DFB an der Seitenlinie. 17 Gegentore kassierte sein Team dabei. 15 davon in den vergangenen elf Partien. Nur gegen den Oman gelang es den Deutschen zuletzt, keinen Gegentreffer zu kassieren. Rund ein Jahr vor der Europameisterschaft im eigenen Land hat der Bundestrainer sicher zahlreiche Probleme zu lösen, aber eines ist ganz offensichtlich: Die Defensive wackelt zu sehr.
Jahrelang prägten Jérôme Boateng und Mats Hummels gemeinsam die deutsche Innenverteidigung. Beide sind für die Zukunft längst keine Option mehr. Niklas Süle, Nico Schlotterbeck, Antonio Rüdiger - Flick hat zahlreiche Alternativen. Doch sie alle wussten bisher nicht oder zumindest nicht konstant genug zu überzeugen.
Und so tun sich Gelegenheiten auf. Junge Spieler, die im Moment viele noch gar nicht richtig auf dem Schirm haben, werden ihre Chance erhalten, es besser zu machen. Einer von ihnen ist Malick Thiaw. Der 21-Jährige hat sich in den letzten Wochen in der Innenverteidigung der AC Mailand festgespielt.
Schon in der jetzt anstehenden Länderspielpause soll er laut Gerüchten erstmals von Flick berufen werden. Am Freitag wird der DFB-Kader für die Testspiele Peru (25. März) und Belgien (28. März) bekanntgegeben - Thiaw kann sich am Montag gegen US Salernitana (20.45 Uhr im Liveticker) also ein letztes Mal beweisen. Darum könnte er für den Bundestrainer trotz namhafter Konkurrenz ein wichtiges Puzzleteil werden.
DFB-Team: Die Defensivprobleme in der Analyse
Flicks Spielidee hat sicher viele Komponenten, aber eine ragt heraus: Tempo. Mit dem Ball, aber auch gegen den Ball müssen Spieler schnell schalten und umschalten. Sie müssen im Idealfall schnell auf den Beinen, aber auch im Kopf sein. Mit dem FC Bayern konnte der 58-Jährige seine Philosophie phasenweise nahezu perfekt umsetzen. Dort hatte er die Spieler, die dazu in der Lage sind, einen solch dynamischen und gnadenlos offensiven Fußball zu spielen, ohne in der Defensive zu viel dafür zu bezahlen.
Getty ImagesDenn sein Fußball ist darauf ausgelegt, den Gegner unter Druck zu setzen. Mit dem Ball durch eine sehr hohe Ausrichtung, gegen den Ball mit aggressivem Gegenpressing. Wird dieses allerdings ausgehebelt, das zeigte vor allem die WM in Katar, sind die Löcher dahinter riesig - und so rollt vor allem auf die Restverteidigung einiges zu.
Süle, Schlotterbeck und auch Rüdiger sind allesamt nicht langsam und haben bereits Erfahrung auf höchstem Niveau sammeln können. In der Nationalmannschaft aber war keiner von ihnen fehlerlos. Gerade Schlotterbeck agiert mitunter zu hektisch, fast schon zu emotional und reißt so immer wieder Löcher in die Kette. Ihm fällt es schwer, die Linie zu halten.
Süle und Rüdiger sollten stabiler sein, zeigten sich aber ebenso mehrfach überfordert, wenn sie in Gleich- oder Unterzahl Entscheidungen treffen mussten. Das Stellungsspiel der beiden war oft nicht gut genug, ihr Verteidigungsverhalten mitunter zu zaghaft. Flick wurde mehrfach für seine offensive Herangehensweise kritisiert, weil er beim DFB eben nicht die Spieler dafür habe.
DFB-Team: Kann Malick Thiaw ein Teil der Lösung sein?
Hier kommt womöglich Thiaw ins Spiel. Denn der gebürtige Düsseldorfer bringt einige Stärken mit, die das Defensivspiel der Deutschen zumindest auf dem Papier etwas stabilisieren könnten. Denn seine vielleicht größte Qualität liegt in der Antizipation. Thiaw kann ein Spiel hervorragend lesen, weil er ein gutes Spielverständnis hat und gleichzeitig fast nie den Überblick verliert.
Wer ist am Ball? Welche Spieler sind in der Nähe? Welche Optionen bieten sich daraus? Diese und einige Fragen mehr müssen Innenverteidiger meist in Bruchteilen einer Sekunde beantworten, indem sie intuitiv handeln. Ist es sinnvoll, nach vorn zu verteidigen oder sollte der Angriff durch kluges Fallenlassen eher entschleunigt werden? Thiaw hat hier für sein Alter eine bemerkenswerte Konstanz in seinen Entscheidungen.
GettyEr ist zudem ein sehr mutiger Verteidiger - ähnlich wie Schlotterbeck, nur bedachter. 2,32 seiner 2,68 Bodentacklings pro 90 Minuten sind erfolgreich, eine beeindruckende Quote von 86,5 Prozent. Für Flick dürfte aber vor allem relevant sein, dass der ehemalige Schalker trotz seiner Größe von 1,94 Meter sehr schnell ist.
In Kombination mit seiner Spielintelligenz könnte er eine große Hilfe für das DFB-Team sein, indem er einen der beiden Halbräume in der Restverteidigung schließt und dort Konter abfängt.
DFB-Team: Wo Malick Thiaw noch zulegen muss
Gerade bei jungen Spielern wird die große Frage sein, ob ein junger Spieler in der Lage ist, seine vorhandenen Fähigkeiten auf ein höheres Niveau zu transferieren. Bei Milan gelang ihm das in den letzten Wochen. Der DFB ist aber vor allem deshalb eine andere Hausnummer, weil das Team weniger eingespielt ist und das System für die Defensive nochmal fordernder ist.
Denn um die Anforderungen zu erfüllen, die einem Innenverteidiger im Flick-System gestellt werden, muss man zu den Besten gehören. Dazu zählt auch die Arbeit mit dem Ball, wo teilweise große Abstände bespielt werden müssen. Das Aufbauspiel zählt bisher nicht zu den ausgeprägten Stärken Thiaws, wenngleich er in der Vergangenheit Entwicklungspotenzial angedeutet hat.
Nur 4,2 Prozent seiner Pässe erzeugen einen Raumgewinn von knapp zehn Metern in Richtung gegnerisches Tor. Schlotterbeck (8,5 %) und Süle (7,4 %) sind deutlich progressiver im Spielaufbau, während mit Rüdiger (3,7 %) bereits ein Innenverteidiger überwiegend Sicherheitspässe spielt. Hier müsste Thiaw den größten Entwicklungssprung machen, um es dauerhaft unter Flick zu packen.
Schafft er das, hat er jedoch ein vielversprechendes Profil für die Nationalmannschaft und für das offensive System, das Flick präferiert. Eines, das Süle, Schlotterbeck und Rüdiger in dieser Form nicht anbieten.