Marcel DesaillyCarlsberg

Desailly exklusiv: "Würde ausrasten, wenn Frankreich gewinnt!"

Marcel Desailly wurde 1998 Weltmeister im eigenen Land. 18 Jahre nach dem größten Triumph der französischen Fußballgeschichte, findet erneut ein wichtiges Turnier in der Grande Nation statt. 

Im Interview mit Goal spricht der ehemalige Milan-Star über seine Erfahrungen, als Spieler bei einem Turnier im eigenen Land dabei zu sein, die hohen Erwartungen der Menschen und die aktuelle Equipe Tricolore.

Worin besteht der Unterschied, als Spieler an einem Wettbewerb teilzunehmen oder von zuhause aus zuzuschauen?

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Desailly: Das sind zwei verschiedene Welten, zwei verschiedene Blickwinkel. Einerseits würde ich sagen, dass es ein Traum aller Spieler ist, ein großes Turnier in Frankreich zu spielen. Auf der anderen Seite – wenn du diesen Traum erfüllt hast - bist du irgendwann einfach verbraucht. Dann ist es schön, Freizeit zu haben. Jetzt bin ich frei. Ich gehe ins Bett, wann ich möchte, ich trinke mir mal ein Bierchen. Der Lebensabschnitt als Fußball-Profi ist sehr intensiv. Das können nicht viele Leute nachempfinden.

Kann man ein solches Turnier eigentlich genießen, wenn man selbst spielen muss?

Desailly: Es ist eine Ehre im eigenen Land für seine Nation aufzulaufen. Als Spieler gibt es keine größere Ehre als das Trikot seines Landes zu tragen. Allerdings ist es wichtig, es als das zu sehen, was es letztlich ist: für sein Land zu spielen. Es ist eben ein Spiel. Geht man anders an die Sache heran, dann wird der Druck irgendwann zu groß. Ich werde mich immer an das Halbfinale bei der WM 1998 gegen Kroatien erinnern, denn das ist immer noch ein Spiel mit gemischten Gefühlen für mich.  Natürlich war es toll, denn wir sind ins Finale gekommen, aber nach dem Spiel haben uns die Physios, der Trainer, alle gesagt: 'Jungs, ihr müsst euch gut erholen.' Wir hatten schon sechs Wochen lang versucht, uns zu erholen. Natürlich waren wir voll dabei, aber ehrlich gesagt bekamen wir vom Turnier nur etwas mit. Wir konnten hören, wie uns unsere Freunde am Telefon anfeuerten, unsere Kinder hatten geschminkte Gesichter. Meine Kinder haben nach den Spielen gesagt: 'Papa, ihr habt gewonnen, feiere mit uns.' Ich habe gesagt, dass ich nicht kann, weil ich gerade das Halbfinale gespielt habe und gewonnen habe. Ich kann nicht kommen, denn ich muss mich auf das Endspiel vorbereiten. Also muss ich eigentlich sagen, dass ich das Turnier nur durch die Berichte anderer Leute erlebt habe.

Sind jetzt bei Ihnen mehr Emotionen im Vorfeld da, weil sie in eine EM gehen und nicht mehr Spieler sind?

Desailly: Ich würde ausrasten, wenn Frankreich den Titel holt, denn ich möchte solch einen Augenblick gerne erleben.  Wenn ich zuhause mit meinen Kindern bin, will ich das Turnier wie ein ganz normaler Fan erleben. Die Emotionen, die Intensität! Ich möchte nicht mehr mitspielen, sondern es mit meinen Freunden und meiner Familie erleben. Wenn ich mit Leuten über die WM rede, haben sie immer noch Tränen in den Augen, 18 Jahre später. Ich möchte gerne mitweinen. Ich möchte, dass ich mir die Spieler mit einer kleinen Träne im Auge ansehe. Das habe ich noch nie erlebt. Das ist nun mal die Wahrheit, auch wenn das nicht jeder versteht.

Sie werden wohl verstehen, wie es ist, mit ständiger Kritik konfrontiert zu werden

Desailly: Ja, ich habe das erlebt. Es ist eine sehr große Verantwortung, ein sehr hoher Druck. Die Spieler sollten sich deshalb auch selbst schützen. Sie sollten nicht darüber nachdenken, was woanders passiert. Sie repräsentieren ihr Land und das ist definitiv ein großer Moment. Du kannst die Menschen kurz- oder mittelfristig glücklich machen. Ich hoffe nur, dass der Streit über die Marseillaise (französische Hymne, Anm. d. Red.) nicht wiederkommt. Wir sagen immer, dass die Spieler mitsingen müssen, aber sie tun es nicht. Dann ist es eben so! Wir sind nicht beim Rugby. Die Jungs gehen nicht auf den Platz, um zu zerstören, ziehen nicht in den Krieg. Sie spielen Fußball. Deshalb müssen wir sie respektieren, alleine aus dem Grund, dass sie das Trikot der Nation tragen.

So ähnlich ist es Brasilien im Jahr 2014 ergangen

Desailly: Ja, sie haben sich selbst damit kaputtgemacht. Die Spieler waren total verunsichert, weil sie dachten, die ganze Welt schaut ihnen dabei zu, wie sie versagen. Plötzlich wurde die Mannschaft für alles verantwortlich gemacht, was im Land falsch läuft. Armut und so weiter. Die Spieler mussten alles alleine schultern. Wenn du für alles die Verantwortung übernimmst, dann ist es vorbei. Und das ist damals mit Brasilien passiert.

Die Vorbereitung auf die WM 1998 war nicht einfach. Ebenso wenig wie die Vorbereitung für das aktuelle Team. Was sagen sie zur derzeitigen Situation?

Desailly: Sie haben Zeit und ich denke, Didier Deschamps hat sie geschützt. Die Stimmung ist heiter und aufgelockert. Die große Frage ist, ob Griezmann seine hohen Erwartungen im Angriff erfüllen kann. Er muss zeigen, dass er der Anführer dieser Mannschaft ist. Um ihn herum sind einige Spieler die ebenfalls Führungsrollen übernehmen können.

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