HINTERGRUND
Schickes Hemd, schwarze Hose, Smartphone in der Hand, die Fliesen der Garage sind bronzefarben. Mit seinen weißen Schuhen, die schon etwas mitgenommen aussehen, hält Dario Scuderi einen Ball hoch. Gekonnt, aber nur mit rechts. Denn das linke Bein ist in eine dicke Schiene gehüllt, lädiert von jener Horrorverletzung, die damals erst gut drei Monate zurückliegt. Es ist eines dieser Videos, die man gerne mit dem Hashtag #TheBeautifulGame versieht, weil ihm diese ganz besonders tiefgreifende Leidenschaft innewohnt, die den Fußball so schön macht.
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Dario Scuderi wirkt positiv. Obwohl es seinerzeit wahrscheinlich nicht einmal seine größte Sorge war, ob er je wieder Fußball spielen können würde. Doch er schreibt #Nevergiveup. Und tat es auch nie. Am Montag, fast zwei Jahre nach dem verhängnisvollsten Tag seines jungen Sportlerlebens, stand der 20-jährige Deutsch-Italiener erstmals wieder in einem Spiel auf dem Platz, wurde im Test der U23 von Borussia Dortmund gegen den Lüner SV eingewechselt.
Zeitsprung. Zurück zu diesem 14. September 2016, der für Scuderi eigentlich so gut begann. Der Rechtsverteidiger erfuhr von der erneuten Nominierung für Italiens U19-Nationalelf, war zudem voller Vorfreude auf das erste Youth-League-Spiel der Saison bei Legia Warschau. Doch die Partie mit Dortmunds U19 bei den Polen dauerte für Scuderi nur rund eine Viertelstunde, ehe er höllische Schmerzen erlitt und allen Beteiligten der Schock in die Glieder fuhr.
Beim Versuch, einen Torschuss des Gegners zu blocken, blieb Scuderi unglücklich im Rasen hängen. Das linke Knie renkte aus, die fürchterlichen Bilder ließen Mitspieler, Gegner, Zuschauer oder Schiedsrichter den Atem stocken.
Arzt über Verletzung von Dario Scuderi: "Schwerste Knieverletzung, die man sich vorstellen kann"
"Das Spiel wurde für uns alle zur Nebensache", sagte Dortmunds damaliger U19-Coach Hannes Wolf. Die niederschmetternde Diagnose: Doppelter Kreuzbandriss, Außenbandriss, Meniskusschaden, kurzum: Totalschaden im linken Knie. "Es ist die schwerste Knieverletzung, die man sich nur vorstellen kann. Es war so ziemlich alles gerissen, was reißen kann: neben den Bändern auch sämtliche Muskeln und Sehnen", sagte der Kniespezialist Dr. Prof. Michael Strobel den Ruhrnachrichten.
Für Scuderi muss sich all das angefühlt haben wie der schlimmste Albtraum, den man sich ausmalen kann. Aufwachen sehr unwahrscheinlich. Von kleinauf war Fußball doch sein Leben - und nun sollte mit einem Schlag, mit einer kleinen Sekunde, plötzlich alles vorbei sein.
Mit zwölf Jahren war er von TuS Iserlohn in den Nachwuchs des BVB gewechselt, galt in Dortmund stets als eines der hoffnungsvollsten Talente seines Jahrgangs. In der U15 wird er italienischer Junioren-Nationalspieler, gewinnt mit der Borussia die deutsche B-Jugendmeisterschaft und ein Jahr später auch mit der U19 den Titel. Schon in seinem ersten A-Jugendjahr trainiert er ab und an bei den Profis mit, darf in der Sommervorbereitung 2016 auch in Testspielen der ersten Mannschaft ran, schindet beim damaligen BVB-Coach Thomas Tuchel mächtig Eindruck.
Nach der Horrorverletzung in Warschau scheint Scuderis Traum vom Sprung nach ganz oben jedoch ausgeträumt. Sein Vater offenbarte im Interview mit der Welt am Sonntag: "Professor Strobel hat nach der Operation zu mir gesagt, dass Dario froh sein könne, wenn er später mal mit seinen eigenen Kindern spielen kann. Aber er wird nicht mehr Fußball spielen können."
BVB wollte Dario Scuderi ein Studium finanzieren
Und es stand mitunter sogar noch schlimmer um Scuderi: Zeitweise drohte sein Unterschenkel wegen einer Entzündung abzusterben, er musste sogar eine Amputation fürchten, die durch eine Not-OP verhindert wurde. Umso bemerkenswerter, dass Aufgeben für Scuderi nie eine Option war. Manchmal muss ihm seine Situation ausweglos vorgekommen sein. Er klammerte sich dann an Erinnerungen an schöne Zeiten, an den Gewinn der Junioren-Meisterschaften etwa.
Vergangenes Jahr überlegte er, Sportmanagement zu studieren, um vielleicht doch auf eine andere Karte als Fußball zu setzen. Der BVB war sogar bereit, ihm das Studium zu finanzieren. Doch der Glaube, sich seinen wirklichen Traum, den, für den er lebt, doch noch erfüllen zu können, war irgendwie doch immer größer als alles andere.
Insgesamt neun Operationen musste Scuderi über sich ergehen lassen. Genesungswünsche einiger der größten Stars der Welt, die von seinem Schicksal erfahren hatten, machten die schier ewig lange Leidenszeit zumindest ein wenig erträglicher. "Neymar, Lionel Messi, Francesco Totti, Mario Götze, Andrés Iniesta, Andrea Pirlo, Paolo Maldini. Sie haben alle gesagt, ich solle durchhalten", verriet Scuderi.
Im November 2017 kündigte er via Instagram, unter einem Foto im Dress der italienischen Junioren-Nationalmannschaft, schließlich die letzte Operation an: "Ich verliere nie mein Ziel aus den Augen. Jeden Tag denke ich daran, wenn ich wieder auf dem Platz stehen werde und das Unmögliche möglich mache."
Dario Scuderi feiert Comeback beim BVB: "Ohne Euch wäre ich nicht wieder da"
Der BVB unterstützte ihn auf seinem langen Weg zurück, Scuderi blieb stets Teil des Klubs, stand auch vergangene Saison offiziell schon im Kader der U23. Nach harten Reha-Monaten begann Scuderi im März wieder mit leichtem Lauftraining, Stück für Stück arbeitete er sich wieder heran. Und dann, Ende Mai, genau zwei Jahre, nachdem er mit Dortmunds U19 im Finale gegen Hoffenheim die deutsche A-Jugendmeisterschaft gewonnen hatte, verkündete Scuderi stolz: "Nach 623 Tagen werde ich wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Der Doc hat mir heute grünes Licht gegeben."
Er weiß es zu schätzen, wieder gesund zu sein, konnte die Vorbereitung mit der U23 absolvieren. In Pflichtspielen in der Regionalliga kam er zwar noch nicht wieder zum Einsatz, durfte nun im Test gegen den Lüner SV am Montag aber kurz ran, wurde in der 70. Minute eingewechselt.
"Nach einer sehr langen und schweren Zeit, in der die Ärzte mich schon abgeschrieben haben, danke ich meiner Familie und meinen Freunden. Und dem BVB. Ohne Euch wäre ich nicht wieder da", schrieb er zu seinem Comeback auf Instagram. Diesmal im schwarz-gelben Trikot statt im schicken Hemd. Auf grünem Rasen statt auf Garagenfliesen, mittendrin in einem Zweikampf. Ohne Handy in der Hand, und ohne die dicke Schiene am linken Bein.
Dario Scuderi ist wieder zurück auf dem Platz. Und hat dafür allergrößten Respekt verdient.