HINTERGRUND
“Wenn ich mich Mainz angeschlossen hätte und dort erfolgreich gewesen wäre, hätte ich ihm vielleicht zurück zu Borussia Dortmund folgen können“, sagt Matthew Amoah zu Goal und SPOX.
Ganz schön viel Konjunktiv zwar, doch der ghanaische Angreifer führte in der Tat Gespräche mit Jürgen Klopp. “Das war nach meinem Abschied aus Dortmund 2007. Es war sehr nett. Klopp hat mich sein Vertrauen spüren lassen, indem er einfach mit mir gesprochen hat“, blickt der heute 40-Jährige zurück.
Zu einem Wechsel nach Mainz und der sehr theoretischen Möglichkeit, ein zweites Mal für den BVB aufzulaufen, kam es jedoch nicht: “Meine Intuition sagte mir, dass ich Deutschland verlassen muss.“ Und das hat viele gute Gründe.
BVB: Amoah als erhoffter Retter in Not
Als Amoah vor knapp 15 Jahren nach Dortmund wechselte, geschah dies mit großen Vorschusslorbeeren - und in großer Not. Mit Jan Koller, Pechvogel Cedric van der Gun , Salvatore Gambino, Delron Buckley und Talent Sebastian Tyrala standen im Spätherbst 2005 nämlich gleich fünf Angreifer verletzungsbedingt nicht zur Verfügung. Mit Ebi Smolarek verblieb nur ein gelernter Stürmer im Kader. Die Verantwortlichen mussten handeln.
Die finanziell angespannte Lage des Klubs, der erst wenige Monate zuvor dem Ruin entkommen war, ließ jedoch keine kostspieligen Investitionen zu. Es musste eine Lösung her, die mit einem geringen Risiko verbunden war und auf Anhieb eine Verstärkung darstellte.
Der Versuch, Wunschspieler Alexander Frei, der knapp ein halbes Jahr später den Weg nach Dortmund finden sollte, vorzeitig von Stade Rennes zu verpflichten, schlug fehl. Die von Sportdirektor Michael Zorc “grundsätzlich nicht ausgeschlossenen“ Bemühungen um den zu jenem Zeitpunkt bei Besiktas in Ungnade gefallenen Ex-Schalker Ailton sorgten beim schwarz-gelben Anhang vor allem für eines - Empörung.
Fündig wurden die Bosse schließlich in Amoah. “Es gab eine Reihe von Optionen, aber Amoah war die bevorzugte Lösung“, erklärte Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Dezember 2005 dessen Verpflichtung von Vitesse Arnheim. 400.000 Euro überwies der BVB für den Neuzugang, der mit einer Empfehlung von 66 Treffern in 190 Spielen als neuer Hoffnungsträger in den Ruhrpott kam, an den Klub aus der Eredivisie.
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Er galt als Wunschspieler von Cheftrainer Bert van Marwijk und war dem Niederländer bestens bekannt, spielte er doch in der Saison 1999/2000 unter seiner Leitung ein halbes Jahr auf Leihbasis für Fortuna Sittard, wo er sich mit zehn Toren in 15 Auftritten als äußerst treffsicher erwies.
Amoah, der in seinem Heimatland nach eigener Aussage aufgrund seiner zahlreichen Kopfballtore den Spitznamen “Klinsmann“ trug, bezeichnete sich in einem Bild-Interview als “temporeichen Knipser“, der variabel einsetzbar sei.
Verletzung statt Versprechen: Amoahs denkbar ungünstiger Start beim BVB
Doch bevor der damals 25-Jährige in Dortmund aufschlug, reiste er im Januar mit Ghana zum Afrika-Cup nach Ägypten und wurde bei der Borussia schmerzlich vermisst. Sein Übungsleiter setzte all seine Hoffnung in den neuen Mann. “Matthew gehört zu den Stürmern, die immer ihre Tore machen. Er hätte in jedem unserer letzten Spiele ein oder zwei Treffer erzielt“, mutmaßte van Marwijk. Doch die Teilnahme am Turnier war nur der Anfang von Amoahs mit der Zeit größer werdenden Schwierigkeiten im BVB-Dress.
Statt die Lücke in vorderster Front zu schließen, gesellte er sich erst einmal zum Lazarett. "Meine Zeit in Dortmund war zu Beginn sehr hart. Ich war beim Afrika-Cup und kam mit einer Knieverletzung zurück, deshalb habe ich mich schwer getan. Ich hatte mir die Verletzung bereits in meinem letzten Spiel für Vitesse zugezogen“, erinnert sich der 44-fache Nationalspieler Ghanas: “Nachdem ich unterschrieben hatte, wollte ich schnell spielen, also habe ich früher das Training aufgenommen und mich erneut verletzt - am gleichen Knie. Ich bin also angeschlagen nach Ägypten gereist, wo die Probleme wieder aufgekommen sind.“
Die Verantwortlichen seien darüber “selbstverständlich nicht erfreut gewesen, aber van Marwijk sagte mir, dass ich mir Zeit lassen sollte“, sagt Amoah. Zeit, die die Westfalen angesichts der dünnen Personaldecke nicht hatten. Sein Debüt für den BVB feierte Amoah schließlich erst am 27. Spieltag Ende März nach Einwechslung beim 4:2-Erfolg beim Hamburger SV.
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Ein denkbar ungünstiger Start für die erhoffte Verstärkung, für die am Ende der Rückrunde 2005/2006 gerade einmal acht Partien zu Buche standen, davon vier von Anfang an - ohne eine einzige Torbeteiligung. In van Marwijks 4-3-3 kam Amoah abwechselnd als Mittel- oder Außenstürmer zum Einsatz, in der Spitze meist flankiert von Buckley und David Odonkor.
Zur neuen Spielzeit wollte Amoah es allen beweisen. “Im Sommer habe ich alle Vorbereitungsspiele bestritten, gute Leistungen gezeigt und regelmäßig getroffen“, schildert er. Doch im letzten Training vor dem prestigeträchtigen Auftaktspiel beim FC Bayern München folgte der nächste Rückschlag: Amoah verletzte sich erneut und fiel weitere zwei Monate aus.
Der Angreifer kämpfte sich zurück, fand sich allerdings ausschließlich auf der Ersatzbank wieder. Zwar verließen im Sommer mit Koller, van der Gun, Gambino, Buckley und Odonkor gleich fünf Offensivspieler den Klub, doch mit den namhaften Transfers von Nelson Valdez von Werder Bremen und Frei legte der BVB für insgesamt knapp neun Millionen Euro nach. Das neue Angriffs-Trio hieß von nun an Smolarek, Frei, Valdez.
Zu allem Überfluss stand mit van Marwijk auch sein Förderer und Fürsprecher Ende 2006 vor dem Aus. “Als ich mich gerade richtig von meiner Verletzung erholt hatte, musste er gehen“, blickt Amoah zurück: “Der Verein hatte ein Problem mit ihm.“
Amoah-Förderer van Marwijk beim BVB unter Beschuss
Die Kritik am späteren Coach der niederländischen Nationalmannschaft nahm zu. Der BVB hatte unter van Marwijk bereits im Vorjahr durch das blamable Ausscheiden im UI-Cup gegen Sigma Olmütz das internationale Geschäft verpasst. Nun startete sein Team mit drei Siegen, fünf Remis, zwei Niederlagen und dem Pokal-Aus gegen Hannover 96 in der 2. Runde reichlich durchwachsen in die neue Spielzeit.
Unansehnlichen, uninspirierten Fußball sowie Stagnation warfen ihm Fans und Verantwortliche vor. Die Mannschaft offenbarte unter van Marwijk plötzlich ungewohnte körperliche Defizite, auch beim Thema taktische Variabilität blieb er stur. Ein Spieler äußerte öffentlich anonyme Kritik an seinen Methoden und warf ihm die Benachteiligung einiger Akteure vor. Dies trieb die Fehlentwicklung Richtung Spitze.
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Auch Watzke kritisierte van Marwijk nun öffentlich. In einem Gespräch mit der Bild sagte er, dass ihn die “aktuelle Situation und fußballerische Außendarstellung“ beunruhige. Der Niederländer konterte im kicker, sprach von einer Suche nach Problemen, “wo keine sind“.
Anfang Dezember ließ Watzke schließlich verlauten, dass die “Schnittmenge der Gemeinsamkeiten“ zwischen ihm und van Marwijk “erschöpft“ sei. Die Differenzen mündeten im Entschluss der Vereinsführung, van Marwijk, dessen Vertrag erst im Sommer bis 2008 verlängert worden war, bereits am Saisonende zu beurlauben. Die verbleibenden Partien sollte er dennoch an der Seitenlinie stehen, doch nur zwei Wochen nach der Entscheidung setzte es im Revierderby auf Schalke und gegen Bayer Leverkusen zwei Niederlagen und van Marwijk musste seinen Platz bereits nach dem 17. Spieltag räumen.
BVB-Flop Amoah: “Als van Marwijk ging, fingen meine Probleme erst richtig an“
Der BVB stellte den erfolglosen Jürgen Röber als Interimslösung vor, lediglich acht Partien (mit zwei Siegen und sechs Niederlagen) später übernahm Thomas Doll im März 2007 das Amt. Hier kommt nun wieder Amoah ins Spiel.
“Als van Marwijk ging, fingen meine Probleme erst richtig an. Die Verantwortlichen ließen mich aus dem Kader streichen, da es van Marwijk war, der mich verpflichtet hatte. Sie wollten keinen Spieler einsetzen, der explizit von ihm gewollt und geholt wurde“, erklärt Amoah. Gleichzeitig beteuert er, dass Zorc “immer nett zu mir war. Es waren die Leute, die über ihm standen. Die wollten, dass ich gehe. Wenn man so etwas zu hören bekommt, ist eigentlich alles gesagt.“
Während Steven Pienaar, der 2006 von Ajax Amsterdam verpflichtete designierte Nachfolger von Tomas Rosicky, und Smolarek als Verpflichtungen van Marwijks weiterhin regelmäßig zu Einsätzen kamen, wurde Amoah sowohl unter Röber als auch unter Doll kaum mehr berücksichtigt. In Röbers kurzer Amtszeit reichte es nur zu drei Kadernominierungen und einem zehnminütigen Einsatz als Joker, bei Doll stand er in neun Partien sechsmal im Aufgebot - mehr als fünf Minuten gegen Arminia Bielefeld am 27. Spieltag sprangen aber nicht heraus.
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“Im Vergleich zu Röber war Doll anders, er war ehrlich zu mir“, sagt Amoah: “Er hat gesagt, dass ich bei guten Trainingsleistungen immer zum Kader zählen würde, aber es schwierig sei, zu spielen. Das war okay für mich. Er hat gesagt, er sehe, dass ich ein guter Spieler sei, aber etwas fehle. Doll mochte mich, doch wenn er mich eingesetzt hätte und es schief gegangen wäre, hätte er Probleme mit den Verantwortlichen bekommen.“ Statt ihm habe stets Valdez gespielt, “doch er hat es nicht wesentlich besser gemacht und nur einmal getroffen“.
So entwickelte sich Amoah letztlich innerhalb nur eines Jahres vom erhofften Heilsbringer zur Persona non grata. Trotz seiner Degradierung war er anfangs gewillt, um seinen Platz kämpfen. Amoah war sogar bereit, in der Reserve zu spielen. Dies sei allerdings aufgrund seiner Staatsangehörigkeit nicht machbar gewesen. “Wegen meines ghanaischen Passes hätte ich mindestens drei oder vier Jahre in Deutschland bleiben müssen, um eine Spielberechtigung für die zweite Mannschaft zu erhalten“, sagt er.
17 Spiele, null Tore: Amoahs bittere Statistik beim BVB
Nachdem klar wurde, dass er auch in der anschließenden Saison keine Aussicht auf Spiele haben würde, endete Amoahs Zeit bei den Westfalen im Sommer 2007 nach kümmerlichen 17 Spielen - ohne jegliche Torbeteiligung. Damit schaffte es der Ghanaer in den vergangenen Jahren regelmäßig in die üblichen Flop-Aufzählungen der BVB-Historie.
"Vielleicht haben die Leute recht. Ein Stürmer, der 17 Spiele absolviert und kein Tor schießt, ist schlecht“, resümiert er: “Sie kennen die Ursachen nicht, aber ein Stürmer ist dazu da, Tore zu schießen. Am Ende ist es die Statistik, die zählt. Wenn man sich meine Spiele anschaut, sieht man, dass ich gute Auftritte hatte. Von außen denkt man aber vielleicht, dass der Druck in Dortmund einfach zu hoch war."
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Amoah ging zurück in die Niederlande. Dort knüpfte er etwas überraschend unmittelbar dort an, wo er vor seinem Transfer zum BVB aufgehört hatte: beim Toreschießen. In viereinhalb Jahren bei NAC Breda steuerte er in 129 Spielen 56 Treffer und 14 Vorlagen bei. Nach Stationen in der Türkei, bei Heerenveen, Heracles Almelo und bei unterklassigen niederländischen Teams beendete er erst 2017 seine Karriere.
Seinen kurzen Aufenthalt in Dortmund bereut Amoah rückblickend nicht: “Ich hatte eine wirklich gute Zeit und großartige Mitspieler. Alles, was man im Leben erfährt, ist eine Lektion, die einen stärker macht“, betont er. Die Gründe für seine Null-Tore-Ausbeute? “Ich hatte genug Chancen zu treffen, aber ich hatte einfach Pech.“


