HINTERGRUND
Es könnte eigentlich alles so schön sein bei Borussia Dortmund: Den FC Bayern im DFB-Pokalhalbfinale geschlagen und ins Finale von Berlin eingezogen. Gegen die TSG Hoffenheim gewonnen und den dritten Tabellenplatz erobert, der die direkte Champions-League-Qualifikation bedeuten würde. Und in der Königsklasse stand der BVB mit einer jungen Mannschaft unter den besten Acht. Aber eigentlich ist in Dortmund dieser Tage eben nicht. Das bestimmende Thema ist weiterhin Thomas Tuchel und dessen Zukunft im Verein.
Passlack exklusiv: "Meine Mitspieler machen mir es leicht"
Spötter im Internet schreiben schon davon, dass sie sich in Dortmund zu viel vom Reviernachbarn FC Schalke 04 abgeguckt haben, wie man ein ruhiges Umfeld komplett umkrempelt. Einige sagen sogar, der BVB wäre in der aktuellen Phase der neue FC Hollywood. Man könnte wahrscheinlich darüber lachen, was gerade in Dortmund passiert. Zum Lachen ist es allerdings überhaupt nicht. Denn es geht um weit mehr als Unstimmigkeiten zwischen der Geschäftsführung in Person von Hans-Joachim Watzke und Thomas Tuchel. Es geht um die Zukunft einer Mannschaft.
Führungsspieler drohten mit Abgang
Zufällig dürfte das Interview von Watzke in der Funke Mediengruppe nämlich nicht zu diesem Zeitpunkt in dieser Schärfe veröffentlicht worden sein. Wer sich im Profisport auskennt, weiß, dass solche Interviews immer durch eine Autorisierungsphase gehen. Hier wurde also bewusst etwas lanciert. Scheinbar aus einem guten Grund. Wie Goal erfuhr, sollen sich einige Führungsspieler über den Trainer, dessen Team und die Umgangsgepflogenheiten beschwert haben. Sie sollen sogar damit gedroht haben, den Verein im Sommer verlassen zu wollen, sollte sich die Lage nicht ändern und Tuchel weiterhin bleiben.
Denn intern sind die Tischtücher offenbar längst zerschnitten. Tuchel hat seinen Spielern mehrmals die Qualität abgesprochen. Etwa nach der Niederlage in der Hinrunde bei Eintracht Frankfurt oder zu Beginn des Jahres in Darmstadt. "Die Leistung war ein einziges Defizit", sagte Tuchel damals zum Beispiel und befand, dass die Mannschaft es einfach nicht besser könnte in manchen Spielen. Darauf sollen die Spieler mehr als irritiert reagiert haben - genauso wie die Vereinsführung, die in diesen Kader immerhin über einhundert Millionen Euro im Sommer investiert hatte. Und an dem Tuchel selbst mitgebastelt hatte. Er war zum Beispiel der Einzige, der von Andre Schürrle als Neuzugang ohne Wenn und Aber überzeugt war, und hatte ihn gegen Widerstände durchgesetzt. Und plötzlich reicht der Kader nicht für Größeres?
Die Mannschaft hat seitdem zu einer Trotzreaktion angesetzt, ist noch enger zusammengerückt. Einzelgänger? Fehlanzeige. Alle sollen sich so gut verstehen, dass sie immer wieder ganze Abende zusammen verbringen. Als Emre Mor vor einigen Wochen zum Straftraining antreten musste und dort von Athletiktrainer Rainer Schrey teilweise gedemütigt wurde, es sogar zu einem Handgemenge kam, hat sich die Mannschaft hinter das türkische Talent gestellt.
Umgangston beim BVB ist rau
Der Dissens zwischen Vereinsführung und Tuchel, der am Wochenende der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, ist also nicht ganz neu. Hinter vorgehaltener Hand hieß es schon seit Monaten, dass es intern größere Probleme gibt. Wer zwischen den Zeilen gelesen hat, dürfte davon einen Eindruck bekommen haben. Öffentlich wurde der Trainer bisher allerdings nicht allzu scharf kritisiert. Es geziemt sich schließlich nicht - und sportlich gab es auch wenig Grund dafür, schließlich scheint man in dieser Saison seine Ziele erreichen zu können.

Steht derzeit im Abseits: Thomas Tuchel
Aussprachen habe es bisher offenbar nicht gegeben. Denn Tuchel ist ein Trainer, der seine Linie gnadenlos durchzieht. Davor sind sie in Dortmund vor der Verpflichtung 2015 von Tuchels Ex-Verein FSV Mainz 05 sogar gewarnt worden. Er sei ein schwieriger Charakter, hieß es damals. Das bewahrheitete sich spätestens vor dem Pokalfinale im vergangenen Jahr, als er unter anderem Neven Subotic den Zugang zum Teamhotel verweigerte, weil dieser nicht im Kader fürs Spiel stand. Das soll damals vielen bitterböse aufgestoßen sein.
Erlebe die Bundesliga-Highlights auf DAZN. Hol' Dir jetzt Deinen Gratismonat!
Der Mainzer Torhüter Heinz Müller sprach über die Zeit unter Tuchel von Diktatur und Mobbing. Dies scheint sich nun in Dortmund zu wiederholen. Wer nicht mitzieht, ist raus. Tuchel arbeitet nach einem Schema x. Wer dem nicht folgt, hat Pech gehabt. "Wenn du besonders gelobt wirst vom Trainer, richtest du dich am besten darauf ein, dass du demnächst nicht mal im Kader bist", sagte ein anonymer Spieler der Süddeutschen Zeitung.
Differenzen zwischen Tuchel und Chefscout
Hinzu kommen die Probleme mit Chefscout und Kaderplaner Sven Mislintat, mit dem Tuchel maximal noch das Nötigste sprechen soll. Zutritt zum Trainingsgelände hat er schon lange nicht mehr. Auch das stört die Verantwortlichen in Dortmund gewaltig. So sind die Sympathien, die Tuchel nach dem Anschlag auf die BVB-Mannschaft sammeln konnte, längst verpufft. Intern hat es die wahrscheinlich nie gegeben. Zumal diese ohnehin nur auf eine Fassade aufgebaut waren. Tuchel ist weitaus schwieriger als die breite Öffentlichkeit es wahrhaben möchte.
Die Gräben zwischen Tuchel und seinem Trainerteam auf der einen Seite und der Mannschaft und den Verantwortlichen auf der anderen sind tief. Die Kommunikation scheint schwierig. Eine Weiterbeschäftigung des fachlich unbestritten guten Fußballlehrers scheint ausgeschlossen. Zumal wichtige Spieler ihre Zukunft beim BVB auch von der Zukunft Tuchels abhängig machen wollen.
Das Management des Trainers ist indes bemüht, die Wogen zu glätten. "Thomas war und ist in allen seinen Aussagen sehr ehrlich und aufrichtig. Mir ist sehr daran gelegen, dass wir den sogenannten 'Dissens’ ausräumen. Unser Ziel ist es, dass Thomas beim BVB bleibt und dass sich alles wieder beruhigt", sagte sein privater Pressesprecher und enger Vertrauter Olaf Meinking gegenüber Sport1. Aber ist das wirklich möglich? Bei all dem, was aktuell zwischen den Beteiligten steht, scheint dies ausgeschlossen zu sein. Auch wenn der sportliche Erfolg sicherlich ein Argument für Tuchel sein dürfte.
Getty ImagesKandidat beim BVB: Lucien Favre
Nach der Saison werden sich Tuchel, Watzke und Zorc zusammensetzen und die Zukunft besprechen. Dann geht es um "Kommunikation, Vertrauen, gemeinsame Strategie", wie Watzke im Interview mit der Funke Mediengruppe erzählte. Und da scheint man aktuell mit Tuchel nicht auf eine gemeinsame Linie zu kommen. Er müsste intern viele richtige Signale senden - auch der Mannschaft gegenüber.
Exklusiv: Subotic lässt Zukunft offen
Wahrscheinlicher ist also eine Trennung im Sommer - ein Jahr vor regulärem Auslaufen des Vertrags mit dem BVB. Und sein Nachfolger soll bereits in den Startlöchern stehen. Wie auch Goal erfuhr, seien bereits Gespräche mit Lucien Favre geführt worden. Der Schweizer hat mit Kapitän Marco Reus einen wichtigen Fürsprecher im Verein, der seinen Coach aus Gladbacher Zeiten angeblich gerne in Dortmund haben möchte.
Favre ist ein Vatertyp, der mit jungen Spielern umzugehen weiß - und der schwierige Charaktere in den Griff bekommt. Bestes Beispiel aktuell: Mario Balotelli in Nizza. Wie RMC nun berichtet, soll Favre Bayer Leverkusen bereits abgesagt haben. Ein gewisses Risiko wäre allerdings auch mit Favre verbunden. Denn als einfacher Typ gilt auch er nicht. Für Tuchel hingegen könnte es schwierig werden, einen neuen Arbeitgeber zu finden. Denn nach der Geschichte in Mainz weiß nun auch die ganze Republik um die Vorkomnisse in Dortmund.


