Wenn man so will ist der FC Bayern der Lieblingsgegner von Nuri Sahin. 16 Spiele hat er schon gegen den Rekordmeister bestritten - so viele wie gegen keinen anderen Gegner. In diesen Spielen hat er zwei Tore selbst geschossen und vier weitere vorbereitet. So passt es ins Bild, dass der türkische Nationalspieler just in der Partie vor der Begegnung mit dem deutschen Rekordmeister sein x-tes Comeback bei Borussia Dortmund gegeben hat. Am Dienstag stand er nach knapp vier Monaten endlich wieder auf dem Feld.
BVB stirbt zu oft in Schönheit
"Das war cool nach dieser langen, elendigen Zeit", sagte Sahin nach dem Spiel gegen den Hamburger SV, in dem er zwölf Minuten vor Schluss für Julian Weigl eingewechselt wurde. "Nuri Sahin"-Sprechchöre hallten von der Südtribüne durch das gesamte Stadion. Und auf dem Platz wirkte es, als wäre der 28-Jährige nie weggewesen. Sofort übernahm er das Kommando auf dem Platz und gab seinen Mitspielern Anweisungen, wie sie sich zu verhalten haben. "Zwischendurch war das in unserem Spiel ziemlich viel Hin und Her. Ich habe dann kurz mit Gonzalo Castro besprochen, dass wir Ruhe reinbringen wollen, und wir haben es dann ja auch ganz gut runtergespielt", sagte er. Die gut 15 Minuten, die Sahin auf dem Platz stand, bewiesen: Wenn man ihn reinwirft, braucht er nicht lange, um wieder reinzukommen.
Überangebot im BVB-Mittelfeld
Selbstverständlich war das nicht. Denn Sahin hatte sein letztes Spiel Anfang Dezember gegen Borussia Mönchengladbach bestritten. Seitdem fehlte er wieder einmal mit Knieproblemen. "Eigentlich sollte es nicht so lange dauern. Dann habe ich aber doch die Vorbereitung verpasst und ich wusste, dass es ein langer Weg zurück sein würde. Die Jungs hatten ja durch die Vorbereitung körperlich einen Riesenvorsprung", sagte er. Inzwischen hat er diesen aber aufgeholt und brennt auf weitere Einsätze. Richtig weg war er aber nie. Auch wenn er nicht spielen konnte, war er immer ein wichtiger Teamspieler. Er hilft den jungen Spielern, nimmt sie an die Hand und ist Ansprechpartner für sie - auch aufgrund der vielen Sprachen, die er spricht.
"Ich bin sehr selbstbewusst, und wenn mein Körper bereit ist, dann kann ich sicher auch auf diesem hohen Niveau spielen. Ich muss jetzt dranbleiben, aber leider gehören offenbar diese Scheißverletzungen zu meiner Karriere dazu. Es klingt abgedroschen, aber mein Plan ist klar: Ich werde mich im Training weiter aufdrängen", sagte Sahin. Das wird auch nötig sein. Denn vor allem im Mittelfeld herrscht bei Borussia Dortmund ein Überangebot – das mit Mahmoud Dahoud im Sommer noch vergrößert wird –, was Trainer Thomas Tuchel in der Hinrunde des Öfteren dazu veranlasste, Sahin erst gar nicht in den Kader zu berufen. Angetan von Sahin war er aber scheinbar immer. "Nuri hat nochmal seine Ausstrahlung verändert – trotz der vielen harten Entscheidungen gegen ihn", sagte er einmal.
GettyHat wieder Spaß am Fußball: Nuri Sahin (zweiter von links)
Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass Sahin schon in jungen Jahren so viel erlebt hatte wie manch erfahrene Spieler nicht. Unter dem damaligen BVB-Trainer Bert van Marwijk feierte Sahin 2005 als jüngster Spieler der Geschichte in der Bundesliga sein Debüt. Er galt als Jahrhunderttalent, und noch bevor er sein erstes Profispiel bestritten hatte, soll angeblich der FC Chelsea bereit gewesen sein, sechs Millionen Euro Ablöse für ihn zu zahlen. Der Druck wurde irgendwann zu groß und seine Leistungen litten, weshalb der BVB ihn 2007 an Feyenoord Rotterdam auslieh. Dort überzeugte er die gesamte Saison über, und als er zum BVB zurückkehrte, begann die große Zeit bei den Westfalen.
Sahin führte den BVB 2011 zur Deutschen Meisterschaft - und wechselte nach der Saison zu Real Madrid. Es war diese "Once-in-a-lifetime"-Chance, die er unbedingt wahrnehmen wollte. Doch glücklich wurde er dort nicht. Diverse Verletzungen stoppten ihn, Madrid lieh ihn an den FC Liverpool aus. Doch auch da waren es Verletzungen, die die Hoffnung auf mehr Einsätze zunichtemachten. Im Winter 2013 kehrte Sahin zunächst auf Leihbasis, später wieder fest zum BVB zurück. Aber immer wieder diese Verletzungen...
Sahin tankt Kraft bei der Familie
Doch Sahin nimmt diese schweren Phasen an und sieht immer das Positive. Er sei geduldiger geworden. "Das Leben ist kein Wunschkonzert", sagte er einmal der Welt. Sahin hat gelernt, dass er nicht alle Dinge beeinflussen kann. In seinen Verletzungspausen habe er erkannt, dass es auch "ein Leben außerhalb des Fußballs" gäbe. Seine Familie gibt ihm in den schweren Zeiten besonders viel Kraft. Er ist reifer geworden. "Mein größter Luxus, den ich mir heute gönne, ist Normalität. Es gibt für mich nichts Schöneres, als unerkannt mit meiner Familie durch die Stadt zu spazieren, gut essen zu gehen oder zu shoppen. Weit entfernt von den Aufgaben eines Fußballers, die mich über die gesamte Saison begleiten", schreibt er selbst auf seiner Homepage. Immer wieder postet er in den sozialen Medien Bilder oder Videos, wie er mit seinem kleinen Sohn spielt.
Spielen will er nun endlich wieder im Profifußball. "Aus Liebe zum Ball", wie er auf seiner Homepage schreibt. Das Spiel gegen den FC Bayern am Samstag (18.30 Uhr, LIVE-Ticker) ist daher ein ganz besonderes, in dem er auf seinen nächsten Einsatz hofft. Vielleicht sogar von Beginn an, weil Julian Weigl laut Tuchel "extrem fraglich ist". Wie viele Einsätze er allerdings in Dortmund noch bekommen wird, ist derzeit ungewiss. Denn ähnlich wie bei Shinji Kagawa, mit dem er den BVB 2011 zur Meisterschaft geführt hatte, läuft sein Vertrag im Sommer 2018 aus.
Die Gepflogenheiten des Geschäfts lassen also zwei Möglichkeiten zu: Zum einen verlängern die Dortmunder seinen Vertrag in den kommenden Wochen - oder sie lassen Sahin ziehen, um noch eine Ablösesumme zu bekommen. Allerdings bewies der BVB bei verdienten Spielern, dass man sie nicht gegen ihren Willen halten möchte. So zum Beispiel bei Jakub Blaszczykowski, den man zum VfL Wolfsburg ziehen ließ. Sahin ist ein absoluter Familienmensch und schätzt die Nähe zu Freunden und Verwandten in Dortmund und im Sauerland. Bei einem möglichen Wechsel muss also wirklich alles stimmen.
Mit solchen Gedanken will sich Sahin aber ohnehin erst einmal nicht beschäftigen. Wichtiger sei für ihn momentan, dass er endlich wieder Fußball spielen könne. In den kommenden Wochen könnte er dafür genügend Möglichkeiten bekommen. Deshalb hat er nur einen Wunsch: "Ich hoffe jetzt auf eine körperliche Konstanz."


