Nein, er ist wahrlich kein Lautsprecher, sondern kommt eher zurückhaltend, fast schüchtern, daher. Unauffällig trifft es ganz gut. Während die anderen Neuzugänge feixend und laut johlend ihren Einstand bei Borussia Dortmund gaben, war Mahmoud Dahouds Stimme bei einer - nun ja - Gesangseinlage leise. Nur schwerlich konnte man verstehen, was er da sang. Man sah es ihm in den unzähligen Videos seiner Mitspieler an: Er fühlte sich bei diesem Ritual nicht wohl, im Mittelpunkt zu stehen. Seine Sprache ist der Fußball. Auf dem Platz tobt er sich aus. Abseits des Rasens rückt er lieber in den Hintergrund.
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"Mo Dahoud ist ein hoch talentierter und spannender Spieler für das zentrale Mittelfeld, den wir seit mehreren Jahren sehr intensiv beobachten. Er hat bereits nachgewiesen, dass er auf Top-Niveau spielen kann", sagte Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc nach der Verpflichtung des 21-jährigen zentralen Mittelfeldspielers. Und wie Dahoud das bereits nachgewiesen hat: 61 Bundesligaspiele hat er für Borussia Mönchengladbach bereits bestritten, hinzu kommen zehn Partien in der Champions League. Im Team der Fohlen war er sehr geschätzt - aufgrund seiner fußballerischen Qualitäten. Nun soll er das Spiel des BVB bereichern.
Dahoud besticht durch eine Ruhe am Ball, die man in der Bundesliga nur selten sieht. Sein Auge für das Spielgeschehen ist weit entwickelt. Auf dem Platz agiert er oft wie ein alter Hase. Manche sagen, er spiele langweilig. Intelligent und mit möglichst wenig Aufwand könnte man es aber eher nennen. Seine Art des Spielens ist verblüffend, weil intuitiv. Er kann Spielsituationen voraussehen. Mit ein, zwei Bewegungen hat er in Gladbach oft große Lücken im Mittelfeld schlagen können, wodurch er Platz hatte. "Das hat mir unser U-17-Trainer Thomas Flath beigebracht. Er hat mir gesagt, ich soll immer den Schulterblick machen, bevor ich den Ball bekomme", sagte er einmal.
Dahoud ist ein Dirigent
Auf dem Platz nimmt er das Heft des Handelns gern in die Hand. Dahoud ist ein Lenker, ein Spielgestalter, eine Art Dirigent. Kein typischer Sechser, eher ein Achter. Bei Borussia Dortmund dürfte er in dem von Peter Bosz favorisierten System daher in der offensiven Mittelfeldreihe zum Einsatz kommen - wie in den Testspielen im Trainingslager in Bad Ragaz. Neben Mario Götze. Dass die beiden fußballerisch durchaus gut harmonieren können, sah man bereits in Ansätzen. In den kommenden Wochen, wenn beide sich eingespielt haben, dürfte sich das Zusammenspiel weiter verbessern.
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Doch ob er sich gleich für einen Stammplatz empfehlen kann? Die Konkurrenz im Mittelfeld der Borussia ist um Einiges größer als in Mönchengladbach. Auf Kampfansagen verzichtet Dahoud ohnehin. Das ist nicht sein Metier. "Mit Demut" werde er die ersten Wochen in Dortmund angehen. "Ich will erst mal Fuß fassen, mich in die Mannschaft integrieren und ankommen. Und dann von Training zu Training, von Spiel zu Spiel meine Leistung abrufen", sagte der gebürtige Syrer vor wenigen Wochen.
Dass er ein Wunschspieler von Thomas Tuchel war, der nun allerdings nicht mehr Trainer des BVB ist, stört Dahoud nur wenig. "Thomas Tuchel und ich haben sehr gute Gespräche geführt. Mir war aber auch sehr wichtig, dass mich nicht nur der Trainer, sondern auch die Vereinsverantwortlichen Watzke und Zorc unbedingt wollten. Das habe ich von Anfang an gespürt", erklärte er. Es war auch das letzte Mal, dass er öffentlich über seinen Wechsel zum BVB gesprochen hat. Wie bereits erwähnt: Dahoud mag das Reden über sich nicht.
Favre schwärmt von Dahoud
Viel mehr drückt er sich durch sein Spiel auf dem Platz aus. Wendige Bewegungen, enge Ballmitnahme und clevere Zweikampfführung sind seine Art des Fußballs. Ab und an neigt Dahoud aber dazu, zu viel zu vollen. Dann wird er unvorsichtig, unaufmerksam und ihm unterlaufen schwere Patzer. Mit 21 Jahren verzeiht man das aber in der Regel einem Spieler. Im Kader von Borussia Dortmund darf er sich davon aber nicht zu viele erlauben. Dann droht schnell die Bank, zu groß ist die Qualität von Nuri Sahin, Gonzalo Castro, Shinji Kagawa und Co..

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Dahoud gilt als lernwillig, als einer, der seinen Trainern genau zuhört. Unter Lucien Favre in Gladbach absolvierte er regelmäßig Sonderschichten mit dem Schweizer. "Er hat das gewisse Etwas. Mo spielt intelligent und hat Übersicht, er ist einfach gut. Er zeigt Sachen, oh la la...", sagte Favre einmal über den Junioren-Nationalspieler, der mit seinen Eltern als neunmonatiges Baby nach Deutschland kam. Er ist der erste Bundesligastar mit syrischen Wurzeln. Vor zwei Jahren begann sein Aufstieg. Es war just die Zeit, als in Deutschland alles über die Flüchtlingskrise redete. Ausgerechnet da machte ein Spieler von sich Reden, der eine ähnliche Geschichte nachzuweisen hat, wie die Millionen, die sich auf den Weg nach Europa machen.
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SPOX schrieb damals: "Fast scheint es, als sei es (auch) seine Aufgabe, zu zeigen, wie weit es ein Flüchtlingskind bringen kann, wenn es eine besondere Gabe besitzt, und was für außergewöhnliche Perspektiven ein Leben in Freiheit und Wohlstand im Idealfall zu bieten hat."
Dahoud, der Straßenkicker
Die Gabe Dahouds ist der Fußball. Er ist ein typischer Straßenkicker, der seine ersten Versuche mit dem runden Leder auf Hinterhöfen machte. "Wo wir wohnten, gab es einen Parkplatz, aber niemand hatte ein Auto, also haben wir dort immer Fußball gespielt. Ich war in jeder freien Minute draußen und habe gekickt", erinnerte er sich. Dort hat er gelernt, was ihm heute in der Bundesliga hilft: Er kann sich mit spielerischen Mitteln aus schwierigen Situationen befreien, kann aber auch aggressiv Zweikämpfe führen. Er hat gute Qualitäten in der Balleroberung und spielt daraus starke Pässe in der Spieleröffnung. Auf dem Parkplatz musste er sich immer gegen Ältere durchsetzen.
"Jung und erfahren gibt es im Fußball nicht. Das gibt es nur auf dem Straßenstrich", sagte Sven Ulreich einmal, als er noch im Tor des VfB Stuttgart stand. Bei Mo Dahoud ist das anders. Er zählt mit 21 Jahren schon zu der jungen aber erfahrenen Spielergeneration in Deutschland. Gerade erst hat er die U21-Europameisterschaft gewonnen und will jetzt beim BVB den nächsten Schritt gehen. Wichtig für ihn wird sein, dass er dort unbekümmert bleibt.
Dahouds Sprache ist der Fußball. Und damit könnte er in Dortmund noch viele Geschichten schreiben - jedenfalls mehr, als mir irgendwelchen Gesangseinlagen.
