HINTERGRUND
Neugierig schleicht sich der kleine Junge zur Wohnzimmer-Tür. Eigentlich soll er längst schlafen, aber er will unbedingt sehen, wie PSG spielt. Gerade, als er seinen Kopf durch die Tür streckt, packt dieser eine Spieler wieder einen seiner Geniestreiche aus, zimmert den Ball aus der Luft über den Torwart hinweg ins lange Eck. Drin, Traumtor PSG, Traumtor durch Jay-Jay Okocha.
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Der kleine Junge aus jener Nike-Werbung von 2016 reißt den Mund weit auf, staunt über das, was er da gerade sehen durfte. Er spielt den jungen Blaise Matuidi, wie er im Pariser Vorort Fontenay-sous-Bois, wo einem außer Fußball nicht viel Freude bleibt, aufwächst. Und für die damaligen Stars von PSG schwärmt.
"Jay-Jay Okocha war mein Lieblingsspieler als kleiner Junge", erzählt Matuidi, der am Sonntag im WM-Finale von Moskau mit Frankreichs Nationalelf um den Titel kämpft. "Er war der Spieler, der das Team und die Fans mit seinen Fähigkeiten am Ball pushte", sagt der 31-jährige Mittelfeldspieler über den früheren nigerianischen Superstar Okocha, der von 1998 bis 2002 für PSG spielte. "Es war ein Traum, irgendwann mal selbst auf diesem Rasen zu spielen."
Frankreichs WM-Star Matuidi: In Pariser Vororten auf Okochas Spuren
Okochas Tricks und Skills nachahmend, machte sich Matuidi in Fontenay-sous-Bois schnell einen Namen. Mit elf Jahren, zur Zeit, als Okocha in Frankreichs Hauptstadt kam, ging Matuidi zum etwas größeren Klub CO Vincennois, wo er eine Saison lang gemeinsam mit dem heutigen Porto-Star Yacine Brahimi spielte. 1999, mit zwölf Jahren, wurde Matuidi zu einem der besten Spieler seines Jahrgangs in der Pariser Metropolregion gewählt.
Matuidis Talent wurde nun auch überregional registriert - und damit ging eine schwierige Entscheidung einher. Das berühmte Ausbildungszentrum des französischen Fußballverbands in Clairefontaine klopfte an, als Matuidi 13 war, wollte ihn unbedingt aufnehmen.
"Das war nicht selbstverständlich, seine Eltern, seine Familie so früh fast komplett zu verlassen und sich im Wald wiederzufinden. Denn in Clairefontaine ist wirklich nur Wald", sagte Matuidi mit Galgenhumor im Interview mit ParisMatch. Dennoch ging er hin, getrieben von der Leidenschaft. Drei Jahre lang verbrachte er die Wochentage in Clairefontaine, trainierte und spielte auf höchstem Niveau. An den Wochenenden durfte er nach Hause und weiter auch mit seinen Kumpels bei Vincennois spielen.
Ständig sah er in Clairefontaine Jungs, die vor Heimweh weinten, er selbst wollte sich aber stets um jeden Preis durchbeißen. "Ich liebe den Fußball so sehr, dass mich das Negative gar nicht kümmerte. Klar habe ich Opfer gebracht, aber das fiel nicht so ins Gewicht, weil Fußball spielen alles war, was ich liebte und genau das konnte ich dort jeden Tag, noch dazu mit sehr guten Spielern und Trainern um mich herum."
Es lohnte sich. Mit 17 wurde Matuidi vom Zweitligisten Troyes verpflichtet, der Klub stieg auf und ein Jahr später, mit 18, feierte er sein Ligue-1-Debüt, wurde Stammspieler. Über Saint-Etienne kam er 2011 dann schließlich tatsächlich zu PSG. Ein Traum, der wahr wurde.
Blaise Matuidi und sein Torjubel: Inspiriert von Rapper Niska
Seit vergangenen Sommer spielt der 71-fache Nationalspieler, der auf Frankreichs Weg ins Finale bei der WM in Russland eine Schlüsselrolle im Mittelfeld der Elf von Trainer Didier Deschamps einnahm, zwar für Juventus Turin. Das Herzstück seiner Karriere werden aber für immer die sechs Jahre bei PSG, seinem Klub aus seiner Stadt, bleiben. Und das nicht nur wegen der vier Meistertitel und der drei Pokaltriumphe.
Getty"Matuidi repräsentiert unsere Mentalität und unseren Geist", sagt der Pariser Rapper Niska, einer der erfolgreichsten seines Fachs in ganz Frankreich, in der Netflix-Doku Straßenfußball. Von ihm und seiner Rap-Kombo hat sich Matuidi zu seinem berühmt gewordenen Torjubel-Tanz mit den weit ausgebreiteten Armen inspirieren lassen. Niska feierte Matuidi im Video zu seinem Song "Freestyle PSG", das auf Youtube mittlerweile mehr als 80 Millionen Klicks hat, mit dem Ausruf "Matuidi Charo". Seine ganz persönliche Würdigung des Mittelfeld-Stars.
"Charo", wie auch Niskas Klamottenmarke heißt, deren T-Shirts Matuidi gerne trägt, ist die Abkürzung des französischen Wortes Charognard, frei übersetzt für den deutschen Ausdruck 'Aasgeier'. "Der Ausdruck steht für die Einstellung, mit der meine Freunde und ich damals mit Rap begonnen haben. Er steht für diese 'Aus dem Nichts in die Unendlichkeit'-Haltung, die unsere Musik ausdrücken will. Und Matuidi repräsentiert genau das auch, denn er lässt auf dem Platz niemals nach und hat einst mit bescheidenen Mitteln angefangen", erklärte Niska bei 20minutes.fr.
In Paris und allen voran in seinem Vorort ist Matuidi ein Held, ein Idol. Und wahrscheinlich gibt es sie, die Kids, die nicht schlafen wollen, um ihn spielen zu sehen - ob früher bei PSG, nun bei Juve oder für Frankreichs Nationalteam. So wie er selbst damals, als Okocha spielte.
