Batuhan Karadeniz: Der beschwipst gestürzte König

Wir schreiben den 30. November 2016, im Sanliurfa GAP Stadi läuft die 88. Spielminute. Auf den Rängen des knapp 30.000 Zuschauer fassenden Rundes sind nur vereinzelt Zuschauer zu sehen, eine spärliche Kulisse, die beinah geisterhaft anmutet. Der Ball wird von der im traditionellen Gelb spielenden Heimmannschaft auf gut Glück nach vorne gedroschen. Plötzlich macht sich ein Koloss auf, um der Kugel, die mittlerweile ihren Weg in des Gegners Hälfte gefunden hat, nachzujagen.

Die Bewegungen des Riesen, der sich das Kunstleder schnappt, wirken etwas unrund, bisweilen schwerfällig. Seine Kontrahenten kommen immer näher. Er nimmt den Kopf hoch und überlupft den herauseilenden Torhüter als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Als der Ball das Tornetz küsst, hat sich der 1,95-Meter-Hüne der Szenerie abgewendet, jubelt, winkt seine Mitspieler heran, weil es an der Zeit ist, dem König zu huldigen.

Diese Momente des Glücks, wie ihn Batuhan im Pokalspiel seines Klubs Sanliurfaspor gegen Kirklarelispor an besagtem Tage erlebt, sind rar geworden. Zuviel ist passiert in den neuneinhalb Jahren, die zwischen seinem Profi-Debüt für Besiktas und seinem sehenswerten Tor liegen. Er erlebt eine Karriere, die so verheißungsvoll begann und derzeit in der Vereinslosigkeit endet, nachdem Batuhan sich mit diversen Eskapaden selbst ins Abseits manövrierte.

Stürmer-Legende Hakan Sükür beobachtete die Entwicklung des Emporkömmlings, der mit nur 16 Jahren erstmals für die erste Mannschaft Besiktas’ auf dem Rasen stand, ganz genau. Immerhin war die Türkei seit Jahren auf der Suche nach einem adäquaten Erben für ihren Rekordtorschützen. "Es gibt nicht viele Spieler, die ich als meine potenzielle Nachfolger ansehe, aber Batuhan Karadeniz ist einer, der das Zeug dazu hat", ließ Sükür einst optimistisch verlauten, ohne zu ahnen, dass eben jener Karadeniz in den folgenden Jahren hauptsächlich aufgrund seiner Aktivitäten neben dem Platz für Aufsehen sorgen würde.

Der damalige Nationaltrainer Fatih Terim schlug im Oktober 2008 ganz ähnliche Töne an: "Batuhan hat sämtliche Jugendnationalmannschaften durchlaufen und viele Tore erzielt. Wenn er so weitermacht, wird er im Profi-Bereich neue Rekorde aufstellen.“

Der König des Dschungels

Dabei kristallisierte sich recht früh heraus, dass der trotz seiner Größe begnadete Techniker einen gewissen Hang zur Normabweichung hatte. Im Derby gegen Fenerbahce schnappte sich Batuhan den Ball und ging beim Spielstand von 1:2 aus Besiktas-Sicht auf den gegnerischen Keeper zu. Anstatt auf den besser postierten Federico Higuain zu spielen, versuchte der Youngster es auf eigene Faust und scheiterte.

Viel wahnwitziger als die Aktion selbst, derer es im Fußball an jedem Wochenende zuhauf gibt, war die angebliche Reaktion des Angreifers im Anschluss an die Niederlage der Adlerträger. Er sagte: "Das ist die Regel des Dschungels. Du sollst keinen anderen zum König machen, wenn du selbst einer werden kannst."

Dass es fortan eigentlich stetig bergab gehen sollte, ahnte der selbsternannte König allerdings nicht. Für Besiktas kam Batuhan nur noch selten zum Einsatz, sollte in der Winterpause der Spielzeit 2007/08 verliehen werden, was allerdings anhand verschiedener FIFA-Statuten scheiterte. Erst 2009 verließ er die Istanbuler, um seine Karriere bei Eskisehirspor wieder ins Rollen zu bringen, was anfangs durchaus gelang. In 14 Pflichtspielen traf das Wunderkind achtmal. Ein Zwischenhoch, das nicht von allzu langer Dauer sein sollte, feierte er doch vor der wichtigen Partie gegen Fenerbahce bis vier Uhr in einem Istanbuler Nachtclub und flog damit zunächst auf und später raus.

"Keine Lust" auf Gaziantep

Im Anschluss sollte das nächste Leihgeschäft folgen. Gaziantep angelte sich das weiterhin hochgehandelte Talent, das aber eigenen Angaben zufolge "keine Lust" hatte, für den Erstligisten zu spielen und sich deshalb einfach nicht bei seinem neuen Arbeitgeber blicken ließ. Im Sommer 2010 verließ Batuhan die Karakartallar endgültig, nachdem er sich mehrfach mit dem damaligen Coach Mustafa Denizli überworfen hatte, ging erneut nach Eskisehir, um der Bosporus-Metropole zu entfliehen, in der er sich ohnehin "nie frei bewegen konnte", wie er später erklärte. Zwei Jahre später fühlte sich Batuhan beim anatolischen Klub vom Coach ungerecht behandelt, boykottierte zum wiederholten Male in seiner Karriere das Training, was in seiner Entlassung mündete.

Der Neustart vom Neustart sollte 2013 in China forciert werden. Der zweifache Nationalspieler unterschrieb einen Vertrag in Shanghai, betrank sich aber am Abend vor der ersten Trainingseinheit so maßlos, sodass er alkoholisiert auf dem Platz stand. Die Verantwortlichen nahmen prompt Abstand von einem Transfer. In der Zwischenzeit war Batuhan zudem auffällig geworden, als er eine rote Ampel überfahren hatte und ohne Führerschein erwischt worden war.

Nach weiteren Engagements in seiner Heimat, die ebenfalls keine Früchte trugen und einem fragwürdigen Video, bei dem er mit einer Schusswaffe hantierte, schloss er sich zu Beginn des Jahres 2016 dem FC St. Gallen an. Die Schweizer verpflichteten Batuhan bis Saisonende.

Dort zeigte sich der Angreifer zunächst kleinlaut und gestand im Gespräch mit dem St. Galler Tagblatt : "Ich war nicht immer sehr diszipliniert." Er gab der türkischen Presse allerdings auch eine Teilschuld an seinem Schicksal: "Natürlich habe ich Fehler gemacht, es waren aber keine gravierenden. In der Türkei wird alles auf die Goldwaage gelegt. Und die Medien haben den Hang zu übertreiben. Hatte ich ein Glas Wein getrunken, schrieben sie später, es seien zehn gewesen."

Doch auch seine Zeit bei den Eidgenossen entwickelte sich zu einem Fiasko. Hatte Karadeniz noch im März angekündigt, um einen Platz für die Europameisterschaft im Kader der Türkei kämpfen zu wollen, setzte St. Gallens Trainer nur sehr selten auf den Neuzugang. Siebenmal kam das Enfant terrible in der Schweizer Beletage zum Einsatz, ein Treffer gelang ihm dabei aber nicht.

"Das Expiriment mit ihm ist gescheitert"

Schon im Mai war der neuerliche Versuch, seiner Laufbahn neuen Schwung zu verleihen, gescheitert. FCSG-Präsident Christian Stübi bilanzierte später: "Der Typ Fußballer Karadeniz passte nicht zu uns. Seine Verpflichtung war ein Risiko. Er hätte uns helfen können, wenn er gewollt hätte und fit gewesen wäre. Wir haben viel miteinander geredet. Wir haben ihn auch mehrmals unter Druck gesetzt. Aber es brachte nichts. Deshalb schlossen wir mit Karadeniz noch vor dem Saisonende ab. Das Experiment mit ihm ist gescheitert."

Zum großen Durchbruch hat es nie gereicht. Mangelnde Einstellung, der frühe Hype um seine Person und fehlende Selbstreflexion haben Karadeniz auf einen falschen Pfad geführt, der im Laufe der Jahre immer mehr Abzweigungen offenbarte, die kumuliert betrachtet dahin führten, wo Batuhan nun angekommen ist – in einer Sackgasse, wo er König sein kann, sein eigener König, für den sich kaum jemand mehr interessiert. Mit 31 Jahren ist er aktuell vereinslos.

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