PORTRÄT
Algerischer Drittliga-Kick am Samstagnachmittag. Nur wenige Fans sind ins Stadion von JSM Cherage gekommen. Auf dem schwer zu bespielenden und unebenen Rasenplatz schleicht ein 20-jähriger Mittelstürmer am Mittelkreis umher. Sich an der Defensivarbeit seines Teams beteiligen, danach ist ihm nicht. Er ist im Strafraum zuhause, wo er in aller Regel auch ins Schwarze trifft. Dass er einmal den Durchbruch als Profi schaffen wird, glaubt zu diesem Zeitpunkt niemand. Jener Spieler steht seit Sommer 2018 nun aber beim türkischen Spitzenklub Fenerbahce unter Vertrag. Seit der Drittliga-Zeit hat sich für Islam Slimani einiges verändert. Es ging rasant nach oben.
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"Als ich in die dritte Liga gekommen bin, habe ich nicht eine Sekunde daran gedacht, dass ich vier Jahre später bei der WM in Brasilien spielen könnte", so Slimani bei der WM 2014 über seinen turbulenten Karriereaufstieg. Der heute 30-Jährige kommt aus Algerien, ist im Juni 1988 in der Hauptstadt Algier zur Welt gekommen und dort in recht armen Verhältnissen aufgewachsen. Spaß am Spiel hatte Slimani schon immer, dass er einmal Profi werden will, war ihm von klein auf noch nicht bewusst. "Irgendwann habe ich mich gefragt, was mir eigentlich wichtig ist. Und eine Antwort war, dass ich im Fußball große Chancen für mich sehe und diese ergreifen will", sagte der Torjäger, dessen Namen spätestens seit der WM in Brasilien jeder kennt.

WM 2014: Islam Slimani wird zum algerischen Volkshelden
Der 26. Juni 2014 war der Tag, an dem Algerien und Islam Slimani Geschichte schrieben. Das dritte WM-Gruppenspiel gegen Russland sollte alles verändern. Nach der 1:2-Niederlage gegen Belgien und dem 4:2 gegen Südkorea benötigte Algerien fürs Weiterkommen bei der WM 2014 unbedingt noch einen Zähler. Protagonist dabei: Islam Slimani. Er sollte an diesem Tag zum Volkshelden werden, denn durch seinen Ausgleichstreffer per Kopf qualifizierte sich Algerien erstmals in der Geschichte für ein WM-Achtelfinale.
GettyDoch damit nicht genug: Der Angreifer wurde gegen Südkorea und gegen die Russen von der FIFA zum Man of the Match gekürt, auch das hatte noch kein algerischer oder arabischer Akteur bei einer WM je geschafft. "Da ist ein Traum für mich wahr geworden", beschrieb Slimani seine Gefühlswelt nach dem herausragenden Erfolg. Auch wenn für die Algerier in der Runde der letzten 16 gegen den späteren Weltmeister Deutschland Endstation war: Für Slimani war es das Turnier seines Lebens.
Islam Slimani: Über Belouizdad und Sporting in die Premier League
Dabei sah es am Anfang von Slimanis Laufbahn so ganz und gar nicht danach aus, als ob er groß rauskommen würde. Das Toreschießen lag ihm schon immer im Blut, keineswegs aber waren die technische Finesse, zauberhafte Tricks oder das laufintensive Spiel die Qualitäten, die ihn auszeichneten. Zudem war auch ein leichtes Übergewicht ständiger Begleiter des Angreifers. Für Cherage schoss er in der Saison 2008/09 dennoch 19 Treffer und sicherte sich dadurch die Fahrkarte für die höchste algerische Liga.
Er wechselte im Alter von 21 Jahren zum Erstligisten CR Belouizdad, blühte dort auf. In vier Spielzeiten sammelte er 34 Scorerpunkte, wurde obendrein von Nationalcoach Vahid Halilhodzic im Mai 2012 erstmals für die algerische Nationalmannschaft nominiert. "Er gibt mir Selbstvertrauen und weiß ganz genau, wie er mir helfen kann", verdankte Slimani dem bosnischen Trainer seinerzeit den Sprung auf die internationale Bühne. Hinzu kam, dass sich Slimani beim algerischen Erstligisten Belouizdad auf den Zettel europäischer Klubs schoss.
Zwar zeigte Bundesligist Mainz 05 Interesse, doch das Rennen um das algerische Kopfballungeheuer gewann im August 2013 der portugiesische Top-Klub Sporting. Der damals 25-Jährige unterzeichnete dort gleich einen Kontrakt bis 2017, stieg in der portugiesischen Metropole zum Star auf. Plötzlich lief der einst übergewichtige Slimani in der Königsklasse auf, wurde in der Saison 2015/16 mit 27 Liga-Treffern sogar fast Torschützenkönig in der Primeira Liga. Hinzu kam die Wahnsinns-WM im Jahr 2014.
AFP/Getty ImagesAuch für ManUniteds Star-Coach Jose Mourinho ist Slimani seither ein Begriff. "Ein aggressiver Stürmer, schnell und gut in der Luft", bestätigte 'The Special One' den Eindruck, den alle Welt nach der WM 2014 von ihm hatte. Auch Vergleiche mit den algerischen Legenden Rabah Madjer und Lakhdar Belloumi waren keine Seltenheit, ganz im Gegenteil.
Nach seiner Zuckersaison 2015/16 folgte er dem Ruf von Leicester City. 30 Millionen Euro überwies der Überraschungsmeister der Premier League nach Portugal – Klub-Rekord. Im besten Fußballalter von 28 Jahren wollte es der Angreifer wissen und in einer der europäischen Top-Ligen seine Torjägerqualitäten unter Beweis stellen. Im King Power Stadium wurde er jedoch von Verletzungen zurückgeworfen und kam in seiner ersten Spielzeit nur zu 23 Ligaeinsätzen, wobei immerhin sieben Treffer und vier Assists heraussprangen. Auch eine Leihe zu Newcastle United im Januar dieses Jahres half ihm nicht auf die Sprünge.
GettyWechsel zu Fenerbahce: Islam Slimani freut sich auf die neue Aufgabe
Nun strebt Slimani aber nach einer neuen Herausforderung. Bei Fenerbahce wird der 30-Jährige seine Karriere wiederum auf Leihbasis fortsetzen, zumindest für eine Saison. Dort will er mit dem Istanbuler Stadtklub den Rivalen und amtierenden Meister Galatasaray überflügeln. Derzeit kämpfen Soldado, Skrtel und Co. in der Champions-League-Qualifikation um den Einzug in die Gruppenphase, müssen am Dienstag aber einen 0:1-Rückstand aus dem Hinspiel gegen Benfica wettmachen.
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"Ich bin glücklich, mich bei diesem großartigen Verein in ein neues Abenteuer stürzen zu dürfen. Mein Dank gilt allen Fans für die großartige Unterstützung", schrieb Slimani voller Vorfreude jüngst auf Instagram. Kurios war dagegen die Präsentation Slimanis beim türkischen Vizemeister: Auf dem Twitter-Account des Klubs zeigte er sich im perfekt sitzenden Fener-Trikot mit Sonnenbrille und ließ dabei die Muskeln spielen.
Bei Fener passt Slimani ideal ins Anforderungsprofil: Groß, zweikampf- und kopfballstark, torhungrig. Trainer Phillip Cocu lässt in der Regel ein 4-2-3-1 spielen, die Position vorne drin könnte Slimani ideal bekleiden. Das erkannte wohl auch Algerien-Legende Madjer und bezeichnete ihn einst als den "perfekten Stürmer für ein 4-2-3-1-System". Einzige Problematik für Slimani bei Fener: Seit 2017 ist Roberto Soldado in der Sturmspitze gesetzt. Sowohl der Spanier als auch der Algerier sind echte Knipser. Wer weiß, vielleicht baut Cocu irgendwann sein System um, damit beide zusammen auflaufen können.
Die neuen Rückennummern der Top-Transfers
Slimani scheint jedenfalls mit großem Optimismus an die neue Aufgabe herangehen zu wollen. Die enttäuschende Rückrunde 2017/18 in Newcastle möchte er vergessen machen und als algerischer Volksheld nicht in Vergessenheit geraten. Fenerbahce und die fabelhafte Atmosphäre im Ülker Stadion mit rund 50.000 Zuschauern sind dabei definitiv eine andere Hausnummer als die dritte algerische Liga, in der Slimani vor zehn Jahren noch zuhause war. Mit 30 will er es in der Süper Lig noch einmal wissen.




