Er war mal die Nummer 1 vor Buffon: Die verhinderte Weltkarriere des Angelo Pagotto

Den 31. Mai 1996 wird Angelo Pagotto vermutlich nie vergessen. Als sich Italien und Spanien im Finale der U21-EM duellierten, stand er im Tor der kleinen Squadra Azzurra. Es kam zum Elfmeterschießen und Pagotto parierte gleich den ersten Versuch der Spanier des damaligen Barca-Juwels Ivan de la Pena - ganz wichtig, hatte kurz zuvor Christian Panucci doch auch den ersten Elfer Italiens vergeben.

Wenige Minuten später. Ein gewisser Raul, später Weltstar und Legende bei Real Madrid, lief an, schoss nicht schlecht. Aber Pagotto tauchte sensationell ab, hielt den Ball fest und begrub ihn unter seinen Handschuhen. Der nächste Italiener traf dann und vor allem dank Pagotto war die Squadra U21-Europameister.

Dem damals 22-jährigen Torhüter schienen spätestens jetzt alle Türen offen zu stehen. Sogar die spätere Juventus-Legende Gianluigi Buffon - wenngleich deutlich jünger - musste sich in Italiens U21 damals hinter ihm anstellen. "Damals war Buffon noch nicht das, was er heute ist", sagte Pagotto der Gazzetta dello Sport. "Er war ein paar Jahre jünger, ich wurde bevorzugt. Aber er und ich waren dazu bestimmt, die stärksten Torhüter zu dieser Zeit zu sein."

Angelo Pagotto: "Ich war jung und hatte die Frauen, die ich wollte"

Buffon sollte bekanntlich tatsächlich jahrelang einer der besten Torhüter der Welt sein, Pagotto war davon letztlich doch sehr weit entfernt. Weil er den Verlockungen als umjubelter Profi nicht so gut widerstehen konnte, weil er falsche Entscheidungen traf, weil er irgendwann die Spirale nach unten nicht mehr verlassen konnte.

Pagotto wechselt mit 18 nach Neapel. Den Sprung zur Nummer eins schafft er dort zwar nie, kostet das Leben als Profi aber dennoch voll aus. "Ich war jung, hatte viel Geld in der Tasche, aber keine feste Familie, die mich führte. Und ich hatte die Frauen, die ich wollte", erzählt er. 1994 wird Pagotto an den damaligen Drittligisten Pistoiese verliehen, empfiehlt sich dort für einen Wechsel zu Sampdoria in die Serie A.

Angelo PagottoGetty Images

Auch dort hält er stark, wird Stammkeeper der U21-Nationalelf, spielt dann die starke und vom Titel gekrönte EM 1996. Die große AC Milan will Pagotto, lockt ihn in die Modestadt - im Nachhinein kein guter Wechsel. "Mein Herz weint immer noch, weil ich Sampdoria verlassen habe. In Mailand fand ich eine kalte Stadt und einen noch kälteren Klub", sagt Pagotto.

Bei den Rossoneri kommt er nicht zurecht, wird zunächst an Empoli verliehen und Ende 1997 an Perugia verkauft. Dort stabilisiert er sich zwar wieder etwas, doch die Probleme abseits des Platzes werden immer größer. Ehe Pagotto Anfang 2000 wegen Dopings gesperrt wird und sehr lange überhaupt kein Pflichtspiel mehr absolviert. "Meine ehemaligen Mannschaftskameraden waren keine Freunde mehr. Ich verbrachte zwei Jahre in Ligurien bei meiner Mutter in dem Hotel, das wir eröffnet hatten", blickt Pagotto zurück.

Angelo Pagotto: "Es gab Tage, an denen ich nicht aus dem Bett kam"

Er gerät mehr und mehr auf die schiefe Bahn, der Halt des Fußballs fehlt: "Es gab Tage, an denen ich nicht aus dem Bett kam, im Wechsel mit Nächten in der Disco." Pagotto bekommt Depressionen, lässt sich behandeln. Im Oktober 2001 gelingt es ihm, noch einmal im Profifußball Fuß zu fassen und mit Drittligist Triestina schafft er sogar den Sprung in die Serie B. Doch die Vergangenheit holt ihn ein, im Klub herrscht ihm gegenüber Skepsis: "Alle waren wütend auf mich, der Präsident von Triestina warf mir Spielmanipulation vor. Ich denunzierte ihn und ging, obwohl ich die Meisterschaft gewonnen hatte. Und dann begannen die wahren Probleme."

Zwar ist er nach seinem Aus bei Triestina auch bei Arezzo noch einmal ein solider Dritt- und Zweitligatorhüter, doch die Erfüllung gibt ihm der Fußball nicht mehr. "Ich hatte kein Adrenalin mehr auf dem Platz und suchte es im Kokain. Ich begann, in schlechter Gesellschaft herumzuhängen. Sie gab mir das Gefühl, ein Held zu sein", so Pagotto.

2007, inzwischen bei Crotone unter Vertrag, wird der seinerzeit 33-jährige Pagotto wegen Kokainmissbrauchs für acht Jahre gesperrt. Die Karriere, die nach jenem 31. Mai 1996 so hoffnungsvoll erschien, ist endgültig vorbei. Und Pagotto kann wegen des neuerlichen Skandals in Italien kein ruhiges Leben mehr führen. "Ich bin nach Deutschland gegangen, war Pizzabäcker und habe alles gekocht", sagt Pagotto. "Einige Italiener haben mich erkannt, aber mit dieser Arbeitskleidung war es schwierig."

Mittlerweile scheint der heute 48-Jährige mit dem Fußball aber seinen Frieden gefunden zu haben. Bei US Avellino, dem Drittligisten aus seiner Heimatstadt im Süden Italiens, arbeitet Pagotto seit 2019 als Torwart-Trainer. Genug zu erzählen hat er seinen Jungs ganz bestimmt.

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