Thomas Tuchel Andreas Ivanschitz Mainz 05 2011Getty Images

Andreas Ivanschitz im Interview: "Bei Tuchels negativem Feedback muss man sehr stark sein"


EXKLUSIV

Andreas Ivanschitz spielte im Laufe seiner Karriere in sechs verschiedenen Ländern, ehe er seine aktive Laufbahn im vergangenen Herbst beendete. Im Interview mit Goal und SPOX erinnert er sich an seine Ex-Trainer Lothar Matthäus, Giovanni Trapattoni und Thomas Tuchel.

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Außerdem erzählt Ivanschitz von der gänzlich anderen Fankultur in den USA, wo er für die Seattle Sounders spielte, spricht über seinen umstrittenen Wechsel vom SK Rapid Wien zu RB Salzburg und über seine unbeschwerte Kindheit - ohne Konsolen, aber mit viel Sport und Musik.

Herr Ivanschitz, im vergangenen Herbst beendeten Sie Ihre aktive Karriere. Was hat den Ausschlag gegeben?

Andreas Ivanschitz : Nachdem mein Vertrag bei Viktoria Pilsen im Sommer ausgelaufen ist, wollte ich eigentlich weitermachen, aber es hat sich leider keine interessante Herausforderung aufgetan. Dann habe ich einige Wochen und schlaflose Nächte verstreichen lassen und irgendwann den Entschluss gefasst, aufzuhören. Das zu akzeptieren, war schwierig. Aber irgendwann kommt dieser Zeitpunkt für jeden. Mittlerweile bin ich mit der Entscheidung voll zufrieden.

Wie sieht jetzt Ihr Alltag aus?

Ivanschitz : Ich lebe mit meiner Familie noch in Prag, weil meine Kinder dort zur Schule gehen. Bis Sommer müssen wir entscheiden, wohin wir unseren Lebensmittelpunkt langfristig verlegen. Beruflich werde ich dem Fußball immer verbunden bleiben - dafür versuche ich mein Netzwerk zu nutzen, das ich mir während meiner aktiven Karriere aufgebaut habe. Aktuell kommentiere ich als Freelancer Spiele für DAZN, was mir viel Spaß bereitet. Ich schaue einfach wahnsinnig gerne Fußball. Vorstellen könnte ich mir auch, einmal als Trainer zu arbeiten. Ich bin aber keiner dieser Ex-Spieler, die sofort nach dem Karriereende sagen, dass sie unbedingt Trainer werden wollen.

Im Laufe Ihrer Karriere spielten Sie in sechs verschiedenen Ländern. Wo hatten Sie die schönste Zeit?

Ivanschitz : Besonders in Erinnerung geblieben ist mir natürlich meine erste Auslandserfahrung in Athen bei Panathinaikos. Das Leben war top und der Verein versprühte mit seiner Geschichte ein internationales Flair. Sportlich hatte ich meine beste Zeit in Mainz. Hinsichtlich des Gesamtpakets ist Levante ganz vorne: die Lebensqualität, die Sprache und der spanische Fußball, den ich immer schon liebe.

Von 2015 bis 2017 waren sie in den USA bei den Seattle Sounders aktiv. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Ivanschitz : Das Ambiente bei den Spielen. Anders als bei uns in Europa gibt es dort keine Ultras, aber die Stimmung ist trotzdem speziell. Die Vereine versuchen, jedes Spiel zu einem besonderen Event zu machen. Bei uns im Stadion gab es eine Blaskapelle und immer wieder tolle Choreografien. Man läuft mehr oder weniger auf einem roten Teppich ins Stadion ein und dann singen die Heim- und Auswärtsfans gemeinsam die amerikanische Nationalhymne. Die Nation steht in den USA über dem Klub. Als Europäer ist es interessant, diesen Patriotismus mitzuerleben. Ich habe jedes Mal eine Gänsehaut bekommen. Für immer in Erinnerung bleiben wird mir natürlich auch unser MLS-Meistertitel von 2016 - das bei dem Playoff-System zu schaffen, ist besonders.

Andreas Ivanschitz Cristian Roldan Seattle Sounders MLS 07132016

Blicken wir zurück auf den Beginn Ihrer Karriere: Sie debütierten im Mai 2000 in der österreichischen Bundesliga für den SK Rapid. Ein Jahr später übernahm Lothar Matthäus den Trainerposten. Wie war er als Trainer?

Ivanschitz : Jedes Mal, wenn ich zum Training gegangen bin, habe ich nur gedacht: "Wow, ein richtiger Weltstar bei uns in Wien!" Alles, was er sagte und machte, habe ich wie ein Schwamm aufgesaugt. Was mich an ihm beeindruckt hat, war sein unbändiger Siegeswille. Er war damals noch herausragend fit und hat uns das immer wieder gerne unter Beweis gestellt.

Inwiefern?

Ivanschitz : Manchmal hat er bei Trainingsturnieren mitgespielt. Dann gewann seine Mannschaft immer und er war am Ende immer Torschützenkönig. Das war Wahnsinn.

Mit einer großen Trainerkarriere hat es bei ihm aber nicht geklappt. Warum?

Ivanschitz : Vielleicht wollte er selbst nicht höher arbeiten. Das eine Jahr bei uns war zwar leider nicht erfolgreich, aber ich habe ihn als tollen Trainer kennengelernt. In Sachen Trainingsphilosophie und Taktik hatte er eine gute Grundidee.

2006 begegneten Sie Matthäus in Salzburg erneut, er arbeitete als Co-Trainer von Giovanni Trapattoni. War er damals noch genauso fit?

Ivanschitz : Ja. Und ich bin mir sicher, dass sich das bis heute nicht geändert hat. Ich habe ihn länger nicht mehr persönlich gesehen, aber bei seinen Expertenauftritten bei Sky wirkt er immer noch sehr frisch und fit.

Wie klappte die Zusammenarbeit zwischen Matthäus und Trapattoni?

Ivanschitz : Im Training gab es immer wieder Wortgefechte, aber bei den Spielen traten sie als Einheit auf. Sie sind beide sehr starke Persönlichkeiten und hatten natürlich manchmal unterschiedliche Sichtweisen - unter anderem auch in Bezug auf meine Person. Matthäus war ein Befürworter von mir und unterstützte mich immer. Wir hatten eine besondere Beziehung zueinander. Trapattoni baute nicht wirklich auf mich und das war auch der Grund, warum ich Salzburg nach nur einem halben Jahr wieder verließ. Er war mir gegenüber aber immer ehrlich. Jahre später habe ich ihn bei einem Länderspiel gegen Irland, wo er Nationaltrainer war, getroffen. Als er mich sah, ist er mir um den Hals gefallen und meinte: "Ich habe deine Karriere ganz genau verfolgt und bin sehr, sehr stolz auf dich."

Die Zeit in Salzburg war wohl die schwierigste Ihrer Karriere. Sie wurden nach dem Wechsel von Ihrem Jugendklub SK Rapid nach Salzburg stark angefeindet. Was sind Ihre Erinnerungen daran?

Ivanschitz : Mit diesem unglaublichen Ausmaß an Hass habe ich nicht gerechnet. Gewisse Sachen habe ich schon verdrängt, andere bleiben mir sicherlich ewig. Ich habe unter dem Abschied von Rapid gelitten und lange gebraucht, um das alles zu reflektieren und zu verarbeiten. Letztlich haben mich diese Anfeindungen als Mensch aber weitergebracht. Seitdem durchdenke ich jede Entscheidung noch genauer.

War der Wechsel im Nachhinein gesehen ein Fehler?

Ivanschitz : Da ich letztlich nur ein halbes Jahr in Salzburg war, wäre es wohl besser gewesen, wenn ich gleich den Schritt direkt ins Ausland gewagt hätte.

Was hat den Ausschlag für den Wechsel gegeben?

Ivanschitz : Es hat mich damals sehr gereizt, mit diesem jungen Verein etwas ganz Neues zu prägen. Das war sehr verlockend und ich erachte den Klub neutral betrachtet auch als ausschließlich positiv. Bis heute betreibt Salzburg tolle Werbung für den österreichischen Fußball. Außerdem wollte ich damals einfach raus aus meiner Komfortzone und etwas erleben. Wer nichts ausprobiert, bleibt in seiner Entwicklung stehen. Letztlich war dieser Wechsel der Startschuss für mein Abenteuer durch die große Fußballwelt.

Im Sommer 2008 führte Sie dieses Abenteuer zurück nach Österreich: Heim-Europameisterschaft. Welcher Moment des Turniers hat sich bei Ihnen am meisten eingebrannt?

Ivanschitz : Als ich die Mannschaft im ersten Spiel gegen Kroatien als Kapitän aufs Feld führte, habe ich mich um 360 Grad gedreht und nur gedacht: "Wow!" Da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Egal, wen man viele Jahre danach fragt, jeder bekommt ein Leuchten in den Augen. Wir wurden damals von der Euphorie getragen, hatten aber leider großes Pech. Der Elfmeter gegen Kroatien, unser Chancenwucher gegen Polen und dann Michael Ballacks Freistoßtor zum 0:1 gegen Deutschland.

Haben Sie von dem Freistoß mal geträumt?

Ivanschitz : Nicht nur einmal.

Von 2009 bis 2013 spielten Sie in Deutschland für den 1. FSV Mainz 05 mit Trainer Thomas Tuchel.

Ivanschitz : Vom Gesamtpaket her war er der beste Trainer, den ich in meiner Karriere hatte. Seine Trainingsgestaltung, Matchvorbereitung und Matchanalyse waren top. Er war unglaublich akribisch, stellte vor dem Training jedes Hütchen selbst auf. Vor allem in seinen ersten Monaten im Amt versprühte er eine unglaubliche Dankbarkeit, dass er diese Chance bekommen hat. Mit seiner Positivität, Fröhlichkeit und Energie hat er uns von der ersten Sekunde an angesteckt.

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Bei seinem Abschied von Borussia Dortmund wurden ihm zwischenmenschliche Defizite nachgesagt. Können Sie das nachvollziehen?

Ivanschitz : Ich verstehe jeden Spieler, der Tuchel anstrengend findet. Er ist ein Trainer, der aus Spielersicht sehr unangenehm werden kann - aber nur, weil er ständig möchte, dass man sich verbessert. Wenn er merkt, dass man es im Training auch nur einen Tick langsamer angehen lässt, setzt er sofort kleine Spitzen. Mir persönlich hat das gutgetan, aber man muss mental sehr stark sein, um mit seinem negativen Feedback umgehen zu können und es in positive Energie umzumünzen. Manchen Spielern gelingt das, anderen nicht. Ich habe mich während meiner Zeit mit Tuchel zwar sehr oft über ihn geärgert, aber er hat mich als Spieler und Mensch auf ein höheres Niveau gehoben. Seine direkte Art hat mich an meine griechischen Trainer erinnert, die ähnlich auf Konfrontationskurs gingen.

Ein ganz anderes Thema: Musik. Sie haben als Kind in einer Blaskapelle gespielt. Wie kam es dazu?

Ivanschitz : Mein Vater war ein sehr erfolgreicher Musiker und deshalb war mir und meinen beiden Brüdern dieses Talent in die Wiege gelegt. Wir sind gerne zur Schule gegangen, waren begeisterte Fußballer und haben Musikinstrumente gelernt. Das war mein perfektes Dreieck und hat mich von blöden Gedanken abgehalten. Die Blaskapelle war in meiner Heimatgemeinde Baumgarten gesellschaftlich eine super Sache. Da kamen die Leute zusammen.

Blieb Ihnen die Musik während der aktiven Karriere als Fußballer erhalten?

Ivanschitz : Ich habe als Kind Klavier und Oboe gelernt. Als ich mit 13 Jahren nach Wien zu Rapid wechselte, habe ich die Oboe aufgegeben, weil das sonst zu kompliziert geworden wäre. Klavier habe ich aber immer mal wieder gespielt, das kann man nebenbei relativ einfach weiterverfolgen. Manchmal hole ich meine alten Noten heraus, setze mich ans Klavier und spiele einfach drauflos. Dabei kann ich komplett abschalten. Musik ist mir nach wie vor sehr wichtig und ich versuche, das auch auf meine Kinder zu übertragen. Meine Tochter spielt Klavier und mein Sohn Gitarre. Das macht mich stolz und glücklich.

Wie steht es um das fußballerische Talent?

Ivanschitz : Mein Sohn ist sehr talentiert und spielt bei einem Klub in Prag. Er wird bald zwölf und ich denke, dass er auf einem guten Weg ist. Wenn ich beobachte, mit wie viel Freude er Sport und Musik verfolgt, sehe ich viele Parallelen zu meiner Kindheit.

Was sind Ihre prägenden Erinnerungen an Ihre Kindheit?

Ivanschitz : Jeder kam um halb zwei von der Schule heim, hat schnell etwas gegessen und eine halbe Stunde später haben wir uns alle draußen getroffen. Im Sommer spielten wir auf der Straße Fußball. Wenn der Teich im Winter zugefroren war, stand Eishockey auf dem Programm. Als ein Freund von mir mal einen Basketballkorb geschenkt bekam, gab es auch eine Phase, in der wir nur Basketball spielten. Ich hatte eine sehr unbeschwerte Kindheit - das gibt es heute in der Form nicht mehr oft.

Warum?

Ivanschitz : Eltern sind heute viel vorsichtiger, das merke ich auch an mir selbst. Ich habe meinen Eltern damals einfach gesagt, dass ich jetzt mit dem Fahrrad losfahre und das hat sie nicht wirklich gekümmert. Die wussten, dass ich eh nie alleine bin und wir Jungs gegenseitig aufeinander aufpassen. Heute machen sich die meisten Eltern viel mehr Sorgen und möchten alles kontrollieren. Viele Kinder haben aber auch gar nicht mehr das Bedürfnis danach, weil es andere Verlockungen gibt - zum Beispiel Konsolen.

Wie sieht das bei Ihren Kindern aus?

Ivanschitz : Meine Tochter interessiert das gar nicht. Mein Sohn fragt hin und wieder, ob er auf der Xbox FIFA spielen darf, aber das ist alles im Rahmen. Bisher musste ich keine Zeitbegrenzungen setzen.

Haben Sie schon mal gegen ihn gespielt?

Ivanschitz : Ja, aber ich hatte natürlich keine Chance. Mich interessierte FIFA nie. Wenn meine Mitspieler im Trainingslager zockten, saß ich immer daneben und habe zugeschaut.

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