Getty ImagesZum Abschluss ein Akt der Verzweiflung! Die irrsinnige Transferphase des FC Bayern München
Nicolas Jackson kommt per einjähriger Leihe für eine Gebühr von 16,5 Millionen Euro vom FC Chelsea. Das macht ihn zum zweitteuersten Leihspieler der Fußballgeschichte nach dem spanischen Torjäger Alvaro Morata, der 2019/20 ebenfalls von Chelsea für 18 Millionen zu Atletico Madrid wechselte. Die bis dato teuersten Leihspieler des FC Bayern waren Philippe Coutinho (8,5 Millionen) und James Rodriguez (13 Millionen für zwei Jahre).
Morata, Coutinho und James eint, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Leihen als Weltklassespieler galten. Ein Status, der auf Nicolas Jackson nicht zutrifft. Der 24-jährige Senegalese wechselte vor zwei Jahren für 37 Millionen vom FC Villarreal nach London, schoss seitdem 30 Tore in 81 Einsätzen, zuletzt rutschte er in Chelseas Stürmer-Ranking ab. Gute, aber keine herausragenden Zahlen. Für die einjährige Leihe holt Chelsea dennoch fast die Hälfte der damals investierten Summe wieder rein.
Kommenden Sommer besitzt der FC Bayern eine Kaufoption in Höhe von 65 Millionen, die bei einer bestimmten (dem Vernehmen nach sehr hohen) Anzahl an Einsätzen zur Kaufpflicht wird. Für diese Summe wäre übrigens auch der wochenlang intensiv umworbene, absolute Wunschspieler Nick Woltemade zu haben gewesen.
Eine nette Pointe in dieser selbst für Münchner Verhältnisse höchst irrsinnigen - und höchst frustrierenden - Transferphase. Wohl nie zuvor platzten in so kurzer Zeit so viele angedachte Transfers von - teilweise sogar öffentlich - umworbenen Wunschspielern. Wohl nie zuvor agierten die Münchner Bosse auf dem Transfermarkt insgesamt derart unglücklich.
Getty Images SportJonathan Tah und Tom Bischof unterschrieben frühzeitig
Das Theater ging schon im Frühling los mit Vertragsverlängerungen, gerne als "interne Transfers" bezeichnet. Thomas Müller wurde zunächst öffentlich versprochen, selbst über seine Zukunft entscheiden zu dürfen. Er wollte dann bleiben, durfte aber nicht. Leroy Sane und Eric Dier wollte der FC Bayern halten, ihre Verlängerungen platzten aber jeweils. Besonders spektakulär bei Sane, der die Münchner Bosse mit einem Beraterwechsel kurz vor der von Sportvorstand Max Eberl bereits öffentlich in Aussicht gestellten Unterschrift völlig überrumpelte.
Besser lief es zunächst bei externen Transfers: Ablösefrei sicherte sich der FC Bayern im Frühling zwei deutsche Nationalspieler. Mittelfeldspieler Tom Bischof von der TSG Hoffenheim und Innenverteidiger Jonathan Tah von Bayer Leverkusen. Überraschend kompliziert und kostspielig stellte sich anschließend aber der Poker mit ihren abgebenden Klubs um die Spielberechtigungen der beiden bei der Klub-WM dar. Letztlich überwiesen die Münchner zusammengerechnet 2,3 Millionen Euro.
Das vergebliche Werben um Florian Wirtz und Nick Woltemade
Auf Bischof und Tah sollten eigentlich noch zwei weitere Nationalspieler folgen: Florian Wirtz und Nick Woltemade. Um beide buhlte der FC Bayern wochenlang öffentlichkeitswirksam, beide landeten letztlich aber in der Premier League - und zwar aus unterschiedlichen Gründen. Wirtz' Transfer scheiterte am Spieler selbst, die Pläne des FC Liverpool überzeugten ihn mehr als die bayerischen. Woltemades Transfer scheiterte am Geld, das Münchner Maximalgebot in Höhe von bis zu 60 Millionen Euro lag unter den Forderungen des VfB Stuttgart.
Stattdessen wechselte Woltemade für 85 Millionen Euro zu Newcastle United, womit sich vor allem Lothar Matthäus bestätigt fühlen darf. Frühzeitig nannte der TV-Experte eine Ablösesumme in Höhe von 80 bis 100 Millionen Euro als realistischen Rahmen. Klub-Patron Uli Hoeneß konterte daraufhin, dass Matthäus "nicht mehr alle Tassen im Schrank" habe.
Statt Tassen im Schrank fehlten Hoeneß' FC Bayern vor allem Offensivspieler im Kader. Nach den Abgängen von Müller, Sane und Mathys Tel, nach der Absage von Wirtz und in Anbetracht der festgefahrenen Situation bei Woltemade sondierten die Münchner den internationalen Markt. Gehandelt wurden Nico Williams, Bradley Barcola, Cody Gakpo, Kaoru Mitoma, Rafael Leao, Eberechi Eze und viele mehr - verpflichtet wurde Ende Juli Luis Diaz.
Der 28-jährige Kolumbianer kam für 70 Millionen Euro vom FC Liverpool. Mit seinen unbestrittenen sportlichen Qualitäten ist Diaz eine Soforthilfe, das bewies er schon bei seinen ersten Einsätzen. Fragen wirft aber sein Alter auf, einen entsprechend hohen Wiederverkaufswert dürfte Diaz nämlich kaum haben.
Getty Images SportFC Bayern: Der Verkauf von Kingsley Coman sorgte für Handlungsdruck
Nach der Diaz-Verpflichtung schien der Kader quantitativ zumindest tragbar aufgestellt. Doch dann verkaufte der FC Bayern ohne Not den noch bis 2027 gebundenen Kingsley Coman für eine verhältnismäßig niedrige Ablösesumme von nur 25 Millionen Euro an Al-Nassr. "Was jetzt nicht unbedingt der Plan war", wie Eberl freimütig einräumte. Mit Blick auf die nun ausgehandelte Leihgebühr für Jackson erscheint der Verkauf für diese Summe noch fragwürdiger.
Durch Comans Abschied erhöhte sich der gerade erst gesunkene Handlungsdruck schon wieder: Die Verpflichtung eines weiteren Offensivspielers war nun erneut praktisch unausweichlich. Spätestens aber, als sich kurz darauf auch Paul Wanner verabschiedete. Ein weiterer Offensivspieler, ein weiteres talentiertes Eigengewächs.
Wie zuvor Adam Aznou und wie später Jonah Kusi-Asare sah Wanner unter Trainer Vincent Kompany keine Aussicht auf ausreichend Spielpraxis. Beim zum FC Everton abgewanderten Aznou sicherte sich der FC Bayern immerhin ein Matching Right, bei Wanner und dem am Deadline Day mit Kaufoption an den FC Fulham verliehenen Kusi-Asare (noch nicht offiziell verkündet) eine Rückkaufklausel.
Uli Hoeneß machte die Transfer-Situation noch komplizierter
Weiter verkomplizierte sich die ohnehin höchst komplexe Situation durch eine Ansage von Hoeneß. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung bekundete er, dass als Ersatz für Coman (und Wanner) nur noch ein Leihspieler kommen soll.
Unabhängig davon, ob diese Entscheidung an sich sinnvoll war oder nicht: Ihre öffentliche Kommunikation schwächte die Münchner Verhandlungsposition und sorgte für neue öffentliche Debatten. Mit Blick auf den damals immer noch in Stuttgart schmorenden Woltemade erwiderte Eberl fast schon spöttisch: "Vielleicht leiht Stuttgart ihn nochmal an uns. Wir können ja leihen." Wenig später unterschrieb Woltemade in Newcastle.
Mit seinen permanenten öffentlichen Wortmeldungen erschwerte Hoeneß die Transfer-Bemühungen der operativen Führung um Eberl auch in dieser Transferphase, schon das vergebliche Werben um Wirtz und Woltemade begleitete er kommentierend. Aber auch Eberl leistete sich im Zuge der Transferphase überflüssige öffentliche Wortmeldungen und Wasserstandsmeldungen - wie zuvor schon bei den Vertragsgesprächen mit Müller und Sane.
Getty ImagesDrama um Nicolas Jackson und ein Vorstoß wegen Xavi Simons
Je näher das Ende der Transferphase rückte, desto größer wurde die Nervosität. "Wir haben nicht die Breite", klagte Trainer Vincent Kompany nach dem Bundesliga-Auftakt gegen RB Leipzig. Kompany soll sich vehement für eine Verpflichtung von Xavi Simons eingesetzt haben, Leipzig eine Leihe aber grundsätzlich ausgeschlossen haben. Laut Sport Bild reiste Kompany höchstpersönlich zu Hoeneß an den Tegernsee, um ihn von einem Umdenken bei seiner Leihspieler-oder-nix-Ansage zu bewegen, während Eberl einen Simons-Kauf vorbereitete. Vergeblich. Letztlich wechselte Simons für 65 Millionen Euro zu Tottenham Hotspur.
Am Samstag schien der FC Bayern dann doch noch den gewünschten Leihspieler gefunden zu haben: Nicolas Jackson vom FC Chelsea. Die beiden Klubs waren sich über eine Leihgebühr von 15 Millionen Euro ohne Kaufpflicht einig, Jackson selbst schon zum Medizincheck in München. Eberls persönliches Horrorszenario war da schon längst eingetroffen. "Tatsächlich will ich ungern in die Situation kommen, dass man am vorletzten oder drittletzten Tag vor Ende noch pokert", hatte Eberl nach dem Sieg gegen Leipzig gesagt. "Das wollen wir nicht."
Doch es wurde sogar noch schlimmer: Weil sich Chelsea-Angreifer Liam Delap verletzte, ließ Chelsea die bereits ausgehandelte Jackson-Leihe am Sonntag vorerst platzen. Chelsea wusste um die große Not des FC Bayern, der durch Hoeneß' Vorgabe in seinen Möglichkeiten zudem massiv eingeschränkt war, was intern wohl nicht nur bei Kompany für einen Hauch Unverständnis sorgte. Letztlich stimmte Chelsea einer Leihe doch zu, für eine noch etwas höhere Summe als zunächst angedacht sowie einer möglichen Kaufpflicht, die die Münchner eigentlich verhindern wollten
FC Bayern: Weniger Spieler, weniger Gehalt - mehr Chancen für Talente?
Durch Jacksons Transfer hat der Kader des FC Bayern eine gerade noch tragbare Mindestgröße angenommen. Die Anzahl an gestandenen Feldspielern hat sich dennoch von 21 auf 19 verringert. Mit Hiroki Ito, Alphonso Davies und Jamal Musiala fehlen drei davon noch länger verletzt.
Insgesamt sparten die Münchner in dieser Transferphase - wie vom Aufsichtsrat um Hoeneß gefordert - ordentlich Gehalt ein. Die nominelle Startelf braucht sich europaweit vor keiner Mannschaft zu verstecken, die Bank ist aber eine der schmalsten aller Topklubs. So verbesserten sich immerhin die Einsatzchancen für die (verbliebenen) jungen Eigengewächse, vor allem Lennart Karl. Sofern ihnen Kompany auch vertraut. Beim 3:2 gegen den FC Augsburg saß Karl 90 Minuten lang auf der Bank, obwohl der Trainer noch zwei Wechsel offen hatte.
FC Bayern München: Alle Zugänge der Sommer-Transferphase
Spieler abgebender Klub Ablöse Luis Diaz (28) FC Liverpool 70 Millionen Jonathan Tah (29) Bayer Leverkusen 2 Millionen Tom Bischof (19) TSG Hoffenheim 300.000 Nicolas Jackson (24) FC Chelsea Leihe (Gebühr 16,5 Millionen) FC Bayern München: Alle Abgänge der Sommer-Transferphase
Spieler aufnehmender Klub Ablöse Mathys Tel (20) Tottenham Hotspur 35 Millionen (zuvor verliehen) Kingsley Coman (29) Al-Nassr 25 Millionen Paul Wanner (19) PSV Eindhoven 15 Millionen (zuvor verliehen) Adam Aznou (19) FC Everton 9 Millionen (zuvor verliehen) Frans Krätzig (22) RB Salzburg 3,5 Millionen (zuvor verliehen) Gabriel Vidovic (21) Dinamo Zagreb 1,2 Millionen Leroy Sane (29) Galatasaray ablösefrei Thomas Müller (35) Vancouver Whitecaps ablösefrei Eric Dier (31) AS Monaco ablösefrei Joao Palhinha (30) Tottenham Hotspur Leihe (Gebühr 5 Millionen) Jonah Kusi Asare (18) FC Fulham Leihe (noch nicht offiziell verkündet) Bryan Zaragoza (23) Celta Vigo Leihe (Gebühr 1 Million, zuvor ebenfalls verliehen) Daniel Peretz (25) Hamburger SV Leihe (Gebühr 250.000) Arijon Ibrahimovic (19) Heidenheim Leihe (zuvor ebenfalls verliehen) Maurice Krattenmacher (19) Hertha BSC Leihe (zuvor ebenfalls verliehen) Lovro Zvonarek (20) Grasshoppers Zürich Leihe (zuvor ebenfalls verliehen) Tarek Buchmann (20) Nürnberg Leihe

