"Wir müssen eine Faust sein, denn die tut mehr weh als eine Schelle", sagte BVB-Trainer Niko Kovac vor dem Gipfeltreffen in München. Das Resultat: Dortmund war weder Faust noch Schelle - der FC Bayern dafür gewissermaßen beides. Die Dominanz der ersten Halbzeit war die Faust, das Endergebnis nach der ausgeglichenen zweiten Halbzeit die Schelle. Welcher der beiden sehr unterschiedlichen Schläge Kovac und den Dortmundern wohl mehr wehgetan hat?
Getty Images SportWas wäre, wenn? Über dem beeindruckenden Siegeszug des FC Bayern schwebt ein Damoklesschwert
In der ersten Halbzeit spielte der FC Bayern den BVB mit beeindruckender Selbstverständlichkeit her. 11:0 Schüsse, 74 Prozent Ballbesitz. Die Münchner hätten deutlich höher als 1:0 führen müssen, vor allem Luis Diaz erwies sich mal wieder als Chancentod. "Sehr, sehr gut", fand Sportvorstand Max Eberl den Auftritt. "Offensive, Defensive, Gegenpressing - alles hat funktioniert."
Ob Dortmund zu schlecht war? "Wir waren gut", fuhr Eberl dazwischen. So sah es übrigens auch Dortmunds Trainer Kovac, der die eigene Unterlegenheit bei der anschließenden Pressekonferenz auf Harry Kanes tiefe Positionierung zurückführte. Diese Analyse ist ein Armutszeugnis für Kovac selbst, überraschend kam Kanes Quarterback-Rolle nämlich nicht. Schon bei den bisherigen Spielen mit Nicolas Jackson in der Startelf hatte sich Kane weit zurückfallen lassen.
Nach der Pause stockte das Münchner Spiel plötzlich. Auch, weil Dortmund aggressiver in die Zweikämpfe ging und mehr foulte. Nun glänzte der FC Bayern anders als in der ersten Halbzeit nicht mit spielerischen Qualitäten, sondern mit kämpferischen - bewies Widerstandsfähigkeit und schaukelte den knappen Sieg ins Ziel. Für Eberl war "das gemeinschaftliche Arbeiten und Verteidigen in der zweiten Halbzeit" sogar der Schlüssel zum Sieg. Kimmich sprach insgesamt von einem "sehr kompletten Sieg, weil viel dabei war". Es war nicht das perfekte Spiel des FC Bayern, aber die perfekte Mischung.
FC Bayern: Der erste Kampfsieg in einem Topspiel
Das Zustandekommen dieses Sieges gegen den BVB bestärkt die Hoffnungen des FC Bayern auf eine erfolgreiche Saison weiter. Mit einer Situation wie in der zweiten Halbzeit hatten sich die Münchner bei den bisherigen Topspielen nämlich noch nicht konfrontiert gesehen. Die Duelle mit RB Leipzig, Eintracht Frankfurt und auch dem FC Chelsea waren allesamt ohne Kontrollverlust frühzeitig entschieden. Die Erfahrung, Widerständen wie nun gegen Dortmund getrotzt zu haben, kann sich noch als wichtig erweisen.
Dieser "komplette Sieg" gegen den BVB war der elfte Erfolg im elften Pflichtspiel, womit der FC Bayern seinen Rekord-Start weiter ausgebaut hat. Nach dem siebten Spieltag führt der FC Bayern das Klassement der Bundesliga bereits mit fünf Punkten Vorsprung an, auch in der Champions League sind die Münchner Tabellenführer.
Getty Images SportDas Damoklesschwert über dem Siegeszug des FC Bayern
Ganz klar zeigte sich gegen Dortmund aber auch das Damoklesschwert, das über dem Siegeszug des FC Bayern schwebt: und zwar der dünne Kader. Auf den Außenverteidiger-Positionen muss Trainer Vincent Kompany schon seit Wochen improvisieren, worunter die Spielqualität übrigens erstaunlich wenig leidet. Nun bereitet erstmals die Offensive Sorgen. Weil neben dem Langzeitverletzten Jamal Musiala kurzfristig auch noch Serge Gnabry ausfiel, rückte Jackson in die Startelf. Und schon hatte Kompany keine arrivierte Alternative für die Offensive mehr auf der Bank.
Nach einer Stunde brachte er Leon Goretzka für Jackson, Aleksandar Pavlovic musste daraufhin ungewohnt offensiv spielen. Was, wenn die Münchner zu diesem Zeitpunkt nicht in Führung gelegen, sondern ein Tor gebraucht hätten? Die einzigen echten offensiven Wechsel-Optionen waren die zwar zweifellos talentierten, aber sehr unerfahrenen und für eine derartige Situation in einem Topspiel (noch) eher ungeeigneten Lennart Karl (17) und Wisdom Mike (17). Mit Abstrichen vielleicht auch Raphael Guerreiro, für wirkliche Torgefahr steht er aber nicht, zudem musste er zuletzt selbst angeschlagen passen.
Zur Erinnerung: Es fehlten lediglich Musiala und Gnabry. Nicht unwahrscheinlich, dass irgendwann in dieser Saison mehr als zwei Offensivspieler ausfallen (oder überspielt sind). Dann hätte Kompany bereits für die Startelf-Besetzung ein Problem. Sollte Kane fehlen, wäre das Wort "Problem" noch eine Untertreibung. Der FC Bayern ist aktuell vom 32-jährigen Engländer abhängig.
Kane fungiert längst nicht mehr nur als Torjäger. Er ist - wie auch Kovac feststellen musste - gleichzeitig Spielmacher, ohne dadurch aber seine Torgefahr zu verlieren. Die beiden Treffer stehen exemplarisch: Das 1:0 erzielte Kane per Kopf selbst, das 2:0 leitete er mit einem weiten Pass ein.



