November 2007. Karl-Heinz Rummenigge war "wirklich stocksauer", wie er freimütig mitteilte. Sein FC Bayern hatte gerade im UEFA-Cup gegen die Bolton Wanderers gepatzt. Für den Vorstandsvorsitzen war klar: Schuld ist die Rotation von Trainer Ottmar Hitzfeld, der angesichts des straffen Spielplans einigen Stammspielern Pausen gegönnt hatte. "66.000 Zuschauer haben das Recht darauf, die beste Mannschaft zu sehen und nichts anderes", polterte Rummenigge. "Fußball ist keine Mathematik. Das finde ich nicht okay."
IMAGO / Sven SimonVon "stocksauer" zu "herausragend": Der FC Bayern profitiert aktuell von Vincent Kompanys Strategie
Dreesen: "Der Trainer macht das herausragend"
In den 18 Jahren seitdem ist viel passiert: Der UEFA-Cup heißt jetzt Europa League, Bolton spielt in der englischen Drittklassigkeit, in die Allianz Arena passen 75.000 Zuschauer, Rummenigge hat neulich seinen 70. Geburtstag gefeiert - und Rotation ist beim FC Bayern plötzlich en vogue. Ein kurzer Abriss der vergangenen Tage: 3:1 gegen den FC Chelsea, fünf Startelf-Wechsel, 4:1 gegen die TSG Hoffenheim, vier Startelf-Wechsel, 4:0 gegen Werder Bremen.
"Der Trainer macht das herausragend", bekundete Jan-Christian Dreesen, Rummenigges Nach-Nachfolger als Vorstandsvorsitzender. "Jeder Spieler bekommt eine Chance." Aktuell zahlt sich Vincent Kompanys Rotation voll aus. Im Hier und Jetzt. Mit Blick auf die Zukunft vielleicht aber sogar noch mehr.
FC Bayern: Bester Saisonstart seit 2016/17 unter Carlo Ancelotti
Der FC Bayern hat die ersten acht Pflichtspiele allesamt gewonnen, erstmals seit der Spielzeit 2016/17 unter Trainer Carlo Ancelotti. Fünf Siege mit einem Tordifferenz von 22:3 ist gleichzeitig der beste Start in eine Bundesliga-Saison der Geschichte. Mit dem Erfolg gegen Klub-Weltmeister Chelsea gelang zudem ein echtes Statement. Die Münchner spielen gerade konstant erfolgreich, schön und souverän gleichermaßen - das gab es über einen derartigen Zeitraum schon länger nicht mehr.
Die Rotation behindert diesen Erfolgslauf offensichtlich nicht, gleichzeitig dient sie als Zukunftsvorsorge. Einmal, weil hauseigene Talente Spielpraxis bekommen - in der vergangenen Saison noch eine Ausnahme. Lennart Karl kommt regelmäßig zum Einsatz, gegen Werder feiert der gerade 17-jährige Wisdom Mike sein Pflichtspieldebüt.
Zukunftsvorsorge ist die Rotation aber auch mit Blick auf die entscheidende Saisonphase im Frühling. Durch die regelmäßigen Wechsel bekommen nominelle Stammspieler Pausen, was das Verletzungsrisiko verringert. Und Reservisten Einsatzzeiten, was sie im Rhythmus hält - für den Fall der Fälle, dass es doch schwerwiegende Ausfälle gibt und sie in wichtigen Spielen gefordert sind.
Getty Images SportTom Bischof gefiel bei seinem Startelf-Debüt für den FC Bayern
Kompany hat diesbezüglich anscheinend seine Lehren aus der vergangenen Saison gezogen, vor allem mit Blick auf das Aus in der Champions League gegen Inter Mailand. "Ich spreche immer über dieses Spiel gegen Inter Mailand, als wir neun Verletzte hatten. Da musstest du den Kader nutzen", erinnerte Kompany nach dem Bremen-Spiel. "Wenn wir in dieser Saison erfolgreich sein wollen, dann müssen wir auf alle setzen. Sonst wird es nicht gehen."
Insgesamt vertraut der FC Bayern nun zwar auf einen kleineren Kader. Mit Jamal Musiala, Alphonso Davies und Hiroki Ito gibt es zudem drei Langzeitverletzte. Die verfügbaren Spieler sammeln derzeit aber allesamt regelmäßig Einsätze und dürften sich allesamt wichtig fühlen.
Beachtlich ist dabei, dass sich derzeit keiner in einem echten Formtief befindet - vielleicht mal abgesehen von Neuzugang Nicolas Jackson, der sich noch eingewöhnen muss. Lennart Karl feierte ein vielversprechendes Startelf-Debüt gegen Hoffenheim, Tom Bischof gefiel bei seinem ersten Einsatz von Beginn an gegen Werder, sogar Sacha Boey sorgte für einige positive Akzente.
FC Bayern: Nur Tah, Diaz und Kane immer in der Startelf
In den ersten acht Spielen berief Kompany bereits 19 verschiedene Spieler in die Startelf. Immer dabei waren lediglich Jonathan Tah, Luis Diaz und Harry Kane. Denkbar, dass sie am Dienstag gegen den FC Pafos Pausen bekommen. So wie zuletzt zweimal der einst rotationsbefreite Joshua Kimmich.
In der vergangenen Saison spielte Kimmich noch 50 von 54 Pflichtspielen durch. Er steckte die Belastung weg, andere nicht. Min-Jae Kim stand vergangene Hinrunde beispielsweise in jedem Pflichtspiel in der Startelf. Durch die Rückrunde plagte er sich dann mit Achillessehnenproblemen, baute auch deshalb sportlich ab - und patzte beim von Kompany erwähnten Inter-Spiel entscheidend.

