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Vom Scudetto-Anwärter zum sieglosen Schlusslicht: Bei der Fiorentina regiert nach dem schlimmsten Absturz in der Geschichte der Serie A das Chaos

Die Fiorentina gehört traditionell zu den sieben größten Klubs Italiens. In der vergangenen Saison wurde die Mannschaft aus der Toskana Sechster der Serie A, 2023 und 2024 erreichte man das Finale der Conference League - und verlor jeweils. Im zweiten Jahr unter Trainer Raffaele Palladino sollten diese Resultate in der Saison 2025/26 mindestens bestätigt werden.

Doch der Erfolgstrainer zog sich im Sommer 2025 völlig überraschend zurück und wurde durch Stefano Pioli ersetzt. Doch unter diesem fuhr die Fiorentina sportlich an die Wand, Anfang November wurde die Reißleine gezogen. Und unter dem neuen Coach Paolo Vanoli hat sich nichts gebessert. Nach 15 Partien hat das Team lächerliche sechs Punkte geholt und weiterhin keine einzige Partie in der Serie A gewonnen (zur Tabelle). Mittendrin: Der deutsche Nationalspieler Robin Gosens.

  • Udinese v Fiorentina - Serie AGetty Images Sport

    Von einer Verlängerung zum Rauswurf innerhalb von drei Wochen

    Am 7. Mai 2025 gab die Fiorentina bekannt, dass der Vertrag mit Erfolgstrainer Palladino um ein weiteres Jahr, bis 2027, verlängert worden war. Damit war dem Verein ein wichtiger Coup gelungen - man befand sich im Halbfinale der Conference League und befand sich in der Serie A auf Kurs Europapokal. Die Ambitionen waren groß.

    Doch drei Wochen später sah die Welt in der Toskana plötzlich anders aus: "In gegenseitigem Einvernehmen" gingen die AC und Palladino getrennte Wege - obwohl der Coach für den besten Ligaplatz seit neun Jahren verantwortlich war. Ein Streit mit Sportdirektor Daniele Prade soll der Grund dafür sein. "Ich sehe Fußball als Puzzle; alle Teile müssen zusammenpassen, damit es funktioniert", erklärte Palladino im September in einem Interview mit der Gazzetta dello Sport. "Ich bin stolz auf die Arbeit, die wir in Florenz geleistet haben, aber die Voraussetzungen, um gemeinsam voranzukommen, waren nicht mehr gegeben. Die Ideen und Visionen waren zu unterschiedlich." Obwohl er sich weigerte, ins Detail zu gehen, war es offensichtlich, dass Palladino damals nicht selbst gehen wollte. 

    Palladino hatte eine starke Bindung zu seiner Mannschaft aufgebaut. Er hatte Moise Kean (25 Tore in 2024/25) aufblühen lassen und konnte im Tor auf den erstarkten David de Gea bauen. Im Dezember 2024 galt Florenz sogar noch als Titelkandidat in der Serie A.

    Palladino traf der Abschied schwer: "Ich muss sagen, dass mich die Videoanrufe und Nachrichten der Jungs zu Tränen gerührt haben. Ich habe mit ihnen einige großartige Momente erlebt, aber auch einige sehr schwierige, sodass etwas Besonderes entstanden ist. Tatsächlich stehen wir auch heute noch in Kontakt."

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  • Schwacher Saisonstart als Vorbote - Sportdirektor als Sündenbock

    Zum Zeitpunkt des Interviews mit Palladino war bereits klar, dass sein Nachfolger Pioli nicht annähernd das gleiche Verhältnis zu den Spielern hatte. Aus den ersten vier Saisonspielen holte man nur zwei Punkte, der Start war in den Sand gesetzt. Besser lief es dagegen noch in der Conference League: Gegen Sigma Olmütz und Rapid Wien gewann die Viola jeweils.

    Die Wut der Fans richtete sich jedoch weniger gegen Pioli und seine Systemwechsel als vielmehr gegen Sportdirektor Prade. Im und um das Artemio-Franchi-Stadion wurden Aufkleber mit dem Gesicht des Sportdirektors auf einem Schweinekörper und dem Wort "Vattene" ("Verpiss dich") angebracht.

    Die Ultras des Vereins wollten ihn schon lange loswerden. Ohne ihn wäre das Team noch erfolgreicher gewesen, so ihr Gedanke. Wütend über den Verkauf von Topspielern wie Dusan Vlahovic und Nico Gonzalez an den verhassten Rivalen Juventus, der umstrittenen Logoänderung und eine angebliche mangelnde Verbundenheit mit den treuesten Fans des Vereins, hatte die Curva Fiesole bereits im Juni gefordert, dass Prade gehen sollte. "Alle Wege führen nach Rom... Nimm einen und verschwinde verdammt noch mal!", stand auf einem Banner, das am Trainingsgeländes des Vereins aufgehängt wurde.

  • ACF Fiorentina v US Lecce - Serie AGetty Images Sport

    Auch der Sportdirektor schmeißt hin - Pioli folgt

    Prade stellte sich vor Pioli und übernahm öffentlich die Verantwortung für den schlechtesten Start der Fiorentina in eine Serie-A-Saison seit mehr als 50 Jahren. Ein großes Problem war, dass der teure Neuzugang Roberto Piccoli, den Prade für 25 Millionen Euro Ablöse aus Cagliari geholt hatte, nicht einschlug. "Wenn es jemanden gibt, der uns aus dieser Situation herausholen kann, dann ist es Stefano Pioli", sagte Prade nach der 1:2-Niederlage bei der AC Mailand am 19. Oktober am Mikrofon von DAZN Italia. "Der Rest ist meine Schuld, die Proteste der Fans richten sich gegen mich, und das liegt daran, dass der Verein mir die Verantwortung für die Strategie übertragen hat."

    Der Sportdirektor führte aus: "Es gab auch andere Faktoren, die nicht geholfen haben: Unser Stadion ist eine Baustelle und wir können nicht alle unsere Fans dort haben, während wir in drei Wettbewerben spielen. Ich fühle mich schlecht gegenüber den Fans, dem Präsidenten (Rocco Commisso) und dem Trainer. Wenn jemand entlassen werden oder zurücktreten sollte, dann bin ich das."

    Am 29. Oktober verletzte sich dann auch noch Gosens im Ligaspiel bei Ex-Klub Inter Mailand. In der 78. Minute wurde der WM-Kandidat ausgewechselt und fehlt seitdem wegen einer Oberschenkelzerrung verletzt. Das Elend muss sich der 31-Jährige aktuell von außen ansehen.

    Kurz darauf gab es einen weiteren Knall im Verein: Sportdirektor Prade traf seine Entscheidung. Am 1. November, einen Tag vor dem Kellerduell mit Lecce, schmiss er hin. Doch auch das sorgte (natürlich) nicht für eine Besserung, zumindest nicht sofort. Nach der 0:1-Niederlage gegen Lecce musste dann auch Pioli gehen. Danach soll italienischen Medienberichten zufolge sogar über eine Rückholaktion Palladinos gesprochen worden sein - Direktor Alessandro Ferrari dementierte dies jedenfalls nicht.

    Letztlich fiel die Wahl jedoch auf Paolo Vanoli, er soll den Verein nun vor dem Unheil retten. "Ich bin stolz, wieder in Florenz zu sein", sagte der frühere italienische Nationalspieler, "einer Stadt, in der ich bereits gespielt habe und weiß, was es bedeutet, hier zu gewinnen." Doch auch er scheint vergessen zu haben, wie man ein Spiel in der Serie A erfolgreich bestreitet.

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  • Edin Dzeko kritisiert Fans wegen mangelnder Unterstützung

    Vanoli ist der erste Trainer der Fiorentina seit Ottavio Bianchi vor 23 Jahren, der keines seiner ersten vier Ligaspiele gewinnen konnte. Eigentlich hatte alles ordentlich begonnen, mit zwei Unentschieden in Folge auswärts bei Genua und zu Hause gegen Juve. Nach einer bitteren 0:1-Niederlage in der Conference League daheim gegen AEK Athen kritisierte der erfahrene Stürmer Edin Dzeko, einst in der Bundesliga unterwegs, die Stimmung im Artemio Franchi: "Man kann sagen, dass wir schlecht sind, dass wir es nicht verdienen, das Trikot zu tragen, das ist alles in Ordnung, kein Problem", sagte der bosnische Neuzugang bei Sky Sport Italia. "Wenn wir jedoch zu Hause spielen, brauchen wir die Unterstützung der Fans und nicht ihren Spott bei jedem Fehlpass. Wir müssen gemeinsam aus dieser Situation herauskommen, das ist nicht richtig. Wenn ihr buhen müsst, dann tut das nach dem Schlusspfiff, aber während des Spiels brauchen wir eure Unterstützung. Es stimmt, wir spielen nicht gut, aber wir brauchen trotzdem eure Hilfe."

    Dzeko führte aus: "Wir scheinen nicht in der Lage zu sein, zwei oder drei Pässe hintereinander zu spielen, und das ist für eine Mannschaft wie unsere nicht normal. Sobald ein Spieler einen Fehler macht, kommt es zu Buhrufen, sodass er beim nächsten Mal nervös wird und vielleicht keinen riskanten Pass mehr spielt oder den Ball gar nicht mehr haben will. Das macht alles noch schwieriger. Sonst dreht sich die negative Energie immer weiter im Kreis."

    Doch Dzekos Worte führten nicht zur gewünschten Reaktion. Die Fans reagierten verärgert - und Dzeko schlug verbal zurück. Nach der 0:2-Niederlage bei Atalanta Bergamo stellte er sich mit einem Megafon vor den Gästeblock und warb für mehr Support.

  • ACF Fiorentina v FC Dynamo Kyiv - UEFA Conference League 2025/26 League Phase MD5Getty Images Sport

    Vanoli nimmt Spieler in die Pflicht - Elfmeterstreit als Symbol

    Dzekos Aufruf schien dieses Mal besser zu fruchten. Am folgenden Wochenende reisten etwa 4.000 Fiorentina-Fans nach Reggio Emilia zum Spiel gegen Sassuolo. Was sie dort jedoch zu sehen bekamen, war jedoch eine der schlechtesten Leistungen ihrer Mannschaft in der bisherigen Saison. "Wir müssen uns bei unseren Fans entschuldigen", sagte Vanoli nach der 1:3-Niederlage. "Dieses Spiel war wie ein Symbol für unsere Probleme. Keine Ausreden mehr, wir brauchen Mut."

    Der Coach konkretisierte: "Es geht nicht um das System oder irgendetwas anderes, es geht darum, dass jeder Spieler für seinen Teamkollegen arbeitet, und das habe ich hier seit meiner Ankunft ehrlich gesagt noch nicht gesehen."

    Das totale Chaos, das den Verein erfasst hat, zeigte sich am besten bei dem  Elfmeter, den Florenz zur 1:0-Führung gegen Sassuolo nutzte. Vanoli behauptete im Anschluss, dass Albert Gudmundsson den Strafstoß nicht habe schießen wollen. Dies dementierte dieser später in den sozialen Medien, der Beitrag wurde jedoch schnell wieder gelöscht. Stattdessen stritten sich Rolando Mandragora und Moise Kean darüber, wer schießen dürfe.

    "Genug ist genug!" , sagte Vanoli anschließend. "Wir müssen dort draußen füreinander spielen und verstehen, dass jeder Ball entscheidend sein kann, egal ob im Angriff oder in der Verteidigung. Ich habe immer noch nicht den Schlüssel gefunden, um in die Köpfe dieser Jungs zu gelangen. Mein Fokus liegt jetzt darauf, Lösungen zu finden, Spieler zu finden, die für diesen Verein kämpfen können."

    Erfreulich für Vanoli war, dass seine Spieler im Conference-League-Spiel gegen Dynamo Kiew eine geschlossene Leistung zeigten. Sowohl Kean als auch Gudmundsson trafen beim 2:1-Sieg, der die Moral der Mannschaft stärkte. Im Anschluss verlor man in der Serie A jedoch mal wieder daheim ein von Vanoli als "Finale" ausgerufenes Kellerduell mit Verona mit 1:2.

  • Empoli v Fiorentina - Serie AGetty Images Sport

    28 Punkte weniger als vor einem Jahr: "Dürfen nicht zulassen, dass die Fiorentina absteigt"

    Und die schlechten Neuigkeiten reißen einfach nicht ab. Die Umbau-Arbeiten am Artemio Franchi sollen erst 2029 vollständig abgeschlossen werden - und Rechtsverteidiger Dodo wurde nach der Niederlage gegen Sassuolo in den sozialen Medien beleidigt.

    "Der Verein hat sich umgehend mit seinen Spielern und den zuständigen Behörden in Verbindung gesetzt, um sicherzustellen, dass alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit unserer Spieler, Mitarbeiter, ihrer Angehörigen und der betroffenen Familien ergriffen werden", heißt es in einer Erklärung. "Die ACF Fiorentina bedankt sich bei den vielen Fans, die nach diesen beschämenden Vorfällen bereits ihre Zuneigung und Unterstützung gezeigt haben, und bekräftigt, dass es im Verein niemals Platz für Einschüchterung, Hass oder Gewalt geben wird."

    Einen schlimmeren Absturz erlebte bisher kein anderes Team in der Serie A - 28 Punkte weniger hat Florenz im Vergleich zum 15. Spieltag der vergangenen Saison. Damals stand man mit 34 Zählern punktgleich mit Tabellenführer Atalanta auf Platz zwei - aktuell mit sechs Punkten abgeschlagen auf Rang 20. Einen solchen Fall erlebte laut Opta bisher kein anderes Serie-A-Team.

    Das erhöht auch den Druck auf Klubpräsident Commisso. Der in Italien geborene US-Amerikaner erholt sich aktuell von einer Rücken-Operation erholt. Nach Gerüchten um einen Verkauf des Vereins betonte er zuletzt in einem Interview mit La Nazione, dass er die Fiorentina behalten wolle. "Alle Unternehmen durchlaufen schwierige Phasen", sagte Commisso. "Aber die Weitsicht derjenigen, die sie leiten, besteht darin, aus dunklen Momenten zu lernen, damit wir gestärkt daraus hervorgehen können. Ich habe in keinem meiner Unternehmen jemals aufgegeben, und ich werde jetzt sicherlich nicht damit anfangen." Emotional erklärte er: "Wir befinden uns in einer schwierigen Situation und müssen irgendwie da herauskommen. Wir können nicht zulassen, dass die Fiorentina absteigt. Jeder muss sich verantwortlich fühlen, der Verein, die Spieler, alle, die um die Mannschaft herum arbeiten. Aber wir brauchen alle: vor allem unsere Fans. Ich vermisse euch. Bleibt der Mannschaft treu."

    Vanoli, Dzeko und der Rest der Mannschaft werden hoffen, dass dieser jüngste Appell nicht auf taube Ohren stößt – der Klub braucht im Moment wirklich jede Hilfe, um nicht kläglich und völlig unerwartet in die Serie B abzusteigen. Den einzigen Lichtblick bietet die Conference League: Am Donnerstag tritt Florenz ab 21 Uhr in Lausanne an, um als Elfter (drei Siege) doch noch den Sprung unter die Top-8 zu machen und das Achtelfinale direkt zu erreichen.

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