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"System-Absturz" in Klopp-Manier: Vincent Kompanys Jubel wird zum Sinnbild des FC Bayern München

Den Sprint des Tages legte Vincent Kompany hin – nicht den schnellsten, nicht den spektakulärsten, aber durchaus den vielsagendsten. "Glauben Sie mir oder nicht, ich war mal schneller", scherzte er anschließend bei ESPN. Er könne nicht wirklich erklären, wie das passiert sei.

"I glitched", sagte er. Ein "Glitch", das ist im Computer-Fachjargong so etwas wie ein kleiner Systemabsturz. Eine kleine Fehlfunktion. Das war es als - wenngleich im positivsten Sinne - war es, das Kompany kurzfristig ereilt und dazu veranlasst hatte, auf Kingsley Coman zuzustürmen. Dieser hatte gerade das 3:1 und damit den Treffer zum Endstand in Stuttgart erzielt. Im Stil von Jürgen Klopp schlug Kompany immer wieder mit der Faust in die Luft, dann erreichte er Coman nach Harry Kane als zweites.

So hatte man den Bayern-Trainer bisher noch nicht gesehen. Einige Sekunden später versank der 38-Jährige in einer ganzen Traube an Bayern-Spielern. Feldspieler, Ersatzspieler, selbst der zuvor angeschlagen ausgewechselte Alphonso Davies kam dazu.

Vielsagend war diese Szene deshalb, weil sie zeigt, was innerhalb dieser Mannschaft gerade entstanden ist und noch entstehen könnte. Das Spiel in Stuttgart drohte beinahe etwas unterzugehen. Acht Punkte hatte der Vorsprung in der Bundesliga betragen. Wenige Tage vor dem wichtigen Hinspiel in der Champions League gegen Bayer 04 Leverkusen ging es um Regeneration und darum, wer von den verletzten, angeschlagenen oder kranken Spielern noch rechtzeitig fit werden kann. Zumindest in der Außenperspektive. Die Innenperspektive war eine andere. Man schaue nur auf dieses Spiel in Stuttgart, bekräftigte Kompany vor dem Spiel bei DAZN.

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    Ein 30-minütiger Total-Ausfall: FC Bayern bekommt Ausfälle nicht kompensiert

    Zu Beginn der Partie sah das noch anders aus. Die Bayern hatten riesige Probleme mit der fußballerischen Qualität des VfB Stuttgart auf der einen Seite. Immer wieder konnten sich die Schwaben aus dem hohen Pressing des Rekordmeisters befreien, was dazu führte, dass man sich ähnlich wie gegen Leverkusen zu oft in einer tiefen Verteidigungslinie wiederfand.

    Auf der anderen Seite taten sich die Bayern schwer damit, das Spiel mit dem Ball zu kontrollieren. Das lag unter anderem daran, dass mit Dayot Upamecano (Schonung aufgrund von Rückenproblemen), Joshua Kimmich (Sehnenreizung) und Aleksandar Pavlovic (krank) eine sehr spielstarke Achse ausfiel.

    In der Innenverteidigung fehlte das ständige Andribbeln des Franzosen. Sein Mut, die Bälle auch unter Druck präzise und mit Raumgewinn nach vorn zu bringen, hätte dem Spiel gerade in der Anfangsphase geholfen.

    Doch auch im Mittelfeld hatten die Bayern Schwierigkeiten. João Palhinha hatte laut SofaScore nur 29 Ballkontakte nach 45 Minuten, Leon Goretzka kam auf 27. Der Portugiese spielte 18 Pässe, sein Nebenmann 23. Zum Vergleich: Manuel Neuer hatte zu diesem Zeitpunkt 22 Kontakte und spielte wie Palhinha 18 Pässe.

    Die Doppelsechs fand 30 Minuten lang kaum statt. Immer wieder versuchten es die Bayern mit langen Bällen, kamen so auch zu der einen oder anderen Chance. Aber Kontrolle über das Geschehen bekamen sie nicht. Erst gegen Ende der ersten Halbzeit wurde das etwas besser, in der zweiten Halbzeit übernahmen die Münchner dann das Zepter nahezu komplett.

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    FC Bayern: Die Offensive übernimmt Verantwortung

    Ein Grund dafür war die in den letzten Spielen wiedererstarkte Offensivreihe hinter Harry Kane. Schon gegen Frankfurt zeigten sich die Bayern in der Allianz Arena spiel- und bewegungsfreudig, fanden mit einem starken Thomas Müller häufig die Zwischenräume. In Stuttgart begannen Michael Olise, Jamal Musiala und Leroy Sané hinter Kane.

    Auch sie fanden immer wieder Wege, die VfB-Abwehr zu knacken und waren vor allem mit kurzen Dribblings und gutem Kombinationsspiel mit dafür verantwortlich, dass die Bayern es ihrerseits später im Spiel schafften, Stuttgart tiefer in die eigene Hälfte zu drücken und so den eigenen Spielaufbau zu entlasten.

    Musiala ließ sich nach gut 30 Minuten häufiger etwas tiefer fallen, um Drucksituationen aufzulösen und vor allem den etwas überfordert wirkenden Palhinha zu entlasten. Noch spielentscheidender aber war Olise. Nicht nur wegen seines Ausgleichs kurz vor der Pause, sondern weil er generell an vielen Angriffen beteiligt war und dabei kaum Fehler machte.

    Der Franzose glänzte mit Spielmacherqualitäten, sammelte insgesamt beeindruckende 83 Ballkontakte – mehr als jeder andere Spieler auf dem Platz. Er bereitete vier Abschlüsse vor und war der Dreh- und Angelpunkt der Bayern-Offensive. Und selbst Sané, dem einiges auch mal nicht gelang, trug mit unermüdlichen Läufen und Dribblings dazu bei, dass die Bayern die Kontrolle über das Geschehen eroberten.

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    FC Bayern wächst zusammen: Initialzündung für starken Endspurt?

    Die Offensivreihe im Mittelfeld, die in verschiedenen Konstellationen in dieser Saison zu oft abgetaucht war, übernahm insbesondere nach dem Rückstand Verantwortung. Obwohl es offensichtlich war, dass der FC Bayern nicht in der Lage ist, die drei Ausfälle im Spielaufbau zu kompensieren, fanden sie Möglichkeiten, die Spielstärke der Offensive zu nutzen.

    Es war eine klare Reaktion des gesamten Teams. Und zwar auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Die eine Ebene ist die des Spielverlaufs. Nach schwachen 30 Minuten und einem Rückstand schafften es die Bayern trotz der Ausfälle, am Ende souverän mit 3:1 zu gewinnen.

    Die andere Ebene ist die der Ausgangslage vor ein paar Tagen. Vor den Spielen gegen Frankfurt und Stuttgart wurde darüber diskutiert, ob ein Einbruch der Mannschaft wie in den Vorjahren drohen könnte. Gegen zwei der stärksten Teams in Deutschland gaben die Münchner zwei sehr klare Antworten.

    Dabei ist die Außenwirkung gar nicht so wichtig. Man hat vor allem eine Situation vermieden, in der man intern ins Zweifeln kommt. Stattdessen dürfte das Selbstvertrauen vor den Duellen mit Leverkusen wieder deutlich gestiegen sein. Die Mannschaft hat sich selbst bewiesen, dass sie es noch draufhat. Was vor allem nach dem schwachen Auftritt in Leverkusen vor einigen Tagen extrem wichtig war.

    Und so ist die Ausgangslage vor diesem CL-Achtelfinalhinspiel zwischen den beiden besten deutschen Mannschaften eine andere als vor dem Aufeinandertreffen in der Bundesliga. Während viele rund um das hart erkämpfte 0:0 den Eindruck hatten, die Bayern gingen auf dem Zahnfleisch und könnten womöglich bald eine Bruchlandung hinlegen, scheint das Team nun nochmal zusammengewachsen zu sein.

    Was am Ende vom langen Kompany-Sprint in Stuttgart und den Emotionen übrigbleibt, die dort entfacht wurden, bleibt abzuwarten. Schon am Mittwochabend kann die Erzählung sich abermals komplett drehen und wenden. Vielleicht aber waren dieser Sieg und auch schon der gegen Frankfurt zuvor nicht nur der entscheidende Schritt in Richtung Meisterschaft, sondern auch die Initialzündung für einen starken Saisonendspurt.