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Super-GAU nach Musiala-Coup? Darum wäre Joshua Kimmichs Verlängerung die Mutter aller Statements vom FC Bayern München

Zu Recht durften sich Max Eberl und alle Beteiligten des FC Bayern München für einen Moment feiern lassen, als sie in der vergangenen Woche die Verlängerung von Jamal Musiala bis 2030 bekanntgeben konnten. Ein Meilenstein für den Rekordmeister. Und letztlich auch das Statement an die internationale Konkurrenz: Wir können einen Spieler, der sich seinen zukünftigen Verein quasi hätte aussuchen können, weil er so viel Qualität und Talent hat, bei uns halten.

Doch so wichtig die Verlängerung von Musiala und auch die von Alphonso Davies als Bausteine für die Zukunft waren: Das wichtigste Puzzleteil für die kommenden Jahre ist Joshua Kimmich. Der 30-Jährige spielt auf der strategisch wichtigsten Position des FC Bayern – und ist unter Vincent Kompany der Lenker und Denker der Mannschaft. Er gibt den Rhythmus vor, er bestimmt, was mit dem Ball passiert. Auch wenn das in Deutschland nach wie vor zwiegespalten betrachtet wird: Kimmich wäre für den FCB nicht zu ersetzen, sollte er im Sommer ablösefrei gehen. Und jedes Team hätte ihn gern in seinem Kader.

  • Rodri Man City 2023-24Getty Images

    Joshua Kimmich muss sich im Vergleich mit dem Besten nicht verstecken

    Ein Blick auf die Zahlen seiner sehr starken Saison unterstreicht das. SPOX hat sich die Werte von Kimmich in Bundesliga und Champions League auf dem Datenportal FBref angesehen, das wiederum seine Daten von Opta bezieht. Ein Vergleich mit Rodris vergangener Saison (2023/24), in der er sich zum Weltfußballer spielte, führt zu verblüffenden Erkenntnissen.

    Der Vergleich mit dem Spanier bietet sich aus zwei Gründen an: Einerseits ist Rodri der Spieler der aktuellen Generation, der als mit Abstand bester zentraler Mittelfeldspieler gilt. Und andererseits spielt Manchester City unter Pep Guardiola einen ähnlichen Fußball wie der FC Bayern unter Vincent Kompany. Die Bayern haben in der Bundesliga nur einen Tick mehr Ballbesitz als die Skyblues in der vergangenen Saison in der Premier League hatten.

    Bedeutet also: Die Relationen zum Gesamtballbesitz sind bei ihren Werten ähnlich. Interessant ist auch, dass ihre Zahlen zueinander relativ ähnlich sind. Beide kommen auf etwas mehr als 110 Pässe pro 90 Minuten, beide spielen ungefähr gleich viele Pässe ins Angriffsdrittel und in den gegnerischen Strafraum und beide haben eine im europäischen Vergleich hohe Anzahl an progressiven Pässen, die einen vertikalen Raum von knapp zehn Metern überbrücken.

    Zwei gravierendere Unterschiede gibt es dennoch: Rodri hat eine beeindruckend hohe Genauigkeit bei langen Bällen, brachte damals 84,8 Prozent dieser an einen Mitspieler, während Kimmich hier nur bei 67 Prozent steht. Und der Spanier schlägt kaum Flanken, die zu eine der großen Stärken des Deutschen zählen. Dass Kimmich deutlich mehr Torschussvorlagen hat, liegt daran, dass er die meisten Standards des FC Bayern übernimmt – und entgegen der Meinung des Volksmundes hier häufig einen Abnehmer findet.

    Statistik (pro 90 Minuten)

    Joshua Kimmich (2024/25)

    Rodri (2023/24)

    Pässe (erfolgreich)

    112,8 (89,3 Prozent)

    113,8 (91,9 Prozent)

    Progressive Pässe

    10,6

    12,3

    Progressive Distanz in m

    454

    448

    Passquote (kurz)

    96 Prozent

    94,1 Prozent

    Passquote (mittel)

    91,8 Prozent

    93,6 Prozent

    Passquote (lang)

    67 Prozent

    84,8 Prozent

    Pässe ins Angriffsdrittel

    12,6

    11,9

    Pässe in geg. Strafraum

    1,94

    1,89

    Torschussvorlagen

    2,58

    1,61

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  • Kimmich(C)Getty Images

    Joshua Kimmich: Disziplinierter als sein Ruf?

    Interessanter ist der Blick auf die Passverteilung: Kimmich hat mit 102,9 Pässen aus dem Spiel heraus etwas weniger Einfluss als Rodri (111,5). Der Rest seiner Zahlen wird durch Standardsituationen aufgefüllt.

    Angesichts der Diskussionen, die hierzulande oft geführt werden, könnte man nun meinen, dass Kimmich der ist, der häufig vorn herumturnt und seine Position verlässt, während Rodri der disziplinierte Mustersechser ist, der seine Position hält. Überraschung: Beide sind in etwa gleich oft im Angriffsdrittel vorzufinden (Kimmich mit 33 Kontakten, Rodri mit 31,9). Der Stratege von Manchester City ist sogar häufiger im gegnerischen Strafraum: 2,61-mal pro 90 Minuten im Vergleich zu Kimmichs 0,65-mal.

    Auch bei Aktionen, die zu einem Torschuss führen, sind sich beide sehr ähnlich. Kimmich kommt auf 5,13 Aktionen pro 90 Minuten, Rodri auf 5,06. Letzterer ist etwas einflussreicher aus dem Spiel heraus, Kimmich nach Standards – aber beide bewegen sich für Sechser auf einem sehr hohen Niveau – und das in allen Bereichen.

  • Joshua Kimmich: Taktgeber des FC Bayern oder zu blass?

    Es sind nur Zahlen. Und wer Kimmich kritisch sieht, wird nach dem Blick auf diese wohl eher nicht von seiner Meinung abrücken. Mancher Kritikpunkt am Nationalspieler ist auch berechtigt. Beispielsweise, dass er es gegen Leverkusen am Wochenende nicht geschafft hat, das Spiel stärker an sich zu reißen, obwohl sein Team in höchster Not war.

    Nur manche Kritik schießt auch übers Ziel hinaus. Selbst Rodri gelang es in der Vergangenheit nicht immer, diese Dominanz auf den Platz zu bekommen, wenn sein Team insgesamt einen schlechten Tag erwischte. Fußball ist eben ein Mannschaftssport und Einzelleistungen werden gern mal überbewertet – in beide Richtungen.

    Kimmich mag nicht ganz so dominant und herausragend wie der spanische Ballon-d'Or-Gewinner sein, der auf seiner Position tatsächlich eine Klasse für sich ist. Doch er ist auch nicht sehr weit weg davon – und schon gar nicht gibt es in Europa oder auf der Welt einen Spieler, der ihn auf Anhieb ersetzen könnte. Man könnte also einerseits sagen, dass Kimmich nun mal das Beste ist, was der FC Bayern derzeit haben kann. Und gleichzeitig muss man festhalten, dass er selbst im Vergleich mit den Spielern, die die Münchner nicht haben können, einer der Besten ist.

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    Wie bindet der FC Bayern seinen Taktgeber ein?

    Für den Schritt nach ganz oben – wo einst Xabi Alonso thronte oder heute eben Rodri – fehlt Kimmich vielleicht die Qualität, unabhängig von seiner Einbindung im System auf allerhöchstem Niveau zu funktionieren. Die große Frage, die sich Kompany deshalb stellen muss, ist, wie er seinen Spielgestalter in Zukunft ins System einbettet. Es ist interessant, wie sich die Mittelfeldkonstellation in dieser Saison beim FC Bayern entwickelt hat. Zu Beginn der Saison harmonierten Kimmich und Aleksandar Pavlovic optimal miteinander.

    Gerade weil der 20-Jährige ebenfalls sehr ballfordernd und dominant agiert, hat das dem Spielaufbau die notwendige Variabilität gegeben. Nach Pavlovics Verletzung durften João Palhinha und Leon Goretzka sich versuchen. Mit beiden gab es spürbare Probleme im Ballvortrag, weil es Gegnern wieder leichter fiel, Kimmich stärker zu attackieren und einzuschränken. Schon in den Vorjahren zeigte sich, dass der DFB-Kapitän um sich herum Spieler benötigt, mit denen er gut kombinieren kann und die ihm Freiräume schaffen.

    Dass es dennoch kaum öffentliche Debatten über ihn und seine Rolle gibt, ist dem insgesamt stabileren System zu verdanken, aus dem gute Ergebnisse resultieren. Die Münchner können einzelne Schwachstellen in den meisten Spielen gut auffangen. Das führte auch dazu, dass Goretzka seine Chance nutzen konnte. In der aktuellen Ausrichtung kamen paradoxerweise einerseits seine Stärken zum Tragen, während andererseits seine Schwächen nahezu unbemerkt dazu führten, dass den Bayern in der Vorwärtsbewegung Tempo und Überraschungsmoment fehlten. Und doch kam man zurecht – bis eben Leverkusen kam.

  • Leverkusen zeigt den Bayern das Mittelfeld-Problem auf

    Einen derartigen Kontrollverlust hat es bei den Bayern lange nicht gegeben. So hergespielt wurden sie selten. Pavlovic ist zwar zurück und er machte zuletzt den Eindruck, dass er auch wieder besser in Form wäre. Er und Kimmich bekamen gegen das herausragende Pressing der Werkself aber gar keinen Fuß in die Tür.

    Die Frage nach dem Warum wird auch Kimmich wieder begleiten. Weil die Erwartungen an ihn riesig sind. Doch es wird die Aufgabe des Trainerteams sein, Kimmich in solchen Spielen in die Position zu bringen, der Partie seinen Stempel aufdrücken zu können. Es ist ein Henne-Ei-Problem, das der FC Bayern hat. Die Forderung danach, dass ein Spieler das gesamte Team aus dieser Situation befreit, ist schnell gestellt. Aber wie soll das in der Realität aussehen, wenn die Optionen für Kimmich auf dem Platz schlicht nicht vorhanden sind? Man könnte die Forderung also auch umdrehen: Wie schafft es die Mannschaft, Verantwortung für einen der wichtigsten Spieler zu übernehmen und diesen in die Situation zu bringen, in der er stärkeren Einfluss nehmen kann?

    Beide Perspektiven haben ihre Berechtigung. Interessant ist beim Blick auf die Vergangenheit, dass es häufiger Debatten darüber gab, ob der ehemalige Stuttgarter hin und wieder zu überspielt sei. Immer wieder betont er in Interviews, dass er gern jedes Spiel mache und ihm die Belastung nichts ausmache.

    In dieser Saison verpasste er keine einzige Minute. Zum Vergleich: Rodri absolvierte in der vergangenen Spielzeit nur knapp über 80 Prozent aller Minuten – auch bedingt durch die eine oder andere Sperre. Dennoch schont Guardiola ihn deutlich häufiger.

    Mit Pavlovic und in der kommenden Saison auch mit Tom Bischof hat man beim FC Bayern zwei sehr spielstarke Spieler, mit denen man in der Lage sein sollte, das eine oder andere Bundesliga-Spiel auch ohne Kimmich zu gewinnen. Womöglich könnte er sich dann noch besser auf Spiele wie in Leverkusen fokussieren.

  • FC Bayern: Kimmich-Verlängerung wäre das größtmögliche Statement

    Spekulation. Kimmich zeigt dennoch über die gesamte Saison gesehen, dass er einer der besten Mittelfeldspieler der Welt ist.

    Und das trotz der bekannten Probleme im Bayern-Kader: Zu wenig Struktur, zu viele Spieler, die nicht zu einem ballbesitzorientierten Stil passen und letztlich auch der ständige Wechsel zwischen verschiedenen Spielstilen in den vergangenen Jahren. Kimmich hält den Laden dennoch zusammen – auch weil er mit Pavlovic einen Partner bekommen hat, der ihn im Aufbau stark entlastet.

    Da ist es fast egal, dass die öffentliche Meinung über ihn auch in den kommenden Jahren weiter auseinandergehen wird. Das ging sie bei Spielern wie Bastian Schweinsteiger oder Thiago einst auch – und gerade bei Letzterem hat man in München schnell zu spüren bekommen, was sein Abgang bedeutete.

    Würde nun Kimmich wie der Spanier einst gehen, wäre das der Super-GAU für die Bayern. Einen Spieler wie ihn wird man so schnell nicht finden und es würde eine weitere Saison drohen, in der man seinen Kaderbaustellen hinterherlaufen muss, statt den jetzt angestoßenen Prozess weitergehen zu können.

    Kimmich wäre deshalb das größte Statement, das der FC Bayern in Richtung seiner Konkurrenz machen könnte. Gerade weil ihm für seinen womöglich letzten großen Vertrag alle Türen in Europa offen stehen.