Hans Wirtz ist nicht nur Vater von Florian, sondern auch dessen Berater. Es ist also nicht ungewöhnlich, dass der 71-Jährige auch mit Klubs spricht, wenn es um die Zukunft seines Sohnes geht. Erst kürzlich soll es ein Gespräch zwischen Verantwortlichen des FC Bayern und Hans Wirtz gegeben haben.
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GettyTaktikrevolution beim FC Bayern wegen Wirtz und Musiala?
Auf der Tagesordnung stand unter anderem die mögliche taktische Einbindung von Wirtz, sollte er denn zu den Bayern wechseln. Von zwei Zehnern soll dabei die Rede gewesen sein, sprich: von einer wohl paritätischen Rollenverteilung zwischen Wirtz und dem angestammten Zehner Jamal Musiala.
Sicherlich würde die Frage, wie denn beide zusammenwirken, von großer Wichtigkeit für das offensive Gefüge sein. Auch wenn beide gut miteinander können, so will keiner zurückstecken. Ähnlich etwa wie einst im englischen Nationalteam mit Frank Lampard und Steven Gerrard im zentralen Mittelfeld.
Stichwort Nationalmannschaftsfußball: Genau dort wirken Wirtz und Musiala bereits eine Weile gemeinsam, haben 19 Länderspiele oder anders gesagt 1.044 Spielminuten zusammen bestritten. Bei der EM im vergangenen Jahr nutzte Bundestrainer Nagelsmann in der Regel beide Jungstars als Flügelspieler, die jedoch ständig in die zentralen Räume zogen.
tacticalpad.comGrafik: Offensivstaffelung Deutschlands gegen Ungarn in der EM-Vorrunde 2024Ein System mit zwei Zehnern würde jedoch eher darauf hindeuten, dass die Bayern fortan mit zwei Spitzen in einem 4-2-2-2 ähnlich der Grundformation von RB Leipzig agieren würden. Das wäre eine verhältnismäßig revolutionäre, weil endgültige Abkehr vom van Gaal'schen 4-2-3-1 mit einer klaren Flügelzange.
Problem dabei ist, dass der Rekordmeister nur einen veritablen Mittelstürmer besitzt, aber weiterhin - selbst nach möglichen Abgängen - eine Reihe an starken Flügelstürmern. Michael Olise oder Leroy Sane in die vorderste Linie zu stellen, wäre alles andere als optimal und auch von Vincent Kompany nicht zu erwarten.
FC Bayern ohne neue Grundordnung? Wirtz stößt vor, Musiala seziert
Stattdessen kann es sein, dass die Lösung mit zwei Zehnern eher der grundsätzlichen Denkweise entsprechen würde. Bayern wäre trotzdem weiter in einem 4-2-3-1 aufgestellt, aber eben mit nur einem klassischen Flügelspieler in der offensiven Dreierreihe hinter Harry Kane.
Olise könnte mehr aus der Breite heraus von rechts agieren, während sich Musiala und Wirtz daneben aufteilen. Ein System mit zwei breiten Flügelstürmern haben die Bayern unter Kompany ohnehin nicht praktiziert.
Außenverteidiger und Flügelstürmer standen in aller Regel ein Stück weit horizontal gestaffelt, damit sie nicht beide hintereinander auf der Außenbahn auftauchten. Auch Olise kam häufiger in dieser Saison über den rechten Halbraum, aber er kann natürlich auch von weiter draußen mit Ball am Fuß seine inversen Vorstöße unternehmen.
AFPWirtz vs. Musiala: Unterschiede überwiegen Gemeinsamkeiten
Was wiederum die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Wirtz und Musiala betrifft, so überwiegen allein rein statistisch natürlich die Gemeinsamkeiten. Jedoch haben beide in Diensten ihrer jeweiligen Klubs in den vergangenen Spielzeiten etwas unterschiedliche Rollen ausgefüllt - erst recht aber in dieser Saison.
Während Wirtz meist über halblinks kommend frühzeitiger Bälle annahm und prallen ließ oder auch weiträumigere Dribblings initiierte, befand sich Musiala besonders in der Bundesliga vermehrt in der Enge des offensiven Zwischenlinienraums, wo es wenig Platz für Drehungen und Pässe gab. Das lässt sich auch daran ablesen, dass Wirtz mehr "Progressive Passes" und "Progressive Carries" als Musiala verbucht.
fbref.comGrafik: Statistikvergleich von FBref.comGenerell wirkt es so, als käme Musiala mit einem etwas statischen Spiel ein bisschen besser zurecht, während Wirtz lieber dynamisch aus der relativen Tiefe in die Zwischenlinienräume eindringt und bestenfalls den Schwung dort mitnimmt für Durchbrüche hinter die Abwehrlinie. Musiala kann den Ball eher einmal "balancieren" und die kleinen Lücken in der gegnerischen Verteidigung nutzen, um etwa Kane oder auch einen Serge Gnabry zu bedienen.
Insofern würde es wohl zunächst am besten funktionieren, sollte Wirtz häufiger von außen beziehungsweise vom Halbraum aus starten und Musiala die mittigere Position besetzen. Ein fitter Alphonso Davies könnte ohnehin die Breite auf der linken Seite bespielen.
Getty ImagesNeue Grundordnung mit Doppelacht?
Jedoch könnte alles auch gänzlich anders kommen und Kompany verabschiedet sich vom 4-2-3-1, das in dieser Saison laut Whoscored.com immerhin in 43 von 47 Spielen in Liga und Champions League zum Einsatz kam. So machten kürzlich Gerüchte die Runde, wonach Bayerns Cheftrainer, um Wirtz und Musiala genügend Handlungsspielraum zu verleihen, auf ein konkretes 4-1-4-1 umstellen könnte.
Eine solche Grundformation hätte den Vorteil, dass die beiden Mittelfeldstars ohne asymmetrische Anordnung eine Doppelacht oder Doppelzehn besetzen und von Olise und Co. flankiert würden. Natürlich wäre diese Formation noch ein Stück riskanter als das aktuelle 4-2-3-1 und die entsprechende Ausführung, die wir während der Saison gesehen haben. Joshua Kimmich wäre in dem Szenario die einzige Absicherung auf der Sechs, ein Aleksandar Pavlovic fürs Erste nur noch Reservist.
Ein 4-1-4-1 könnte nur funktionieren, wenn die Bayern à la Hansi Flicks Barcelona die nahezu aggressivste Form von Gegenpressing praktizieren und mit dieser offensiven Doppelacht sowie den zwei Außenstürmern die ballnahen Räume zuschieben würden. Gegen die Mehrheit der Bundesliga-Teams sollte das sogar funktionieren, eine gewisse Konteranfälligkeit wäre jedoch nie ausgeschlossen. Eventuell ließe sich ein 4-1-4-1 auch mit einem Hybridspieler wie Raphael Guerreiro umsetzen, welcher zwischen linkem Flügel (offensiv) und zweiter Sechs (defensiv) pendelt.
Getty ImagesAlles neu mit Jonathan Tah und Wirtz?
Ein weiteres Gedankenspiel könnte sich mit einer Neuaufstellung der Abwehr ergeben. Mit Josip Stanisic und Hiroki Ito verfügen die Bayern über zwei mögliche Halbverteidiger, die an der Seite von Jonathan Tah und Dayot Upamecano in einem 3-4-2-1 spielen könnten. In jener Grundformation würden Musiala und Wirtz erneut die zwei Halbpositionen hinter Kane bekleiden.
Nur für Olise oder Gnabry wäre kein automatischer Platz vorhanden. Olise müsste womöglich als rechter Wing-Back oder Flügelläufer auflaufen, was an sich denkbar ist, ihn aber in seinem Handeln einschränken würde. Denn ein Schienenspieler ist der Linksfuß nun einmal ganz und gar nicht, eigentlich sogar das genaue Gegenteil davon.
In der Pep-Guardiola-Zeit nutzten die Bayern immer mal wieder Flügelstürmer in einer Wing-Back-Rolle und versuchten insgesamt sehr dominant im Ballbesitz aufzutreten. Dass Kompany die Mannschaft in eine ähnliche Richtung weiterentwickeln möchte, erscheint fast schon zwangsläufig.
Die Gründe für die Verpflichtung von Wirtz sind von Bayerns Seite aus natürlich vielschichtig. Die spielerische Komponente ist nur eine von mehreren. Man möchte primär das zweite deutsche Generationentalent holen, um zumindest national auf Jahre hin unschlagbar zu sein.
Wie genau die taktische Ausgestaltung ausschaut, wird sich Kompany noch in Ruhe überlegen müssen. Aber bei diesem potenziellen Transfer gilt sicherlich für Moment: Hochkarätige Spieler finden immer einen Weg, gemeinsam zu funktionieren. Und das haben Wirtz und Musiala ja bereits im DFB-Team gezeigt.



