Kein erfolgloses Phantom mehr: Rodrygo ist Real Madrids großer Unterschiedsspieler

Als Real Madrid am 18. April im Rückspiel des Champions-League-Viertelfinales an der Stamford Bridge mit 2:0 gegen den FC Chelsea gewann, schossen die vermeintlichen Top-Stars keine Tore. Vinícius Jr. vergab zwei Großchancen. Karim Benzema schoss einmal daneben und bei einer anderen Gelegenheit nur über das Tor. Stattdessen war es Rodrygo, der mit einem Doppelpack zum Helden des Abends wurde und die Blancos wieder in ein CL-Halbfinale schoss.

Aber so unerwartet kam das gar nicht. Rodrygo ist für Real in Europa schon seit einiger Zeit in Top-Form. Seit Beginn der Saison 2019/20 liegt der Brasilianer in der internen CL-Torschützenliste der Madrilenen mit 15 Treffern nur hinter Benzema - und das, obwohl er deutlich weniger Minuten gespielt als viele der Konkurrenten hat. Zweimal traf er gegen Manchester City, dreimal gegen Chelsea und zum Auftakt der erfolgreichen Saison 2021/22 auch gegen Inter Mailand.

Aber nicht nur in Europa hat er sich in den Vordergrund gespielt, wie sein Doppelpack im Finale der Copa del Rey am Samstag gegen Osasuna zeigte. Mit seinen beiden Toren führte er Real zum ersten Pokalsieg seit 2014 - und bekam verdientermaßen Standing Ovations.

All das deutet darauf hin, dass sich die 45 Millionen Euro, die Real vor vier Jahren an Santos überwiesen hat, ausbezahlen. Und jetzt könnte Rodrygo wieder für den Unterschied sorgen, wenn Real am Dienstag im Halbfinal-Hinspiel erneut auf Manchester City trifft.

  • Rodrygo Real Madrid 2022-23

    Rodrygo: Auf der vergessenen Seite

    Rodrygo leidet schon länger darunter, dass Real vor allem über links angreift: Laut The Athletic in 44 Prozent der Fälle. Dort spielt der mittlerweile zum Weltklasse-Flügelspieler herangereifte Vinícius Jr., der in Verbindung mit Benzema hauptverantwortlich für den Gewinn des CL-Titels 2022 war. "Vini" hat in dieser Saison wettbewerbsübergreifend 20 Tore erzielt und 20 Vorlagen geliefert.

    Sein persönlicher Erfolg geht jedoch oft zulasten des jeweiligen Spielers, der auf Rechtsaußen steht, denn der muss sich mit nur 30 Prozent der Madrider Spielzüge über seine Seite begnügen. Ob Fede Valverde oder Rodrygo, der Spieler auf rechts darf sich nicht zu wichtig nehmen. Er muss sich mit den richtigen Läufen anbieten und darf sich nur gelegentlich selbst mit Einzelaktionen in Szene setzen.

    In diesem System ist es für Rodrygo schwierig, herauszustechen. Der für viel Geld verpflichtete Spieler mit dem Potenzial zum Torjäger und Kreativspieler war in seinen ersten Jahren in Madrid nicht besonders erfolgreich. In seinen ersten beiden Spielzeiten in LaLiga erzielte er nur drei Tore, hatte wenige Chancen und verlor den Ball zu oft.

    Doch in dieser Saison hat er seine Rolle besser angenommen und allem Anschein nach verstanden, was er liefern muss. Rodrygo hat zwar immer noch seltener den Ball als sein brasilianischer Landsmann auf dem anderen Flügel - aber wenn, dann geht er intelligenter mit ihm um. Seine Entscheidungsfindung ist ausgefeilter und seine Passgenauigkeit gehört zu den besten der Welt auf dieser Position.

    "Ich habe nicht mehr viel zu tun. Ich muss nur noch die richtigen Entscheidungen treffen, jeden Tag weiterarbeiten, mich weiter verbessern. Ich glaube, dass ich jedes Jahr besser werde", sagte Rodrygo im Februar GOAL.

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  •  rodrygo viniciusGetty Images

    Rodrygo drängt sich auf

    Obwohl Rodrygo auf der ungeliebten rechten Seite agiert, hat er sich in der Mannschaft von Ancelotti zu einem fast unantastbaren Spieler entwickelt - vor allem in der Champions League. Das begann im vergangenen Jahr, als er mit einem dramatischen Doppelpack in letzter Minute gegen Manchester City entscheidend zum Einzug ins Finale beitrug.

    Im Spiel gegen Chelsea setzte Ancelotti auf Rodrygo in der Startelf. Dafür stellte er den am liebsten auf Außen spielenden Fede Valverde im zentralen Mittelfeld ein - und gab Rodrygo auf seiner Seite einen Freifahrtschein.

    Und der Brasilianer zeigte eine starke Leistung und besiegte die Blues praktisch im Alleingang. Die Top-Leistung war für Real enorm wichtig, denn Benzema erzielte nicht nur kein Tor, sondern lieferte auch noch eines seiner schlechtesten Spiele dieser Saison ab.

    Die Top-Performance in der Königsklasse war für Rodrygo kein Einzelfall: Im Hinspiel des Achtelfinales gegen Liverpool stand Rodrygo in der Startelf und steuerte beim 5:2 gegen den Vorjahresfinalisten in Anfield eine Vorlage bei.

    Auch in den Partien gegen Atlético Madrid und Valencia (im Halbfinale der Supercopa) erzielte er jeweils ein Tor. Im Gegensatz zu früher ist er kein erfolgloses Phantom auf dem Platz mehr. Rodrygo ist jetzt ein Spieler, der den Ball haben will, der das Spiel an sich reißt - genau wie Reals Brasilianer auf dem anderen Flügel.

  • RodrygoGetty Images

    Rodryo galt als "der neue Neymar"

    Rodrygo war schon immer in der Lage, mehr als ein Torjäger zu sein. Als der in São Paulo geborene Junge im Alter von nur zwölf Jahren einen Vertrag bei Nike erhielt, nannten ihn die Medien ohne zu zögern den "neuen Neymar". Doch anders als der andere Flügelstürmer liebt es Rodrygo, Vorlagen zu geben. Seit 2018 hat er in jeder Saison mehr Tore vorbereitet, als geschossen. Er ist bekannt für seine Dribbelkünste im Eins-gegen-Eins und seine Vorliebe für das Zusammenspiel mit anderen.

    Diese Entwicklung hat er in diesem Jahr leicht korrigiert. Rodrygo hat zwar immer noch einige Assists beigesteuert - elf in allen Wettbewerben für Verein und Land -, aber er hat auch 13 Tore geschossen. Der Flügelstürmer war schon immer ein solider Torjäger, aber in dieser Saison versucht er es schlicht noch häufiger mit seinen Abschlüssen.

    In der Saison 2022/23 hat er laut Datenlieferant FBref im Durchschnitt fast vier Torschüsse pro 90 Minuten abgegeben - eine deutliche Steigerung zu den zwei im letzten Jahr. Dafür gibt es natürlich mehrere Gründe. Rodrygo bekommt mehr Spielzeit und Ancelotti stellt ihn auch auf zentraleren Positionen manchmal auf - wo er natürlich öfter abschließen soll und muss.

    Unabhängig davon, wo er eingesetzt wird, ist Rodrygo ein selbstbewussterer Spieler geworden. Und mit steigenden Einsatzminuten in den kommenden Jahren sollte er sogar noch regelmäßiger treffen.

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  • Modric RodrygoGetty Images

    Nicht auf der Lieblingsposition

    Und all das, obwohl Rodrygo nicht auf seiner Lieblingsposition spielt. Das sagte er im Februar GOAL: "Im 4-2-3-1 ist die Position hinter Karim diejenige, die mir am besten gefällt. Ich spreche oft mit unserem Trainer darüber. Natürlich kann ich auf allen Positionen spielen, aber auf dieser Position fühle ich mich am wohlsten."

    Doch Ancelotti lässt nur selten im 4-2-3-1 spielen - und selbst wenn, stellt er Rodrygo lieber auf rechts als in der Mitte auf. Was wäre, wenn der Brasilianer öfter zentral ran dürfte?

    Das könnte eine interessante Überlegung für die Zukunft sein. Da Benzema im Spätherbst seiner Karriere ist und nicht mehr jedes Spiel bestreiten kann, hat Ancelotti vielleicht mehr Spielraum für taktische Änderungen.

    In Phasen dieser Saison taten sich die Madrilenen schwer bei der Chancenerarbeitung. Vielleicht könnte Rodrygo diese langfristig beseitigen.

    Wie dem auch sei: Rodrygo ist erst 22 Jahre alt und verbessert sich noch ständig. Da sein aktueller Vertrag noch zwei Jahre läuft - und vermutlich bald verlängert wird -, ist dies erst der Anfang seiner Karriere. Die Chancen stehen gut, dass er noch viel Luft nach oben hat.

    Und in den nächsten zehn Tagen könnte er das zeigen und für Real wieder zum Unterschiedsspieler werden, wenn es darum geht, erneut die beste Mannschaft Europas zu werden.

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