Am letzten Spieltag der Saison 2018/19 sicherte sich der FC Bayern im Fernduell mit Borussia Dortmund seinen siebten Meistertitel in Folge, insgesamt war es Nummer 29. Etwas überspitzt könnte man sagen: ein würdiger Rahmen für das wirklich wichtige Ereignis des Tages, die Verabschiedung der legendären Flügelzange. Die Verabschiedung von Franck Ribery und Arjen Robben, von Rib und Rob, von Robbery.
Getty ImagesAls der FC Bayern Mitte der zweiten Halbzeit schon komfortabel gegen Eintracht Frankfurt führte, kamen der 36-jährige Ribery und der ein Jahr jüngere Robben ins Spiel und markierten jeweils noch ein Tor. Tränen bei Klub-Patron Uli Hoeneß, Jubeeel rundherum. Kitschiger? Kaum möglich. Es war das Ende einer besonderen Ära: Eine Dekade lang prägten die beiden so unterschiedlichen Charaktere und Fußballer das Spiel des FC Bayern. Zehn Jahre, 14 große Titel, als Krönung das Triple 2013.
Seitdem sehnt man sich beim FC Bayern nach einer ähnlichen Flügelzange. Bereits in den finalen Robbery-Jahren versuchten die Münchner, ihre Nachfolger behutsam aufzubauen - und holten immer neue vielversprechende Flügelspieler. Den deutschen Neu-Nationalspieler Serge Gnabry, den Brasilianer Douglas Costa, den jungen Franzosen Kingsley Coman.
Sie alle hatten herausragende Phasen. Gnabry und Coman lieferten nach dem Abschied von Robbery sogar umgehend im ganz großen Stil ab. Coman erzielte das Siegtor im Champions-League-Finale von 2020, der sogenannte Triple-Gnabry war ebenfalls ein wichtiger Baustein beim beeindruckenden Erfolgslauf.
Direkt nach dem Triple holte der FC Bayern noch zwei neue Flügelstürmer. Einerseits erneut Douglas Costa, der aber immer noch Douglas Costa war - nur älter. Andererseits und vor allem Leroy Sane. Er kam für 49 Millionen Euro von Manchester City und galt damals als vielversprechendster Flügelstürmer Deutschlands. Sane und Gnabry sollten Ribery und Robben langfristig beerben. Der erste gemeinsame Auftritt der Nationalmannschaftskollegen erinnerte tatsächlich an das Debüt von Robben und Ribery 2009.
Getty Images SportLeroy Sane und Serge Gnabry erfüllten die großen Erwartungen nicht
Bei einem 3:0-Sieg gegen den VfL Wolfsburg waren die beiden angehenden Legenden einst zu Robbery verschmolzen. Nun zerlegten Sane und Gnabry den FC Schalke 04 mit 8:0. Sane mit Robbens Rückennummer 10, Gnabry mit Riberys 7. Sane postete in seinen sozialen Netzwerken ein Foto von sich und Gnabry und dem Text: "7 x 10". Die Bild jubelte über "Sanabry". TV-Experte Per Mertesacker sagte: "Gefühlt ist es so wie 2009 als Robben und Ribery zusammen angefangen haben gegen Wolfsburg. Ich kann mich daran noch ganz gut erinnern. Da war auch eine Riesen-Euphorie. Es waren ähnliche Situationen im Umschaltspiel, beide mit unglaublich viel Tempo. Eine neue Ära beginnt."
Retrospektiv blieb das Debüt gewissermaßen das Highlight der Ära. Phasenweise glänzten die beiden zweifellos talentierten Kicker zwar. Aufgrund von unerklärlichen Formschwankungen und wiederkehrenden Verletzungsproblemen - genau wie bei Coman, dem dritten im damaligen Flügelstürmer-Bunde - erfüllten Sane und Gnabry die großen Erwartungen aber nie nachhaltig. In fünf gemeinsamen Jahren gewann der FC Bayern "nur" vier Titel. Im Sommer verabschiedete sich Coman zu Al-Nassr, Sane ablösefrei zu Galatasaray Istanbul, Gnabry galt lange als Verkaufskandidat - blieb aber erneut.
Auch wegen Jamal Musialas Verletzung ist Gnabry nun als zentraler Halbstürmer plötzlich gefragt und erfand sich dort in beeindruckender Manier neu. Aber das ist eine andere Geschichte. Genau wie der irrsinnige Lauf von Torjäger Harry Kane. An ihren Seiten entsteht derweil ein neues Duo, das die lange gehegte Flügelzangen-Sehnsucht des FC Bayern tatsächlich stillen könnte: Luis Diaz und Michael Olise.
Getty ImagesFC Bayern: Was Michael Olise und Luis Diaz so besonders macht
Olise (23) kam vergangenen Sommer für 53 Millionen Euro von Crystal Palace und spielte schon eine überragende Premierensaison. Mit Diaz scheint Olise nun sein kongeniales Gegenstück gefunden zu haben, der 28-jährige Kolumbianer folgte diesen Sommer für 70 Millionen vom FC Liverpool. Die beiden legten zwar keinen spektakulären Kickstart hin wie einst Robben und Ribery gegen Wolfsburg oder Sane und Gnabry gegen Schalke. Nach zehn gemeinsamen Pflichtspielen weisen sie aber erstaunliche Eindrücke und Werte auf.
Diaz verzeichnete sechs Treffer und vier Assists, Olise fünf Treffer und sechs Assists. Ähnlich wie einst Robben und Ribery zeichnet das Zusammenspiel der beiden aus, dass sie so unterschiedlich sind - charakterlich und fußballerisch. Hier der introvertierte, medienscheue Schachspieler Olise. Dort der extrovertierte, dauerlächelnde Latino Diaz. Rechts der filigrane Dribbler Olise. Links der dynamische Blitz Diaz. Auf dem Platz eint sie, dass sie stets den Ball fordern und für Offensivspieler ungewöhnlich viele Ballkontakte haben. Beide unterscheidet aber, was sie dann mit dem Ball anstellen. Genau das macht das Münchner Angriffsspiel - gepaart mit Kanes steter Torgefahr - wunderbar unberechenbar.
Vor allem Diaz gefällt zudem als nimmermüder Presser. Beim 3:0 gegen Eintracht Frankfurt verzeichnete er nicht nur zwei Tore und einen Assist, sondern gemeinsam mit Konrad Laimer auch die meisten Ballgewinne. Diese Fähigkeiten sind wichtig für den aktuellen Erfolg des FC Bayern - und fehlen offenbar seinem strauchelnden Ex-Klub FC Liverpool. "Luis Diaz ist für mich ein massiver Verlust", sagte Daniel Sturridge jüngst bei Sky, einst Liverpool-Stürmer und jetzt TV-Experte. "Wenn man sich ansieht, wie Liverpool im letzten Jahr gepresst hat, dann war er offensichtlich derjenige, der den Druck in der vorderen Dreierkette aufgebaut hat." Im Spiel des FC Bayern übernimmt Diaz damit gewissermaßen auch die Rolle des abgewanderten Thomas Müller.

