Leon Goretzka und Joao PalhinhaImago Images

Müssen gleich zwei Starspieler gehen? Wie Vincent Kompany das Mittelfeld des FC Bayern München umbaut

Noch während sich rund um den FC Bayern München alle darüber streiten, welcher Innenverteidiger geht, welcher kommt und ob der große Deal mit Florian Wirtz und Bayer 04 Leverkusen über die Bühne gehen kann, gibt es dieser Tage einen interessanten Bericht von Sport1 über Joshua Kimmich.

Demnach soll sich der 30-Jährige intern dafür stark gemacht haben, im zentralen Mittelfeld neben einem spielstarken Partner aufzulaufen – und nicht, wie in der Vergangenheit häufiger, neben einem Box-to-Box-Spieler wie Leon Goretzka. Es ist ein Bericht, der eher beiläufig in der aktuellen Berichterstattung wirkt. Doch das Mittelfeld der Zukunft ist beim FC Bayern vielleicht sogar das wichtigste Thema.

  • FC Bayern leidet immer noch unter Thiago-Abgang

    Noch heute soll Kimmich von Thiago schwärmen. Der Spanier spielte lange mit Kimmich zusammen – wenngleich sie nur selten gemeinsam auf der Doppelsechs eingesetzt wurden.

    Insbesondere nach dem Abgang von Thiago war das Mittelfeld beim FC Bayern eines der Hauptthemen in den vergangenen Jahren. Zu instabil, zu anfällig in der Defensive, zu unkreativ im Ballvortrag – die Vorwürfe waren vielfältig und gerade Kimmich musste sich viel Kritik anhören.

    Glaubt man verschiedenen Medienberichten und schaut man auf die getätigten Transfers, so liegt der Schluss nahe, dass die Bayern versucht haben, ihre Probleme stets mit mehr Athletik und Physis zu lösen – wobei diese Entwicklung bereits weit vor dem Abgang von Thiago zu beobachten war.

    Arturo Vidal, Corentin Tolisso, Leon Goretzka, Renato Sanches, Marcel Sabitzer, Konrad Laimer oder zuletzt João Palhinha – allesamt unterschiedliche Spielertypen, die aber gemein haben, dass sie in physischen und athletischen Bereichen des Spiels mehr Stärken haben als in der strategischen Spielgestaltung.

    Marc Roca und mit Abstrichen Ryan Gravenberch waren legitime Versuche, mit diesem Trend ein wenig zu brechen, doch beide schafften den Durchbruch nie. Vor allem der Champions-League-Sieg 2020 dürfte dazu geführt haben, dass die Bayern sich bestärkt in ihrem Weg sahen. Hansi Flicks Fußball fußte nicht auf einer anspruchsvollen und besonders technisch versierten Idee, sondern auf Tempo, Durchschlagskraft und Laufstärke. Gegenpressing und eine hohe Vertikalität im Spiel nach vorn waren damals prägend.

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  • Aleksandar Pavlovic, Vincent KompanyImago

    Aleksandar Pavlovic: Schon jetzt von großer Bedeutung für Bayern

    Erst nach Thiagos Abgang wurde immer mehr klar, dass Kimmich dieses Loch nicht allein würde stopfen können. Ebenfalls klar wurde, dass Goretzka wohl doch nicht der optimale Partner für ihn ist. Erst zeigte sich das in der Behäbigkeit im Aufbauspiel, wenn Gegner Kimmich explizit aus dem Spiel nahmen.

    Später zeigte es sich durch die fast schon glückliche Hereinnahme von Aleksandar Pavlovic – denn sein Aufstieg zu den Profis war die Folge einer Aneinanderreihung von Zufällen. Erst in letzter Sekunde durfte er wegen Ausfällen mit ins Trainingslager, später warf ihn Thomas Tuchel mangels Optionen rein – und die Chance nutzte er.

    Der 20-Jährige bringt alles mit, um der perfekte Partner für Kimmich zu sein. Mit Pavlovic in der Startelf erzielten die Bayern in dieser Saison 57 Tore in 18 Partien – das sind 3,17 pro Spiel. Ohne ihn in der Startelf waren es 69 in 29 Spielen – also 2,38 pro 90 Minuten.

    Zufall? Einerseits nicht auszuschließen, weil die Stichprobe zu klein ist, um Ergebnisse wie das 9:2 gegen Zagreb nicht zu stark mit einfließen zu lassen. Aber auch ohne diese Partie sind es noch 2,82 Tore pro Partie. Und selbst abseits jeglicher Zahlen fällt auf, wie viel besser die Bayern in die vorderen beiden Drittel kommen, wenn sie zwei spielstarke Sechser haben.

    Im Interview mit der SZ erklärte Kimmich nach seiner Vertragsverlängerung beim FCB, dass er "das Gefühl habe, dass ich unter ihm auf dem besten Niveau der letzten zehn Jahre spiele".

  • FC Bayern: Vincent Kompany setzt andere Schwerpunkte im Mittelfeld

    "Unter ihm" – damit ist Vincent Kompany gemeint. Vielleicht der Trainer, unter dem es jetzt einen straffen Richtungswechsel in der Mittelfeldpolitik gibt. Selbst unter Tuchel gab es die Doppelsechs mit Pavlovic und Kimmich nie. Der heutige England-Coach kompensierte mit Kimmich auf der rechten Defensivseite eine schwierige Personalsituation – schien aber auch generell nicht sehr angetan zu sein von ihm im Mittelfeld.

    Bis heute hält sich hartnäckig die Debatte, ob Kimmich nun lieber rechts hinten oder im Zentrum auflaufen sollte. Dass Kompany in dieser Saison trotz einiger Ausfälle fast nie auf die Idee kam, ihn in der Abwehr spielen zu lassen, spricht für dessen Überzeugung von einer Kursänderung beim FC Bayern: Mehr Kontrolle mit dem Ball, weniger Notwendigkeit, physische und athletische Bereiche des Spiels zu wichtig werden zu lassen.

    Eine Rückbesinnung zur ersten Hälfte der 2010er Jahre – und vor allem die Zeit unter Pep Guardiola, unter dem Kompany arbeitete? Womöglich. Auch der Transfer von Tom Bischof spricht für einen Wandel. Wenngleich das Interesse am Spieler schon seit Jahren besteht, bringt er im Mittelfeld genau die Qualitäten mit, die ein Team braucht, wenn es im Schnitt zwischen 65 und 70 Prozent Ballbesitz hat.

    Der 19-Jährige ist auch unter Druck stark in der Entscheidungsfindung, kann den Rhythmus eines Teams bestimmen und auch mal einen Gegenspieler ausdribbeln. Selbst wenn Pavlovic und Kimmich weiterhin gesetzt sein sollten, ist er die perfekte Ergänzung für Rotation. Womöglich ist das ein Learning für Kompany aus dieser Saison: Einerseits fiel Pavlovic in den vergangenen Jahren zu oft aus. Andererseits ist Kimmichs Gier auf Einsätze nicht immer nur positiv. In vereinzelten Partien wirkte er überspielt.

    Wobei abzuwarten bleibt, ob die Bayern mit Bischof im zentralen Mittelfeld planen oder doch eher weiter vorn, wo er einst in der Jugend die Aufmerksamkeit des FCB auf sich zog.

  • Joao Palhinhaimago images

    FC Bayern: Für Leon Goretzka und João Palhinha wird es schwer

    Sollte der Kurswechsel hin zu mehr Spielstärke sich bewahrheiten, wird es für Palhinha und Goretzka in der kommenden Saison nochmal schwerer. Beide sind nicht unumstritten, von beiden ist laut Medienberichten zu erwarten, dass sie gern bleiben würden.

    Goretzkas Wiederauferstehung war eine schöne Geschichte für alle Beteiligten – und sie hat unterstrichen, dass er viel Qualität hat. Gerade in der Champions League gegen Inter Mailand zeigte sich aber auch, dass eine Mittelfeldbesetzung mit ihm an spielerische Grenzen stößt.

    Palhinha wiederum scheint in Kompanys Planungen so gar keine Rolle zu spielen. Unbeeindruckt von manchem Experten, der die berühmte "Holding Six" im Mittelfeld der Bayern fordert, um die Abwehrprobleme in den Griff zu bekommen, denkt der Belgier offenbar anders über Fußball: Erst kommt der eigene Ballbesitz, dann der Rest.

    Mit Palhinha hatten die Bayern die Saisonphase, in der sie die wenigsten Gegentore kassierten – aber sie erzielten in vielen dieser Spiele auch deutlich weniger Tore. Der Portugiese hat klar erkennbare Probleme mit dem Spieltempo der Münchner.

  • FC Bayern: Spielt der Campus bald eine Rolle?

    Und genau das führt zu der Frage, wie es im Mittelfeld weitergeht. Sollten die Bayern mit Bischof als festem Bestandteil der regelmäßigen Rotation auf den zwei defensiveren Mittelfeldpositionen planen, wäre nur noch Platz für einen weiteren Vollprofi. Dann müssten entweder Goretzka oder Palhinha gehen. Vielleicht wird es auch eine Frage der Höhe der Angebote sein, die an der Säbener Straße abgegeben werden.

    Ein weiterer Transfer hingegen ist hier kaum denkbar, wollen die Bayern sich doch in der Abwehr und in der Offensive jeweils verstärken. Eine Situation, die bei entsprechender Personallage schnell zu Diskussionen führen könnte. Allerdings ist da auch noch der Campus, der in den letzten Jahren oftmals zu kurz kam.

    Javier Fernández oder Jonathan Asp Jensen sind zwei Spieler, die ein herausragendes Talent in den Bereichen mitbringen, die für Kompany besonders wichtig zu sein scheinen. Beide hatten in der Vergangenheit Verletzungspech – Fernández noch mehr als Asp Jensen.

    Es wirkt derzeit nicht so, als hätten sie eine Chance, zeitnah den Sprung zu schaffen. Aber das war bei Pavlovic einst genauso. Die weitere Geschichte ist bekannt. Und während es in den kommenden Wochen weiterhin um die Defensive und Wirtz gehen wird, hat man mit Bischof einen vielleicht noch unterschätzten Baustein für das Mittelfeld der Zukunft gefunden.