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Mason Greenwood und Olympique Marseille: Der umstrittenste Transfer des Sommers spaltet eine ganze Stadt

Wo auch immer Mason Greenwood (22) nach seinem bitteren und langwierigen Abgang von Manchester United in diesem Sommer gelandet wäre, Kontroversen hätte es sowieso gegeben. Wie es das Schicksal aber so will, hat er ausgerechnet bei einem Verein unterschrieben, der eines der leidenschaftlichsten Fanlager des Planeten hat: Olympique de Marseille.

Marseille ist nicht wie der Rest Frankreichs: Die älteste Stadt des Landes ist stolz auf ihre Multikulturalität, ihre Liberalität und ihren unerschütterlichen Drang zum Fortschritt, was sich auch darin widerspiegelt, dass sie eine Insel linker Politik in einem Meer von Wahlbezirken im Süden des Landes ist, in denen rechte Parteien zuletzt politisch abräumten. Eine Stadt, in welcher der unerwartete Sieg der Linken über die Rechten bei den Parlamentswahlen in den Straßen ausgelassen gefeiert wurde.

Doch auch wenn hier Menschen aus allen Gesellschaftsschichten leben, ist die wichtigste Religion der heimische Fußballverein. Am Wappen von OM kommt man buchstäblich nicht vorbei - es ist an viele Hauswände gesprüht, wird stolz auf Trikots getragen und ist auf Brust und Gliedmaßen tätowiert. Das imposante Stade Vélodrome bildet einen Teil der Skyline. Sowohl in Frankreich als auch im Ausland gilt OM trotz des Reichtums von Paris Saint-Germain als die Mannschaft mit den meisten Anhängern in der Ligue 1, und die Fans haben eine tiefe und hingebungsvolle Bindung an die Mannschaft und ihre Werte, die auch die der Stadt als Ganzes umfassen.

Marseille ist auch eine Stadt, die eine Vorliebe für Chaos hat. Olympique bildet da keine Ausnahme. Affären und Skandale pflastern den Weg des Vereins und nun, da Mason Greenwood da ist, ist weiterer Ärger programmiert.

Nach mehr als einem Jahrzehnt ohne sportliche Erfolge machen die Verantwortlichen 30 Millionen Euro Ablöse für ihren Wunschspieler locker. Es ist ein teurer Deal für den Klub, wenngleich der Preis für einen Fußballer von Greenwoods Kaliber äußerst erschwinglich ist. Die sportlichen Entscheider sehen die Chance auf einen Spieler, der unter normalen Umständen für sie nicht zu bekommen wäre - und den sie sich auf keinen Fall entgehen lassen wollten.

Der Stürmer von Man United wurde Anfang 2022 wegen versuchter Vergewaltigung, Nötigung sowie Körperverletzung angeklagt. Im Februar 2023 stellte die Justiz in England die Ermittlungen ein, aber die Vorwürfe sind nicht vergessen. Und das zeigt sich aktuell in Marseille ganz deutlich.

  • Der Fall Mason Greenwood

    Greenwood ist seit dem Auftauchen von Ton- und Bildmaterial im Internet, das zu seiner Verhaftung und anschließenden Suspendierung durch Manchester United im Januar 2022 führte, eine Reizfigur in der Welt des Fußballs und bei den Red Devils ein Verstoßener. Obwohl er die Anschuldigungen bestritt und auf Kaution freigelassen wurde, absolvierte er seitdem kein Spiel mehr für United.

    Als die Anklage gegen ihn fallengelassen wurde, teilte die Staatsanwaltschaft mit: "Eine Kombination aus dem Rückzug von Schlüsselzeugen und neuem Beweismaterial, das ans Licht kam, bedeutete, dass es keine realistische Aussicht auf eine Verurteilung mehr gab."

    Man United führte daraufhin eine interne Untersuchung durch, um zu klären, ob Greenwood wieder im Old Trafford willkommen geheißen werden sollte. Dabei wurde auch die Frauenmannschaft einbezogen. Die langwierige Untersuchung dauerte mehr als sechs Monate, bis United schließlich eine Kehrtwende vollzog und beschloss, sich von dem Stürmer zu trennen. Ursprünglich hätte die Entscheidung wohl in eine andere Richtung gehen sollen, wie The Athletic seinerzeit berichtete. Der öffentliche Druck aber zeigte Wirkung.

    In einer Erklärung sagte Greenwood damals: "Ich habe die Dinge, die mir vorgeworfen wurden, nicht getan." Er fügte hinzu: "Ich akzeptiere voll und ganz, dass ich Fehler gemacht habe, und ich übernehme meinen Teil der Verantwortung für die Situationen, die zu dem Social-Media-Post geführt haben."

    Ein Vereinssprecher sagte: "Alle Beteiligten, einschließlich Mason, sind sich der Schwierigkeiten bewusst, die es für ihn bedeutet, seine Karriere bei Manchester United wieder aufzunehmen. Wir sind daher übereingekommen, dass es für ihn am besten wäre, wenn er seine Karriere außerhalb von Old Trafford fortsetzt. Wir werden nun mit Mason zusammenarbeiten, um dieses Ziel zu erreichen."

    Das Ergebnis war ein Wechsel auf Leihbasis zum spanischen Erstligisten FC Getafe. Dort beeindruckte der Flügelstürmer mit 16 Torbeteiligungen in 32 Spielen. Sofort meldeten ausländische Klubs Interesse an und Uniteds Ziel, die Zusammenarbeit in diesem Sommer endgültig zu beenden, ist nun erreicht.

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  • Mason Greenwood GFXGOAL

    "Keine Straffreiheit für Angreifer"

    Der FC Barcelona, Juventus, Atlético Madrid und Lazio wurden in den letzten Wochen allesamt als mögliche neue Arbeitgeber Greenwoods gehandelt. Das Rennen aber macht nun Olympique Marseille. Die Klubs haben sich wohl auf besagte 30 Millionen Euro Sockelablöse verständigt, Videos bei Social Media zeigten Greenwood in dieser Woche bei seiner Ankunft an der Côte d'Azur.

    Greenwood wird jedoch nicht mit offenen Armen empfangen. Schon das Gerücht über einen möglichen Wechsel nach Südfrankreich im Juni führte dazu, dass in den sozialen Medien der Hashtag #GreenwoodNotWelcome als Teil einer Kampagne gegen den Transfer trendete.

    Die Fangruppe OMForum war eine der treibenden Kräfte und teilte in einer ausführlichen Erklärung mit: "Zu einem Zeitpunkt, an dem angekündigt wird, dass die Verhandlungen wegen eines Wechsels von Mason Greenwood fortgeschritten sind, scheint es notwendig, noch einmal und bevor der Schaden unumkehrbar wird, zu erklären, warum dieser Transfer angesichts der Werte, die der Verein vertritt, unvorstellbar erscheint und warum er für viele von uns das Überschreiten einer rote Linie bedeuten würde, welches die Leidenschaft, die wir für diesen Verein hegen, irreparabel beschädigen würde."

    Ein Kollektiv von feministischen Gruppen aus der Umgebung Marseilles mit dem Namen "J'crains degun" gehörte zu denjenigen, die sich der Gegenreaktion anschlossen, darunter Solidarité Femmes 13, die in der Gemeinde eng mit dem Verein zusammenarbeiten. Sie posteten auf Instagram: "Eine Entscheidung, die nicht mit dem erklärten Engagement von Olympique de Marseille im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen vereinbar ist. Keine Straffreiheit für Angreifer, kein roter Teppich für sie auf dem Spielfeld des Vélodrome!"

  • Olympique Marseille FansGetty

    "Ich bin angewidert und bestürzt"

    Zu denen, die eine Verpflichtung Greenwoods ablehnen, gehört auch OM-Fan Nash. Der 30-Jährige engagiert sich im OMForum und schildert GOAL: "Ich bin angewidert und bestürzt, dass OM überhaupt in Erwägung zieht, Greenwood zu verpflichten. Kein Fan des europäischen Fußballs kann ignorieren, was ihm vorgeworfen wird. Es gibt genug öffentlich bekannte Elemente in diesem Fall, um eine klare Vorstellung davon zu haben, wozu er fähig ist. Und vor allem kann sie niemand ignorieren, eben weil sie in der Öffentlichkeit sind."

    Nash führte fort: "Meiner Meinung nach besteht die große Gefahr, dass die Verbindungen, die OM über Jahre hinweg durch den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen zu karitativen Einrichtungen, insbesondere auf lokaler Ebene, aufgebaut hat, zunichte gemacht werden. Ich weiß zum Beispiel, dass mehrere Organisationen, die sich für die Rechte der Frauen in Marseille einsetzen, über die Gerüchte um Greenwoods Ankunft empört sind."

    Nash ist überzeugt, dass Greenwoods Ankunft der Struktur des Vereins schaden würde. "Der Sport dient der Verbreitung von Werten, das ist eine seiner wichtigsten sozialen Aufgaben", fuhr er fort. "Besonders in Marseille engagieren wir uns sehr für den Kampf gegen Diskriminierung und die Fangruppen haben eine lange antifaschistische Tradition. Der Kampf gegen Diskriminierung ist jedoch sinnlos, wenn wir nicht gegen alle ihren Formen kämpfen."

    Sein Fazit: "Geschlechtsspezifische Gewalt ist ein großes gesellschaftliches Übel, das energisch bekämpft werden muss. OM hat in dieser Angelegenheit eine Rolle zu spielen: Ob es uns gefällt oder nicht, Sport ist eminent politisch. Insbesondere in einem so wichtigen und öffentlichkeitswirksamen Verein wie OM sind die Profis ein Vorbild für viele Menschen, die sich mit ihnen identifizieren. Insbesondere für junge Leute."

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  • Mason Greenwood Getafe 2024Getty

    Olympique Marseille: Viele Fans befürworten Mason Greenwoods Transfer

    Wie schon in Manchester, als Greenwoods Zukunft dort noch ungewiss war, gibt es im Internet aber auch zahlreiche Unterstützer für ihn, die den Hashtag "#GreenwoodWelcome" verbreiten. Ein Unterstützer schrieb auf X zum Beispiel: "Sein Privatleben ist jetzt so. Er ist ein Mann geworden. Wir kennen nicht alle Hintergründe. Er wurde von allen Anschuldigungen freigesprochen. Lasst ihn in Ruhe."

    Der Vorschlag eines anderen Users lautete: "Warum nehmen wir nicht 20.000 bis 30.000 von seinem Gehalt und spenden es an einen Verein für Opfer von häuslichem Missbrauch?" Ein anderer kommentierte. "Wer sagt euch, dass er es wieder tun wird und dass er nicht aus seinen Fehlern gelernt hat? Lasst uns dem Mann eine Chance geben."

    In einem anderen Beitrag heißt es: "Er hat sein Leben wieder aufgebaut und versucht, vorwärts zu kommen, aber einige möchten, dass er für all die Opfer bestraft wird, die diese Chance nicht bekommen haben. Sie holen seine Vergangenheit hervor, um ihn erneut zu verurteilen und ihr moralisierendes Ego aufzublähen."

  • Pablo Longoria MarseilleGetty

    Olympique Marseille will Mason Greenwood eine Chance geben

    In Olympique Marseilles Führungsetage ist man sich der Brisanz einer Greenwood-Verpflichtung natürlich bewusst. Eine GOAL-Anfrage dazu wurde vom Klub allerdings abgelehnt.

    Dafür sagte Vereinspräsident Pablo Longoria bei der Vorstellung des neuen Cheftrainers Roberto De Zerbi: "Welcher Spieler auch immer kommt, er muss alle Werte teilen, die wir in der Gesellschaft teilen. Wir wollen, dass OM weiterhin ein Vektor der sozialen Einheit bleibt und dass alle Spieler, die kommen, unsere Vision von der Gesellschaft teilen." Es dürfte klar sein, auf wen er anspielte.

    Laut der RegionalzeitungLa Provence sind die Verantwortlichen des Klubs der Meinung, dass sie dem britischen Rechtssystem vertrauen sollten und dass Greenwood eine zweite Chance verdient hat.

  • Roberto De Zerbi Marseille Ligue 1Getty

    Roberto De Zerbi über Mason Greenwood: "Ein Weltklassespieler"

    Diese Einstellung spiegelt sich auch in den Worten De Zerbis wider, als er bei seiner Vorstellung zu diesem Thema befragt wurde.

    "Er hat noch nicht unterschrieben, da gibt es nicht viel zu sagen", sagte der Italiener, bevor er sich dann doch ausführlich äußerte. "Er ist ein Weltklassespieler. Ich kenne seinen Hintergrund nicht. Das Einzige, was ich sagen kann, ist, dass ich einen Spieler, der bei dem Verein unterschreibt, bei dem ich arbeite, als mein Kind betrachte."

    Der ehemalige Coach von Brighton & Hove Albion bekräftigte: "Ich beschütze ihn durch dick und dünn, selbst wenn ich ihm privat die Ohren langziehen kann, werde ich ihn öffentlich verteidigen. Meine Spieler sind wie meine Söhne."

  • Benoit Payan Mayor of MarseilleGetty

    Sogar Marseilles Bürgermeister mischt sich ein

    Es spricht Bände, dass sich sogar Marseilles Bürgermeister Bruno Payan in die Causa Greenwood einmischte und deutlich gegen die Klubspitze Position bezog. Payan appellierte: "Ich habe Bilder gesehen, die mich zutiefst schockiert haben. Ich glaube, dass er keinen Platz in dieser Mannschaft haben kann. Die Werte von Marseille und die Werte von Olympique de Marseille sind das genaue Gegenteil."

    Eine Greenwood-Verpflichtung sei "eine Schande", wetterte er und kündigte an: "Ich werde den Präsidenten von Olympique de Marseille bitten, Greenwood nicht zu verpflichten. Ich will nicht, dass mein Verein mit Schande überzogen wird. Das ist nicht akzeptabel. Er [Longoria] kennt auf jeden Fall meine Überzeugungen und meine Meinung. Und ich habe ihm bereits gesagt, dass unsere Geschichte und unser Verein aus Menschen bestehen, die aus unterschiedlichen Verhältnissen stammen. Es ist unerträglich. Ich kann mir nicht eine Sekunde lang vorstellen, dass Pablo Longoria diesen großen Fehler begehen würde."

    Dies war eine so bedeutsame Intervention, dass Greenwood Berichten zufolge darüber nachdachte, das Angebot aus Marseille vor dem Hintergrund der Reaktionen abzulehnen. Seine Entscheidung fiel dann aber doch anders aus und auch Klubchef Longoria ließ sich nicht bekehren.

  • Marseille fans 2022-23Getty

    Marseille ist eine gespaltene Stadt

    Marseille ist also eine gespaltene Stadt. Langjährige Fans denken darüber nach, ihrem Klub den Rücken zu kehren. Andere Anhänger freuen sich über die Möglichkeit, einen hochbegabten Spieler an Land zu ziehen und sehen in den Skeptikern und Kritikern Nestbeschmutzer.

    Nash zum Beispiel berichtet: "Ich habe tonnenweise Hasskommentare und Beleidigungen erhalten. Es gab auch Drohungen in privaten Nachrichten. Einige Fans sehen in denjenigen, die gegen Greenwoods Ankunft protestieren, Feinde unseres Vereins. Andere nennen uns Moralisten."

    Er zog einen Vergleich: "Bei einem Fall wie dem von Greenwood sollte es meiner Meinung nach einen breiten Konsens gegen einen Transfer geben. Nehmen wir den hypothetischen Fall eines Spielers, der jemanden wegen dessen Hautfarbe schlägt. Ein solcher Fall würde in Marseille niemals toleriert. Leider ist es aber so, dass ein Symbol für sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt einfacher akzeptiert wird."

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