Lionel Messis Argentinien oder Pep Guardiolas großer FC Barcelona: Welches Team war besser?

Im Fußball gibt es keine absoluten Wahrheiten, alles ist eine Frage der Debatte. Die verschiedenen Epochen und Spielstile, sowie der Mangel an audiovisuellem Material bis in die 1970er Jahre, können den Blickwinkel bei der Diskussion über die großen Mannschaften und Spieler der Geschichte trüben.

Aber es lässt sich kaum bestreiten, dass Pep Guardiolas FC Barcelona eine der größten Mannschaften war, die jemals auf dem Platz gestanden hat.

Für Lionel Messi ist die aktuelle argentinische Nationalmannschaft "sehr nah dran", die beste Mannschaft der Geschichte zu sein. Der 36-Jährige ließ durchblicken, dass die Barcelona-Elf von vor 14 Jahren das Nonplusultra sei.

Diese hatte vor allem deutlich bessere Einzelspiele als Argentinien beim WM-Triumph: Victor Valdés, Carles Puyol, Dani Alves, Xavi, Andrés Iniesta, Yaya Touré, Thierry Henry, Samuel Eto'o - und eben Messi. Argentiniens absolute Top-Spieler sind derweil in einem Atemzug zu nennen: Julián Alvarez, Ángel Di María und Messi.

Wir wagen einen Vergleich, der nicht nur zeigt, wie sehr der Kapitän seine Zeit in der Nationalmannschaft genießt, sondern auch hervorhebt, wie großartig sich die Albiceleste in den letzten fünf Jahren unter Lionel Scaloni entwickelt hat. Kann die Albiceleste von Lionel Scaloni mit Peps Barça mithalten?

  • Pep Guardiola Messi BarcelonaGetty

    Lionel Messis FC Barcelona und Argentinien: Jegliche Titel abgeräumt

    Argentiniens Erfolge der jüngeren Vergangenheit sind unglaublich: Weltmeister, Sieger der Copa América, Gewinner der Finalissima durch einen Sieg gegen Europameister Italien - und überhaupt nur eine Niederlage in den letzten vier Jahren.

    Scalonis Team beende erst im Sommer 2021 die 28-jährige Titellosigkeit der Albiceleste und verlor in 50 seiner 51 jüngsten Spiele nicht - einzig den WM-Auftakt gegen Saudi-Arabien (1:2) verpatzten die Argentinier.

    Was Guardiolas Barcelona vor 14 Jahren erreicht hat, ist dagegen vielleicht schon ein wenig in Vergessenheit geraten. Pep übernahm Mitte 2008 das Traineramt bei den Katalanen und gewann in seiner ersten Saison als Profi-Trainer LaLiga, die Copa del Rey, die Champions League, sowie den spanischen und europäischen Superpokal. Ende 2009 gewann er außerdem die Klub-Weltmeisterschaft und schaffte damit, was noch nie zuvor in der Geschichte einem Team gelungen war: sechs Titel in einem Kalenderjahr.

    Die Amtszeit des späteren Bayern- und City-Coaches bei Barça sollte sich über vier Spielzeiten bis Mitte 2012 erstrecken, in denen er zwei weitere LaLiga-Titel, eine Copa del Rey, zwei spanische Superpokale, eine Champions League, einen europäischen Superpokal und eine weitere Klub-Weltmeisterschaft gewinnen sollte. Abgesehen von den Trophäen hinterließ diese Mannschaft ein spielerisches Vermächtnis, das bis in die Gegenwart reicht und die Szene komplett revolutionierte.

    Ein Punkt, der bei einem Vergleich immer berücksichtigt werden muss und der klar für Barcelona spricht.

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  • Xavi Iniesta Busquets Barcelona 2009 De Paul Enzo Fernandez Argentina 2022GOAL / Getty

    Die taktischen Gemeinsamkeiten

    Wenn es darum geht, Gemeinsamkeiten zu finden, kommt einem natürlich zuerst Messi in den Sinn. Er macht in beiden Teams den Unterschied.

    Außerdem fällt auf, dass beide Mannschaften dem Gegner ihr Spiel aufzwingen. Peps Barça dominierte den Ballbesitz, Scalonis Argentinien lebt von der starken Offensive.

    Ein weiteres zentrales Thema ist das Mittelfeld: Die Philosophie beider Mannschaften basiert auf einem defensiven Mittelfeldspieler und zwei zentralen Nebenleuten. Drei Spieler mit starker Ballbehandlung, der Fähigkeit, vertikal zu passen. Sie sind intelligent, haben ein starkes Stellungsspiel und sind bereit, mitzuverteidigen.

    Aber Vorsicht: Wir wollen und können auf keinen Fall sagen, dass die einzelnen Spieler auf einem ähnlichen Niveau sind. Rodrigo De Paul, Alexis Mac Allister und Enzo Fernández sind, was die individuelle Klasse angeht, (noch) meilenweit entfernt von Iniesta, Xavi und Busquets (zuvor Yaya Touré).

    Bemerkenswert ist auch die große Fähigkeit der beiden Trainer, die Schwächen ihrer Gegner auszunutzen. Sowohl Guardiola als auch Scaloni studieren die Mannschaft, mit der sie es zu tun haben, sehr genau und zögern nicht, taktische Änderungen vorzunehmen, die Außenstehende überraschen.

    Zwei Beispiele verdeutlichen dies perfekt: der Tag, an dem Pep bei Real Madrid im Santiago Bernabéu Messi als falsche Neun erfand, um die Lücken zwischen den Mittelfeldspielern von Real Madrid, die sich auf Xavi und Iniesta stürzten, und den Innenverteidigern, die sich in der Nähe des Strafraums aufhielten, auszunutzen, war ein genialer Schachzug. Scalonis Ideen sind weitaus weniger revolutionär. Im WM-Finale kam er aber immerhin auf die Idee, Di María links statt rechts aufzustellen. Dieser traf bekanntlich nach 36 Minuten.

    Ein weiterer Punkt, der vielleicht anekdotisch erscheinen mag, aber zeigt, dass die beiden Mannschaften eine perfekte Mischung aus Erfahrung und Jugend waren, ist das Durchschnittsalter der beiden Mannschaften: Das der Blaugrana lag 2008/2009 bei 27,2 Jahren, das der argentinischen Mannschaft, die 2022 in Katar den Titel holte, bei 28,4 Jahren.

  • Guardiola 2009 Scaloni 2022GOAL / Getty

    Taktische Unterschiede zwischen Blaugrana und Albiceleste

    Es ist klar, dass dieses argentinische Team und die Mannschaft von Barcelona nicht auf dieselbe Weise Fußball spielen. Die Mannschaft von Pep veranstaltete einen Kult um den Ball: Wenn sie verteidigte, tat sie alles, um ihn zurückzuerobern, und wenn sie ihn hatte, war ihr Hauptziel, ihn nicht zu verlieren. Druck nach Ballverlusten auf dem ganzen Spielfeld.

    "La Scaloneta" hingegen will den Ball haben, aber nicht um jeden Preis: Pressing betreibt sie nur teilweise, manchmal wird gekontert.

    Das zweite Tor im WM-Endspiel gegen Frankreich ist das zeitlose Beispiel dafür, wie sich die Mannschaft in der Verteidigung, beim Kontern und im Angriff verhält. Eine Herangehensweise, die derjenigen, die den argentinischen Fußball historisch geprägt hat, viel näher kommt.

    Guardiola fasste sein System in Barcelona 2013 in Buenos Aires, ein Jahr nach seinem Abgang, derweil so zusammen: "Darin bin ich sehr egoistisch. Ich will den Ball für mich, und wenn der Gegner ihn hat, warte ich nicht auf ihn. Ich nehme ihm den Ball weg und lasse ihn das wissen. Als Trainer lebe ich ruhiger, wenn ich in der gegnerischen Hälfte spiele, als wenn ich in der eigenen Hälfte spiele." Ähnlich ließ der Meister dann auch in München spielen.

    Scaloni erläuterte sein System derweil im Selecta-Podcast so: "Als wir das Amt übernahmen, war das Profil der Spieler, die wir aufboten, ziemlich vertikal. Im Laufe der Spiele und angesichts der Spieler, die sich hervorgetan haben, wurde uns klar, dass wir vielleicht eine Veränderung vornehmen und Spieler mit guter Ballbehandlung einsetzen müssen. Das würde dazu führen, dass alle besser spielen. Aber es gibt keine Mannschaft, die 70 oder 80 Prozent des Spiels dominiert, es gibt nur Mannschaften, die versuchen, die Kontrolle über das Spiel zu übernehmen. Es gibt Zeiten, in denen wir uns reinhängen müssen, wenn wir das Gefühl haben, dass wir in Schwierigkeiten sind. Wenn Argentinien früher gegen eine der so genannten 'schwächeren' Mannschaften gespielt hat, hat man sich Sorgen gemacht, wenn sie zwei Minuten lang den Ball hatten. Aber heute bereitet uns das kein Kopfzerbrechen mehr."

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  • Messi Barcelona 2009 Argentina 2022GOAL / Getty

    Lionel Messi: Besser bei Barça, wertvoller für Argentinien - aber jeweils Ballon-d'Or-Sieger?

    Als Guardiola die erste Mannschaft des FC Barcelona übernahm, traf er eine Entscheidung, welche die Geschichte des Vereins und des Fußballs verändern sollte: Er forderte den Vorstand auf, sich von Ronaldinho, dem Starspieler der Mannschaft, zu trennen und Lionel Messi das Trikot mit der Nummer 10 zu geben. Und mit dem vollen Vertrauen des Trainers wurde "La Pulga" von einem Spieler mit Weltklassepotenzial tatsächlich zum Besten der Welt: 2009 gewann er seinen ersten Ballon d'Or.

    Dieser Spieler, der gerade 20 Jahre alt geworden war, explodierte förmlich. Die meiste Zeit der Saison 2008/09 spielte er auf der rechten Seite als Flügelstürmer und zog in die Mitte, nachdem er alle Gegner hinter sich gelassen hatte. Pep probierte ihn aber auch als falsche Neun aus - eine Position, die er Mitte der Saison 2009/10 endgültig einnahm und auf der er einige Jahre später seinen Höhepunkt erreichen sollte, als er im Kalenderjahr 2012 insgesamt 91 Tore erzielte.

    15 Jahre später ist der heute 36-Jährige aber natürlich nicht mehr derselbe Typ von Fußballer. Aber eines ist gleich geblieben: Leo steht kurz davor, den achten Ballon d'Or seiner Karriere zu erhalten. Und wenn der erste Ballon d'Or für seine Leistungen auf Vereinsebene verliehen wurde, so wird die Auszeichnung in diesem Jahr fast ausschließlich auf seinen Leistungen für Argentinien basieren.

    Messi hat nicht mehr die Schnelligkeit von damals, als Guardiola ihn trainierte, aber er ist ein viel kompletterer Spieler geworden.

    Das Chaos, das er früher durch seine körperlichen Fähigkeiten auslöste, erzeugt er jetzt durch seine Intelligenz und seine Fähigkeit zu täuschen. Früher wusste jeder, was Leo tun würde, wenn er den Ball bekam, und niemand konnte ihn aufhalten. Jetzt weiß niemand, wohin er gehen wird, wenn er den Ball bekommt. Und wenn nicht, fragt man vielleicht am besten Kroatiens Josko Gvardiol, der im WM-Halbfinale von Lusail übel von Messi vernascht wurde.

    Auf seiner Position hat er bei Argentinien viel mehr Freiheiten als in der Vergangenheit. Fast so sehr wie ein Mittelfeldspieler - eine Position, die als ausgestorben gilt, die Messi aber als Erbe der besten Nummer 10 in der Geschichte der Nationalmannschaft in sich trägt.

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