Manchester Uniteds Lichtblick: Kobbie Mainoo sieht aus "wie ein Spieler von Manchester City"

Vor der Partie bei Everton war es mehr als zehn Monate her, dass Mainoo im Carabao Cup gegen Charlton Athletic erstmals für Uniteds Profis gespielt hatte. In diesem Spiel tastete sich der damals erst 17-jährige Youngster an das Spiel heran. Er hatte den zusätzlichen Vorteil, dass United zu dieser Zeit im Old Trafford gegen eine Mannschaft spielte, die zwei Klassen tiefer angesiedelt war.

Es war eine ganz andere Atmosphäre als die, in der er sich am vergangenen Sonntag bei Everton wiederfand - mit Fans, die sich über den 10-Punkte-Abzug ärgerten.

"Er hat sich hier im Goodison Park in einer Atmosphäre, die die heftigste seit vielen Jahren hätte sein können, in einer feindseligen Umgebung gezeigt, und er sah klasse aus", sagte der ehemalige United-Kapitän Gary Neville bei Sky Sports. "Wir wissen, dass er Klasse hat, dass er diese Fähigkeit hat, das hat er unter diesen Umständen gezeigt. Ich beurteile einen Spieler immer dann, wenn er die schwierigste Phase des Spiels kennenlernt. Als Manchester United kurz vor der Halbzeit für 20 Minuten seine schwierigste Phase hatte, war er der einzige Spieler, der sich zeigte, der einzige Spieler, der noch wie er selbst aussah."

Eine klischeehafte Einschätzung von Mainoos Leistung wäre, dass er sich bei seinem Startelf-Debüt sofort in die United-Mannschaft einfügte und so aussah, als würde er schon seit Jahren mit seinen älteren Mannschaftskameraden spielen. Aber das wäre völlig falsch.

Vielmehr wirkte der 18-Jährige viel souveräner als die anderen Rothemden und spielte mit einem Selbstvertrauen und einer Spielintelligenz, wie man sie in dieser Saison, wenn nicht gar seit Jahren, in der United-Mannschaft kaum gesehen hat. Wie Neville bemerkte, sah Mainoo tatsächlich so aus, als hätte er das Fußballspielen auf der anderen Seite von Manchester gelernt.

"Das größte Kompliment, das ich ihm machen kann, und es tut weh, das zu sagen ... er sah aus wie ein Spieler von Manchester City", sagte Neville. "Ehrlich gesagt, habe ich ihn beobachtet und gedacht, das ist ein Spieler, den sich Pep Guardiola ansehen und denken wird: 'Ich will ihn in meinem Mittelfeld haben, das machen meine Mittelfeldspieler'."

Neville, Ex-United-Profi, erklärte aber: "Zum Glück hat ManUnited ihn bekommen, denn er wirkt so gelassen, so elegant, schaut immer über seine Schulter, weiß, wo jeder ist, und beherrscht den Ball. Mit 18 Jahren wird er später noch härtere Spiele haben, er hat eine große Herausforderung vor sich, es wird Verletzungen geben, Höhen und Tiefen, andere Spieler werden kommen. Er spielt in einem Verein mit hohen Anforderungen. Aber das war sehr, sehr gut."

Mainoo führte Uniteds Spielaufbau von hinten an, forderte häufig den Ball von den Verteidigern und scannte seine Umgebung, bevor er ihn bekam. So blieben die Red Devils lange im Ballbesitz und konnten Everton in Schach halten.

Der 18-Jährige beendete die Partie mit der höchsten Passquote (82 Prozent, nicht überragend) aller United-Spieler, die in der Startelf standen, brachte 38 Pässe an den Mann. Damit lag er nur vier Pässe hinter Diogo Dalot.

Wenn er seine Leistung aus dem Goodison Park wiederholen kann, dann könnte sich United in eine ganz andere Mannschaft verwandeln als die, die wir in dieser Saison über weite Strecken gesehen haben. Eine, die gegen die schwächsten Gegner der Liga gerade noch so zum Sieg humpelte und von Mannschaften wie Brighton, Manchester City und Tottenham deklassiert wurde.

Ten Hag räumte ein, dass Mainoo die Tür zu einem ganz anderen Spielstil öffnen könnte als der reaktive Ansatz, den United über weite Strecken seiner Amtszeit verfolgt hat. "Manchmal muss man sich anpassen und pragmatischer sein. Aber wenn wir die Positionen mit den Spielern besetzen, die uns zur Verfügung stehen, weiß ich, dass wir sehr guten Fußball spielen können", sagte er. "Wir wollen uns wohlfühlen und von hinten heraus spielen - beim ersten und dritten Tor haben wir das gesehen. Wir wollen im und nach dem Ballbesitz die Initiative ergreifen."

Ten Hag wurde aufgrund seiner Erfolge mit Ajax nach Manchester geholt. Ajax formte er zu einem der aufregendsten Teams in Europa, das er 2019 beinahe bis ins Champions-League-Finale führte. Auf dem Weg dorthin deklassierte Ajax unter anderem Real Madrid im Santiago Bernabeu.

Doch die Fans der Red Devils haben unter dem Niederländer nicht viel von der Johan-Cruyff-Schule gesehen, da ten Hag gezwungen war, seine anfänglichen Vorstellungen von seiner Spielweise aufzugeben - nachdem seine Mannschaft in den ersten beiden Pflichtspielen gegen Brighton und Brentford auseinandergenommen wurde.

Ten Hags Entscheidung, David de Gea ablösefrei gehen zu lassen und im Sommer André Onana zu verpflichten, unterstreicht jedoch seinen Willen, United zu einer attraktiveren Mannschaft in Ballbesitz zu machen. Der spanische Torhüter fühlte sich nicht wohl, wenn er von Lisandro Martinez den Ball bekam und nach einigen haarigen Situationen zog er es vor, den Ball ins Aus zu schießen.

Die Ankunft von Onana sollte einen anderen Stil einleiten, doch stattdessen stand United vor dem gegenteiligen Problem: ein Torhüter, der von hinten heraus spielen will, aber keine passenden Mitspieler hat. Weder Harry Maguire noch Victor Lindelöf und Jonny Evans sind dafür bekannt, unter Druck sicher zu passen.

Doch mit Mainoo hat United endlich einen Spieler, der den Ball aus dem eigenen Strafraum abholen und ihn verteilen kann. Er und Onana sind auf der gleichen Wellenlänge.

Mainoo will aber nicht nur saubere, kurze Pässe spielen. Gegen Everton hat er oft versucht, Anthony Martial und Marcus Rashford von hinten freizuspielen.

Mit seinem Passspiel kann er auch Rasmus Höjlund, der noch immer auf sein erstes Tor in der Premier League wartet, in Szene setzen. Der dänische Stürmer macht immer wieder clevere Läufe nach hinten, wird aber allzu oft frustriert zurückgelassen, weil er nicht die nötigen Vorlagen bekommt.

Mainoo erfüllt auch die anderen Anforderungen, die United an einen defensiven Mittelfeldspieler stellt: Aufmerksamkeit und Einsatzbereitschaft. In der ersten Halbzeit gegen Everton konnte er den Ball auf der Torlinie klären.

Der Teenager zeigte auch seinen Willen, als er bei seinem zuvor einzigen Premier-League-Einsatz, einem zehnminütigen Auftritt gegen Leicester in der vergangenen Saison, ein auffälliges Tackling gegen James Maddison zeigte. Der englische Mittelfeldspieler versuchte, Mainoo aus dem Weg zu gehen und dribbelte sich an ihm vorbei, doch als er zum Torschuss ansetzte, blockte der Youngster den Schuss mit einer gut getimten Grätsche ab.

Wie bei allen jungen Spielern gab es bei all dem Lob für Mainoo auch Stimmen, die daran erinnerten, dass er erst 18 Jahre alt ist und erst zweimal von Beginn an in der Liga gespielt hat. Alle, die ihn bereits in den Himmel loben, müssen aufpassen, den Sinn für eine realistische Einschätzung nicht zu verlieren.

"Es war beeindruckend und es macht keinen Sinn, sich davon hinreißen zu lassen. Denn die Realität ist, dass er noch 17 oder 18 Jahre und noch viel Arbeit vor sich hat", warnte Neville. "Er hat offensichtlich technische Fähigkeiten und Fertigkeiten, ohne die man nicht für Manchester United spielt, ohne die man nicht von Erik ten Hag ausgewählt wird. Aber man weiß nicht, wie sie damit umgehen werden."

In einer idealen Welt wäre United in der Lage, Mainoo nach und nach mit Einsatzminuten zu versorgen, wie es City mit Rico Lewis tut und zuvor mit Phil Foden getan hat. Aber die Red Devils haben viele Punkte aufzuholen, vor allem in der Champions League, wo sie lediglich vier Punkte aus fünf Spielen gesammelt haben. Gegen Galatasaray kam Mainoo zuletzt nach 58 Minuten für Sofyan Amrabat und zeigte erneut eine ordentliche und engagierte Leistung vor einem wilden Publikum - das spricht für ihn und seine Mentalität.

Ten Hag wurde auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gefragt, ob die berüchtigte, einschüchternde Atmosphäre in Galas Stadion, die zum Synonym für den Banner "Willkommen in der Hölle" geworden ist, die richtige Umgebung für einen Spieler wie Mainoo sei: "Wenn sie gut genug sind, sind sie alt genug", betonte ten Hag.

Aber wird der Niederländer ihm auch in den nächsten Spielen vor Weihnachten vertrauen? Vor Mainoo liegt jedenfalls noch ein unendlich langer Weg, der gerade in diesem Chaos-Verein schwer werden dürfte.