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"Jeder Sieg gegen Real Madrid ist symbolisch": Wie Gerard Pique weit über den Fußball hinaus zu einer Identifikationsfigur wurde

"Es war das härteste Spiel", sagte Gerard Pique nach einem auf den ersten Blick unscheinbaren 3:0-Pflichtsieg des FC Barcelona gegen Las Palmas. Doch es war der Tag, an dem jene Partie stattfand, der sie für Pique so hart machte. Denn am Nachmittag des 1. Oktobers 2017 hatte der ehemalige Weltklasse-Innenverteidiger andere Dinge im Kopf als Fußball.

Pique dachte an jenem Sonntag an eine für ihn noch größere Sache. An ein Referendum nämlich, das die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien durchsetzen sollte und bei dem Pique wenige Stunden vorher selbst seine Stimme abgegeben hatte. "Es war ein harter Tag. Ich bin und fühle mich katalanisch, heute mehr denn je. Ich bin stolz auf das Verhalten der Menschen in Katalonien. Wählen ist ein Recht, das verteidigt werden muss", sagte Pique unter Tränen.

Die Partie gegen Las Palmas hatte vorsichtshalber unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden, das riesige Camp Nou war menschenleer gewesen. Draußen spielten sich derweil mitunter dramatische Szenen ab, da die spanische Polizei teilweise gewaltsam gegen das Referendum vorging.

  • Obwohl gut 90 Prozent der Abstimmenden dafür stimmten, blieb der autonomen Gemeinschaft im Nordosten Spaniens die Unabhängigkeit verwehrt, da die spanische Regierung das Ergebnis nicht anerkannte. Für Pique, der sich selbst zwar nicht nur stolzer Katalane, sondern auch Spanier nennt, ein bitterer Ausgang. 

    Der Abwehrhüne hatte sich im Vorfeld des Referendums intensiv dafür eingesetzt, dass möglichst viele Menschen zur Wahl gehen. Er entwickelte sich mehr und mehr zu einem der Gesichter des katalanischen Bestrebens nach Unabhängigkeit.

    Was das für sein Ansehen im Rest des Landes bedeutet, bekam Pique schon unmittelbar nach dem Referendum schmerzlich zu spüren. Bei einem öffentlichen Training der spanischen Nationalmannschaft in Vorbereitung auf ein WM-Qualifikationsspiel gegen Albanien Anfang Oktober 2017 wurde der damalige Barca-Star von einigen Zuschauern nicht nur ausgepfiffen, sondern auch beleidigt. "Pique, hau ab", stand auf einem der Schilder und Plakate, die sich gegen den Verteidiger richteten. Nach nur rund 20 Minuten musste die Einheit sogar abgebrochen werden, zu feindselig war die Stimmung.

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  • Gerard PiqueGetty

    Gerard Pique: In der Nationalelf zwischen den Welten

    Schon tags zuvor hatte Pique dem damaligen Nationaltrainer Julen Lopetegui unter Tränen seinen Rücktritt angeboten, der lehnte jedoch ab. Am Tag nach dem abgebrochenen Training stellte sich Pique dann auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit und wollte Zusammenhalt signalisieren. 

    Er betonte, die Gedanken an ein vorzeitiges Ende bei der Furia Roja schnell wieder verworfen zu haben: "Seit fast zehn Jahren spiele ich nun für Spanien. Ich werde jetzt nicht durch die Hintertür verschwinden", sagte der damals 30-Jährige und weigerte sich dagegen, sich öffentlich für Kataloniens Unabhängigkeit zu positionieren: "Wir Fußballer sind globale Figuren, wir können uns nicht auf eine Seite schlagen. In dieser schwierigen politischen Situation ist der Dialog der einzige Weg, sonst wird es noch schlimmer. Wen interessiert, wie ich reagiere? Ich kann und darf meine Meinung haben. Viele wollen die Unabhängigkeit - viele wollen sie nicht."

    Dennoch stand Pique im Umfeld der Nationalmannschaft häufig so ein bisschen zwischen den Welten. Zu tief saßen die Spannungen zwischen der stolzen Barca-Ikone und Stars des Konterparts aus der spanischen Hauptstadt, nicht nur wegen der bekannten Vereinsrivalität zwischen Barcelona und Real Madrid.

  • FBL-LIGA-ESP-REAL MADRID-BARCELONAAFP

    Gerard Pique prägte bei Barcelona und für Spanien ruhmreiche Zeiten mit

    "Jeder Sieg gegen Real Madrid ist symbolisch", sagte Pique nach einem Clasico-Triumph im März 2019 und jedem war klar, dass er bei dem Satz auch die politischen Spannungsfelder, die zwischen den beiden Klubs liegen, im Sinn hatte.

    Mit Blancos-Legende Sergio Ramos verband ihn derweil stets eine Art Hassliebe. "Ich verteidige meine Farben, Pique seine. Und wenn wir dasselbe verteidigen, tun wir das zusammen. Aber erwartet nicht, dass ich ihn nach einem Clasico umarme", sagte Ramos einmal. Obwohl sie sich offenkundig nie sonderlich gut verstanden, feierten Pique und Ramos Seite an Seite riesige Erfolge.

    Beim Weltmeister-Titel 2010 und beim Europameister-Titel 2012 waren sie gesetzt in Spaniens Abwehr und prägten die erfolgreichste Ära der Iberer entscheidend mit. Pique, der in Barcas berühmter Akademie La Masia groß wurde, verließ die Blaugrana allerdings mit 17 in Richtung Manchester United. Nachdem ihm dort der große Durchbruch verwehrt blieb, kehrte er 2008 zu Barcelona zurück und avancierte zum Eckpfeiler der Ära unter Pep Guardiola.

  • Barcelona v Athletic Club - Copa del Rey FinalGetty Images Sport

    Gerard Pique lieferte auch außerhalb des Platzes Schlagzeilen

    Im Nationalteam debütierte er 2009 und lieferte den Europameistern von 2008 ein weiteres Puzzlestück, das für die spanische Dominanz in jenen Jahren wichtig war. Pique vereinte resolute Zweikämpfe, Kopfballstärke, herausragendes Stellungsspiel und eine Eleganz am Ball, wurde damit stilbildend für das Ideal des spanischen Innenverteidigers. Schon rund um sein erstes großes Turnier, die WM 2010, schrieb er aber auch außerhalb des Platzes Schlagzeilen.

    Schließlich legte er seinerzeit den Grundstein für seine langjährige Beziehung mit Sängerin Shakira, mit der er zwei gemeinsame Kinder hat. Die Kolumbianerin sang "Waka Waka", den offiziellen Song der Weltmeisterschaft in Südafrika, und nachdem er sie wegen seines kurzen Auftritts im dazugehörigen Musikvideo kennenlernte, ging Pique in die Offensive. "Ich sagte zu ihr, dass wir ins Finale kommen müssen, dass ich sie noch einmal sehen kann - sie ist beim Finale aufgetreten", verriet der Spanier später Mail Online.

    Beide Pläne gingen bekanntlich auf. Spanien erreichte das Endspiel, krönte sich mit einem Sieg über die Niederlande zum Weltmeister und Pique eroberte Shakiras Herz. Elf Jahre lang hielt das Glück, im Sommer 2022 wurde die Trennung verkündet. Pique soll Shakira betrogen haben, in den Monaten nach dem Beziehungsaus entwickelte sich zeitweise eine Schlammschlacht.

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    Gerard Pique: Revolutionäre Gedanken für das Tennis

    Einige Monate nach der Trennung von Shakira sagte Pique auch dem Profifußball Lebwohl, beendete zum Jahresende 2022 hin seine Karriere. Aus der Nationalmannschaft war er bereits im Anschluss an das enttäuschende Achtelfinal-Aus bei der WM 2018 zurückgetreten. Für die von der FIFA nicht anerkannte Nationalmannschaft Kataloniens lief er danach aber noch einmal auf, feierte mit ihr im März 2019 einen 2:1-Sieg in einem Freundschaftsspiel gegen Venezuela.

    Und während seine Karriere ihren Herbst erreichte, begann Pique mehr und mehr, auch außerhalb seines Berufs als Fußballprofi tätig zu werden. Mit seiner Investmentfirma Kosmos revolutionierte er den Davis Cup im Tennis, der seit 2019 vorübergehend in einem neuen Format gespielt wurde. 

    Nach Querelen mit dem Tennis-Weltverband ITF wurde das Projekt 2023 zwar wieder beendet, doch Pique hat auch für das Tennis weiterhin Innovationsgeist: "Tennis ist ein spektakulärer Sport, aber die Statistiken zeigen: Es gibt immer weniger Menschen, die Tennis spielen", sagte der Ex-Fußballer im Februar in einem Podcast. "Das Tennis wird Fans verlieren, wenn niemand Lösungen findet", blickte er besorgt voraus und führte Verbesserungsvorschläge an: "Warum sind zwei Aufschläge erlaubt? Wenn du den ersten Aufschlag verfehlst, ist es ein Punkt für den Gegner. Ansonsten sind es 30 Sekunden mehr von einem Kerl, der den Ball auf den Boden prallt. Die Leute wollen das nicht sehen. Sie wollen auch kein fünfminütiges Spiel sehen mit Einstand, Vorteil, Einstand, Vorteil. Es sollte einen entscheidenden Punkt bei Einstand geben."

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    Gerard Pique rief die Kings League ins Leben

    Einen ähnlichen Antrieb wie beim Tennis hatte Pique auch, als er 2022 die Kings League ins Leben rief. Eine Kleinfeld-Liga, die vor allem jungen Fans eine Alternative zum klassischen Fußball bieten soll. 

    "Wir haben uns überlegt, wie wir Fußball unterhaltsamer gestalten können, indem wir Dinge aus anderen Sportarten wie Basketball oder Wasserball übernehmen. Wir wollten auch mehr Dinge passieren lassen, um Fußball in ein reales Videospiel zu verwandeln", erklärt Oriol Querol, Geschäftsführer der Kings League, über die Ideen dahinter. 

    "Was wir hier versuchen, ist so etwas wie das Gegenteil von echtem Fußball", sagte Pique selbst einmal im ZDF-Sportstudio. Neben großen Namen aus dem Fußballgeschäft spielen in der Kings League auch Streaming- und Social-Media-Stars eine gewichtige Rolle, der Entertainment-Faktor ist enorm.

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    Gerard Pique: Klub-Besitzer des FC Andorra

    Pique ist derweil nicht nur Revolutionär, sondern auch im klassischen Fußball weiterhin tätig. Seit Ende Dezember 2018 ist er Besitzer des FC Andorra aus der Hauptstadt des kleinen Staates zwischen Frankreich und Spanien. Das Fernziel ist, wie könnte es bei Pique anders sein, ganz groß gedacht: "Eines Tages wird in Andorra die Champions-League-Hymne erklingen", versprach er schon wenige Monate nach seinem Einstieg.

    Immerhin: Spielte der Klub bei Piques Ankunft noch in der fünften spanischen Liga, stieg man schon dreieinhalb Jahre später in Liga zwei auf. Der kurzfristige Wiederabstieg in die dritthöchste Spielklasse von 2024 wurde schnell wieder korrigiert, aktuell belegt Andorra einen Mittelfeldplatz in der zweiten Liga.

    Wie sehr Pique das Projekt am Herzen liegt, veranschaulicht ein Vorfall von Anfang Oktober. Bei einer 1:2-Heimniederlage Andorras gegen Leganes war der 38-Jährige mit der Schiedsrichterleistung offenkundig ziemlich unzufrieden.

    Wie der Unparteiische Saul Ais Reig in seinem Bericht festhielt, suchte Pique nach der Partie die Schiedsrichterkabine auf und polterte: "Das ist eine verdammte Schande! Mach' nur und schreib' das in deinen Bericht, wenn du willst." Für klare Kante war Pique eben schon immer bekannt.