Vinicius Junior Real Madrid 2025Getty Images

"Irrenhaus" Real Madrid: Die Königlichen sollten Vinicius Junior opfern

Müsste man die Jugendbezeichnung "Main Character Energy" irgendwie im Fußballkosmos umschreiben, dann wäre Real Madrid wohl das passende Beispiel. Der Begriff beschreibt ein Verhalten einer Person, als wäre sie die Hauptfigur in einem Film, einer Serie, einem Videospiel oder einer Geschichte.

Alles dreht sich um sie. Häufige Verhaltensmuster sind eine besonders selbstbewusste und dramatische Inszenierung. Als ob jede Szene ihres Lebens ein bedeutender Moment wäre. Dass Real Madrid "Main Character Energy" hat, zeigt die aktuelle "Krise" rund um Xabi Alonso eindrucksvoll.

  • Zwar ist dieser Fußballklub keine Person, aber sie haben dieses Verhalten über die vergangenen Jahrzehnte perfektioniert. Und um fair zu bleiben: Real Madrid ist qua seiner Erfolge automatisch die Hauptfigur des europäischen Fußballs. Kein anderer Verein hat diese Strahlkraft.

    Ob man es nun positiv, neutral oder negativ mit den Königlichen hält: Es gibt wohl keinen größeren Fußballklub. Und trotzdem schaffen sie es immer wieder, sich noch stärker in den Mittelpunkt zu rücken und sich entsprechend zu inszenieren. Sei es bei den jüngsten Manipulationsvorwürfen gegen den FC Barcelona, beim demonstrativen Nicht-Erscheinen auf der Ballon-d'Or-Gala, weil ein eigener Spieler nicht gewann, oder eben jetzt gerade in der vermeintlichen sportlichen Krise.

    Nach 13 Spieltagen steht Real Madrid an der Tabellenspitze der spanischen Liga. Ein Punkt trennt sie vom FC Barcelona. Zuletzt gab es zwei Unentschieden (0:0 gegen Rayo Vallecano und FC Elche), außerdem verlor man zuvor in der Champions League gegen den FC Liverpool mit 0:1.

    In den restlichen 14 Pflichtspielen gab es 13 Siege, darunter das 2:1 im Clasico gegen Barca, aber auch eine für die Fans bittere 2:5-Pleite gegen Atletico Madrid. Und dennoch: In allen Wettbewerben steht Madrid aktuell gut da – trotzdem scheinen sich die ersten Feuer auszubreiten.

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  • Real Madrid CF v Valencia CF - LaLiga EA SportsGetty Images Sport

    "Völlige Entfremdung": Xabi Alonso steht in der Kritik

    Denn wenn selbst die oft als "Hausblatt" verschriene Marca bereits Böses ahnt, dann geht es hier nicht um das übliche Drama, das beim ohnehin schon dramatischen Klub von außen noch zusätzlich hineininterpretiert wird. In seiner Radiosendung La Tribu sprach Journalist Roberto Gomez von einer "völligen Entfremdung zwischen Mannschaft und Trainer".

    Alonso habe am vergangenen Wochenende mit seinen Personalentscheidungen "schwer versagt". Vor allem die Nicht-Berücksichtigung von Vinicius Junior sorgte für Aufregung. Stammkräfte wie Dean Huijsen oder Alvaro Carreras seien formlos und Rodrygo hätte in der Anfangsformation nichts verloren. "Die Aufstellung war eine echte Katastrophe", schlussfolgerte der Journalist. 

    Eine Nummer kleiner hatte er es nicht. Warum auch? Es ist das Drama, von dem sich Real Madrid in guten wie in weniger guten Zeiten ernährt. Dass das sportlich auch mal zurückfeuern kann, sieht man jetzt gerade. Alonso zumindest bemühte sich darum, die Unruhe frühzeitig einzufangen. "Das ist kein Problem, wir hatten darüber gesprochen, wie wir es oft tun", erklärte der ehemalige Leverkusen-Trainer in Bezug auf die Situation von Vinicius Junior: "Er versteht es und wusste, welche Rolle er spielen würde."

  • Real Madrid: Vinicius Junior droht mit Abgang

    Aber versteht der Brasilianer es wirklich? Das im internationalen Fußball meist sehr gut informierte Onlinemedium The Athletic wittert zumindest mehr als leichte Unzufriedenheit. Demnach soll der 25-Jährige in einem Gespräch mit Florentino Perez bereits Ende Oktober mitgeteilt haben, dass er seinen Vertrag nicht verlängern werde, weil es zwischenmenschliche Spannungen mit dem Trainer gebe.

    Auch andere Medien berichteten, dass das Verhältnis der beiden in den vergangenen Wochen immer schlechter geworden sei. Gegen Barcelona wurde Vinicius Junior ausgewechselt. TV-Kameras fingen ein, wie er sich darüber echauffierte und von einem Abschied sprach.

    Da der Vertrag des Angreifers im Sommer 2027 ausläuft, könnte es im nächsten Jahr zu einer Grundsatzentscheidung kommen: Verkauft man Vinicius Junior und versucht, dessen aktuell noch sehr hohen Marktwert für eine Neustrukturierung zu nutzen? Oder entscheidet man sich dafür, dass er weiterhin eine tragende Säule sein soll – und opfert dafür gegebenenfalls einen der talentiertesten Trainer Europas?

  • Real Madrid hat sich nach Ancelotti bewusst für einen starken Bruch entschieden

    Dass es nach wenigen Monaten bereits solche Diskussionen gibt, ist typisch für die "Galaktischen". Gleichzeitig sollte man sich in Madrid die Frage stellen, was die Erwartungshaltung ist, wenn man sich auf der Trainerbank offenbar bewusst für einen so starken Bruch entscheidet.

    Carlo Ancelotti unterscheidet sich in seiner Herangehensweise deutlich von Alonso. Der Italiener gilt als Menschenfänger, als jemand, der eine Kabine mit Stars in den Griff bekommt – qua Autorität, aber auch mit einer sehr langen Leine, was die Trainingsinhalte und die Spielweise anbelangt. Oft wird das einseitig positiv dargestellt, weil der 66-Jährige fast überall Erfolg hatte.

    Als er aber 2016 auf Pep Guardiola beim FC Bayern folgte, gab es in der Kabine von Monat zu Monat mehr Unruhe und Uneinigkeit über diese lange Leine. Es rumorte damals an der Säbener Straße, dass einige Spieler nicht damit zurechtkämen, dass das Training zu "Laissez-faire" sei.

    Ancelotti spürte, was es bedeutet, ein Team zu übernehmen, das einen komplett anderen Führungsstil gewohnt war – und vor allem inhaltlich eine andere Komplexität. Unterm Strich kostete ihn das erst die Kabine und dann seinen Job beim Rekordmeister - und Karl-Heinz Rummenigge weinte in den Armen seines italienischen Freundens bittere Tränen nach dem Scheitern.

    Zum jetzigen Zeitpunkt ist es nur Spekulation, aber denkbar wäre, dass der sehr akribische und auf komplexere Trainingsinhalte fokussierte Alonso nun dasselbe erlebt wie sein Vorgänger einst in München – nur andersherum.

  • Xabi Alonso Real Madrid 2025Getty

    Real Madrid: Weniger Helden, mehr Teamgeist?

    Der ehemalige Mittelfeldspieler fordert viel von seinen Mannschaften, will in jedem Spiel möglichst die komplette Kontrolle haben. Gerade im taktischen Bereich arbeitet Alonso viel intensiver als Ancelotti – wenngleich es gefährlich ist, nur in diesen Schubladen zu denken. Dass Alonso in Leverkusen als Menschenfänger galt, ist ebenso übermittelt wie die eine oder andere taktische Qualität, die Ancelotti seinen Mannschaften geben konnte.

    Die Verteilung der Prioritäten ist bei beiden aber jeweils anders. Und das ist eine Umstellung, die dazu führen kann, dass der eine oder andere Spieler in der Kabine unruhiger wird. Ein namentlich nicht genannter Real-Spieler sprach gegenüber The Athletic davon, dass die Real-Kabine bereits unter Ancelotti einem "Irrenhaus" geglichen habe, das nur durch ältere Spieler wie Luka Modric oder  Lucas Vazquez im Zaun gehalten worden sei. Beide Routiniers sind weg und in Trainer Alonso ist mit der wesentlich kürzeren Leine nun da. Das "Missmatch" scheint vorprogrammiert.

    Madrid nähert sich mit jener Veränderung auf dem Trainerposten Klubs an, die sich über eine starke fußballerische Philosophie definieren. Etwas, was man in der spanischen Hauptstadt nie für notwendig empfand.

    Heldenfußball brachte immer dann den Erfolg, wenn sie die entsprechenden Helden auf dem Platz hatten und ein Trainer es verstand, sie hinter einem Ziel zu vereinen. Ein Luxus, den man sich als größter Klub der Welt mit den in der Regel besten Spielern leisten kann. Nun aber gibt es offenbar den Versuch, das Team in den Mittelpunkt zu stellen und nicht die Helden.

  • Real Madrid muss sich entscheiden: Drama und Diven oder Neuanfang mit Alonso?

    Dass ausgerechnet jemand wie Vinicius Junior damit Probleme zu haben scheint, ist für viele nachvollziehbar. Denn wie sein Klub hat auch der Linksaußen einen Hang dazu, sich selbst als Hauptfigur zu sehen. Auf und neben dem Platz dreht sich alles bestenfalls um ihn. Er ist bekannt für Show, Provokation und eigentlich spektakulären Fußball.

    Letzteres hat in dieser Saison jedoch spürbar abgenommen. Mit neun Torbeteiligungen in 17 Partien und keiner einzigen in der Champions League wirkt der Brasilianer sehr irdisch. Ja sogar austauschbar. Eine Entwicklung, die aber nicht neu ist. Auch unter Ancelotti ging seine Formkurve immer weiter bergab.

    Im Kalenderjahr 2025 gelangen ihm in der spanischen Liga nur noch drei Tore unter dem Italiener. Hinzu kamen drei Vorlagen. In 15 Einsätzen. In der K.-o.-Phase der Champions League kam Vinicius Junior auf zwei Assists und einen Treffer in sechs Partien. Es besteht also das Risiko, dass sein sportlicher Höhenflug nur von kurzer Dauer war.

    Für Real Madrid wird es nun auch eine Geduldsprobe. Wie lange halten sie an ihrem Kurswechsel hin zu einem teamfokussierten Ansatz fest? Und wie sehr hält die Führungsetage die Beschwerden der Diven aus, denen das Scheinwerferlicht ausgeht? Auch wird eine entscheidende Frage sein, ob man bereit ist, Alonso Gestaltungsfreiheit beim Kader zu geben und den einen oder anderen größeren Namen dabei auszusortieren.

    Es würde nicht zur "Main Character Energy" passen, die der Klub verkörpert. Aber vielleicht wäre es ausnahmsweise der richtige Weg, Drama und Theater gegen Ruhe und Souveränität zu tauschen. Dann müsste man konsequenterweise den Weg von Alonso stützen und das Verhalten von Vinicius Junior ins Leere laufen lassen. 

    Selbst wenn das das Aus des Brasilianers bedeuten würde.

  • Real Madrid: Die Spiele in den kommenden Wochen

    WettbewerbDatumUhrzeitGegner
    Champions League26. November21 UhrOlympiakos (a)
    LaLiga30. November21 UhrGirona (a)
    LaLiga3. Dezember19 UhrBilbao (a)