Irre Statistiken! Was den deutschen Ibrahimovic so einzigartig macht

Nagelsmann sieht Woltemade jedoch vorerst noch in der U21, für die im Sommer eine Europameisterschaft ansteht. Und er sieht ihn noch nicht konstant genug. Das ist aber angesichts seines bisherigen Saisonverlaufs alles andere als überraschend, schließlich war Woltemade erst vergangenen Sommer an den Neckar gewechselt und startete dort als Herausforderer.

"Es geht auch um Konstanz", erklärte Nagelsmann daher und erläuterte: "Über welchen langen Zeitraum hat sich Nick Woltemade präsentiert? Wie lange ist er schon Stammspieler und schießt jetzt Tore und hinterlässt schon große Fußstapfen beim VfB? Das ist noch nicht über sieben Monate so."

Immerhin: Nagelsmann gab zu, dass es der 23-Jährige "aktuell vielleicht verdient gehabt" hätte, in den Kreis der Nationalelf aufgenommen zu werden. Das ist zweifelsohne richtig, denn Woltemade hat das Momentum seit mehreren Wochen nun schon auf seiner Seite.

Doch es ist bei ihm mehr als nur ein Lauf. Woltemade bringt trotz und dank seiner Größe von 1,98 Metern herausragende Anlagen mit, an denen Nagelsmann über kurz oder lang nicht vorbeikommen wird. Besonders erstaunlich dabei: Trotz seiner Körpergröße verfügt Woltemade über eine enorme Eleganz an der Kugel, hat eine starke Technik und ein tolles Ballgefühl.

Seine enorme Physis erlaubt es ihm, Bälle unter Druck und mit dem Rücken zum Tor festzumachen, sie abzuschirmen und technisch anspruchsvoll weiter zu verarbeiten. Mitte Januar beim Duell gegen Freiburg kam Woltemade zur Halbzeit auf eine Passquote von 100 Prozent - für einen Angreifer ein irrer Wert.

Noch irrer: Drei Tage zuvor hatte Woltemade beim 2:1 gegen RB Leipzig das Siegtor geschossen und sich in einer Statistik in die Weltspitze gearbeitet. Mit durchschnittlich 11,1 Strafraumaktionen pro Partie kam er zusammen mit Liverpools Mohamed Salah, der durchweg eine sensationelle Saison spielt, auf den Bestwert aller Spieler aus Europas fünf großen Ligen. Kylian Mbappé lag mit 10,9 Ballberührungen hinter Woltemade.

Mit diesem fast einzigartigen Spielerprofil erinnert er damit viele an Zlatan Ibrahimovic. Durch die sozialen Medien geistert deshalb schon längere Zeit der verhohnepipelnde Ausdruck "Deutsche Ibra". Darauf angesprochen sagte Woltemade kürzlich der Sport Bild: "Als Spielertyp gefällt mir von beiden Messi besser. Auch wenn Ibra vielleicht besser passen würde. Meine Eltern haben beide viel Ballgefühl. Am Ende ist es eine Mischung aus Arbeit, Genen und NLZ, denke ich. Es freut mich, dass das ein bisschen ein Alleinstellungsmerkmal von mir ist."

Auch der entsprechende Messi-Vergleich wurde bei Woltemade schon angestellt - und zwar von keinem Geringeren als VfB-Kapitän Atakan Karazor. "Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich einen guten Fußballer relativ schnell erkenne. Bei Nick hatte ich das direkt in der ersten Trainingswoche. Er hat eine Technik wie Messi. Wir wissen, was wir an ihm haben: Wir haben einen Zwei-Meter-Messi-Musiala!", sagte er bei ran.

Dass Woltemade nun in aller Munde ist und selbst der Bundestrainer über ihn spricht, war zunächst lange nicht abzusehen. Nach einer Leihe zum damaligen Drittligisten SV Elversberg und der Rückkehr zu seinem Ausbildungsklub Werder Bremen tat er sich dort schwer. Woltemade brach die Zelte an der Weser schließlich ab, die Stuttgarter griffen bereits zu einem frühen Zeitpunkt ablösefrei zu.

Einige Wochen später pulverisierte der VfB dann gleich zweimal seinen Rekordtransfer - und investierte in Woltemades Hoheitsgebiet: Für 21 Millionen Euro kam zunächst Ermedin Demirovic, kurz darauf legten die Schwaben rund 27 Millionen hin, um Deniz Undav fest zu verpflichten. Nun, ein paar Monate später, ist ausgerechnet der kostenlose Woltemade der formstärkste der drei Angreifer, vom dem derzeit die größte Torgefahr ausgeht. Insgesamt steht er bei elf Treffern und drei Vorlagen in 23 Pflichtspielen.

Dass Woltemade es nicht auf die Kaderliste für die Champions League schaffte, hatte zwar auch mit den komplizierten Local-Player-Regularien zu tun. Doch es war für ihn natürlich eine Enttäuschung, zumal ihn die Verantwortlichen zum damaligen Zeitpunkt auch als noch nicht weit genug einstuften. Bis einschließlich des 10. Bundesligaspieltags kam Woltemade lediglich zu fünf Einwechslungen und mageren 61 Einsatzminuten.

Die Initialzündung geschah dann am Nikolaustag. An einem Freitagabend lag der VfB zu Hause nach schwacher Vorstellung kurz nach der Pause mit 0:2 gegen Union Berlin zurück. Woltemade war zur Halbzeit in die Partie gekommen. Später verriet er, wie die Ansage an ihn von Coach Sebastian Hoeneß lautete: "Bring' Energie rein!"

Das tat Woltemade auf beeindruckende Art und Weise. Bereits in der 59. Minute hatte er mit einem Doppelpack für den Ausgleich gesorgt, zehn Minuten später traf Stuttgart zum Sieg. "Nick war der entscheidende Spieler heute: Er hat sofort das Momentum kreiert, das wir in der ersten Halbzeit nie kreieren konnten", sagte Hoeneß. Woltemade versprühte bei seinem Auftritt eine unglaubliche Präsenz und brachte auch ein hohes Selbstverständnis ein - Ibrahimovic wäre stolz gewesen, auch auf seine technisch überragende Ballverarbeitung vor dem Tor zum 2:2.

Seitdem ließ Woltemade fünf weitere Treffer folgen. Sein - letztlich wertloses - Traum-Solo zur Führung beim 1:2 gegen den VfL Wolfsburg war zum Zungeschnalzen und darf in keinem Saisonrückblick fehlen. Doch auch seine Vorarbeit zum Ausgleichstor zuletzt gegen Holstein Kiel, als er im Strafraum seinen Gegenspieler auf engstem Raum mit einer kurzen Körpertäuschung stehen ließ, war sehenswert.

Genau diese Mischung macht Woltemade so interessant: Er ist eben nicht nur die Kante, die körperlich dagegenhalten kann und abschlussstark ist, sondern er kurbelt auch regelmäßig das Stuttgarter Angriffsspiel an. Woltemade lässt sich ähnlich wie einst Serhou Guirassy situativ in den Zehnerraum oder auf die Außenbahnen fallen, um zu kombinieren und sich der Bewachung bewusst zu entziehen. Eigenschaften, die beispielsweise einem Demirovic in dieser Ausprägung abgehen.

Auch Undav hat schon bessere Tage beim VfB gesehen. Der Stürmer kämpft mit einer Formkrise, die auch Sportvorstand Fabian Wohlgemuth in der Bild deutlich adressierte: "Darüber werden wir diskutieren müssen, das werden wir mit ihm besprechen."

Gut möglich, dass Undav demnächst einmal von draußen wird zuschauen müssen. Für Nagelsmann dagegen hat es (noch) gereicht, auch wenn der sagte: "Er weiß, dass er nicht gerade am Peak seiner Leistung ist."

Woltemade dagegen dürfte zum jetzigen Stand seiner Entwicklung nicht weit vom Idealzustand entfernt sein. Macht er so weiter, könnte es für Undav langfristig vielleicht sogar eng werden. Denn Woltemade hat Blut geleckt: "Die WM 2026 ist natürlich ein Wunsch, ein Ziel, auf das ich hinarbeite. Aber ich bin da ganz entspannt."