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"Ich will in den Abgrund blicken"! Weltmeister André Schürrle rennt jetzt halbnackt Berge hoch

Anfang November führte André Schürrle in Wien ein langes Gespräch mit Boris Becker. Die deutsche Tennis-Legende fragte ihn, wie er sich heutzutage definieren würde. "Ich habe damit totale Probleme", antwortete Schürrle dazu in einem Podcast. "Es ist gewiss irgendwie selbständig. Auf der Suche nach meinem Weg, meinem Platz hier in dieser Welt. Ich habe kein Wort, das das hundertprozentig definieren würde."

Bis zum Juli 2020 war das noch deutlich einfacher. Der Vollständigkeit halber für die sehr Jungen unter uns: Schürrle war elf Jahre lang Profifußballer. Er spielte für Mainz, Leverkusen, Chelsea, Wolfsburg und Dortmund, leihweise noch für Fulham und Spartak Moskau. 2014 wurde er dank seiner Vorlage auf Mario Götze Weltmeister mit Deutschland. Knapp 100 Millionen Euro an Ablösesumme war er den Vereinen wert.

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    André Schürrle beendete mit 29 Jahren seine Karriere

    Obwohl sportlich schon längere Zeit nur noch wenig zusammenlief, kam Schürrles Karriereende mit nur 29 vor viereinhalb Jahren dennoch überraschend. Doch sein Urteil war eindeutig: "Ich habe diesen Tag so herbeigesehnt. Die Verhältnisse im Fußballgeschäft sind toxisch", sagte er später im Podcast Hotel Matze.

    Schürrle hatte es nach all den Jahren satt, unter dem Brennglas der Öffentlichkeit zu stehen. Er wollte den Druck nicht mehr ertragen und sich mit Aussagen wie jenen von Hans-Joachim Watzke konfrontiert sehen. "Ganz offen und ehrlich gesagt: Beide Seiten sind - Stand jetzt - noch nicht zufrieden. Woran liegt es, dass es nicht funktioniert? Es scheint ja nicht nur bei uns in Dortmund bis jetzt nicht funktioniert zu haben", hatte der BVB-Geschäftsführer in der Welt über den damals 27-Jährigen gesagt.

    Schürrle zog die Reißleine. Er dürfte finanziell gewiss ausgesorgt haben, doch das bedeutet nicht automatisch, dass der Übergang in ein neues, ihm zuvor fremdes Leben auf Anhieb gelingt. "Ich sehe mich als Mensch, der das Abenteuer Leben gerade erst begonnen hat", sagte er nach dem Ende seiner Laufbahn, gab später gegenüber dem Magazin GQ aber zu: "Ich habe, glaube ich, knapp zwei Jahre gebraucht, bis ich einigermaßen organisiert war. Am Anfang brauchte ich erstmal eine kleine Gewöhnungsphase, wie dieses Leben ohne Fußball sich eigentlich anfühlt, bis ich dann realisierte, wieviel noch vor mir liegt und welche Möglichkeiten ich habe, diese Zeit wertvoll und kreativ zu gestalten."

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  • André Schürrle: Seine Karriere als Profi

    Zeitraum

    Verein

    Spiele

    Tore

    Vorlagen

    2009-2011

    1. FSV Mainz 05

    68

    20

    8

    2011-2013

    Bayer Leverkusen

    83

    23

    16

    2013-2015

    FC Chelsea

    65

    14

    3

    2015-2016

    VfL Wolfsburg

    63

    13

    10

    2016-2020

    Borussia Dortmund

    51

    8

    10

    2018-2019

    FC Fulham (Leihe)

    25

    6

    -

    2019-2020

    Spartak Moskau (Leihe)

    18

    2

    4

  • Andre Schürrleinstagram.com/andreschuerrle

    André Schürrle: Vom Profifußballer zum Extremsportler

    Seit geraumer Zeit hat der zweifache Familienvater, mittlerweile 34 Jahre alt, eine Aufgabe gefunden. Schürrle wechselte vom extremen Business Profifußballer zum Extremsport. Anders kann man das, woran er seine rund sieben Millionen Follower auf den diversen Social-Media-Kanälen teilhaben lässt, kaum beschreiben.

    Vergangene Woche veröffentlichte Schürrle Bilder und Videos seines neuesten Abenteuers. "Schau uns an! Was für ein Tag! Haben das absolute Limit durchbrochen! Mit meinen Brüdern! Das Kälteste, das ich je erlebt habe! Unbehagen! Schmerz! Leiden! Wachsen!", schrieb der auch ansonsten sehr Ausrufezeichen-affine Schürrle bei Instagram.

    Er war mit fünf anderen Jungs in Polen und bestieg dort bei eisigen Temperaturen, massig Schnee und reichlich Wind einen Berg - halbnackt, nur mit Shorts, Handschuhen, einer Mütze und Wanderschuhen bekleidet. Im dritten Jahr in Folge schon schaffte er somit die sogenannte "Iceman Challenge" nach der sogenannten Wim-Hof-Methode.

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    André Schürrle besteigt oben ohne Berge

    Wim Hof ist ein 65-jähriger niederländischer Extremsportler, der zahlreiche Weltrekorde im Ertragen extremer Kälte aufgestellt hat. Im Februar 2009 lief er beispielsweise nur in Shorts und Schuhen innerhalb von 28 Stunden auf den 5895 Meter hohen Kilimandscharo, den höchsten Berg Afrikas. Hofs Methode fußt auf Kältetherapie, Atemübungen und Meditation. Dass sie das Immunsystem und damit die Gesundheit stärken soll, haben wissenschaftliche Studien jedoch noch nicht belegt.

    Schürrle zieht daraus dennoch Kraft und Motivation, Bergaufstiege oben ohne hat er bereits einige hinter sich. 2023 lief er die Schneekoppe hoch, mit 1603 Metern der höchste Berg der Tschechischen Republik. "Das mental und körperlich Schwerste, was ich je gemacht habe! In den letzten Minuten spürte ich nichts mehr und musste tief in mir etwas finden, um weiterzumachen. Eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde! -19 Grad, 100 km/h Wind im Gesicht, starker Schnee und Regen! Was ich gelernt habe... mein Körper und ich sind stärker als ich dachte, wenn ich meinen Geist und meine Seele einsetze, kann ich alles schaffen", schrieb er.

    Schürrle, der auch schon ab 3.30 Uhr morgens in 13 Stunden den Gran Paradiso (4061 Meter) oder ab 23 Uhr in acht Stunden die Zugspitze bewältigte, hat sich die leicht bekleidete Besteigung der höchsten Berge der sieben Alpenländer zum Ziel gesetzt. Im vergangenen Juni nahm er zudem im österreichischen Bludenz an einem "Everesting" teil.

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    André Schürrle: "Ich will in den Abgrund blicken"

    Dabei läuft man, diesmal angezogen wie ein Ottonormal-Bergsteiger, die 8848 Höhenmeter, die der Mount Everest misst, über 3,8 Kilometer und 530 Höhenmetern auf einen Berg hinauf - immer und immer wieder, insgesamt 17-mal. Eine Seilwinde bringt die Teilnehmer wieder zur Talstation.

    Bei einer Steigung von zehn bis 20 Prozent ging Schürrle um 4.58 Uhr los und erreichte um 2.42 Uhr nach 21 Stunden, 42 Minuten und 35 Sekunden das Ziel. Zurückgelegt hatte er schließlich 9282 Höhenmeter, wie seine Smartwatch anzeigte. "Ich will, dass es für mich mental richtig finster wird. Ich will in den Abgrund blicken", hatte Schürrle einmal gesagt.

    Ohnehin sind seine Social-Media-Kanälen nicht arm an Motivationsposts, die Themen wie psychische Gesundheit, den Sinn des Lebens oder das Überwinden von Ängsten ansprechen. Gerade bei X läuft Schürrle nach einer fast einjähriger Pause im Januar heiß.

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    Kritik lässt André Schürrle kalt: "Ich gehe meinen Weg"

    Auf seinem Account, der mit "creator of my own world" unterschrieben ist und auf eine Homepage verlinkt, die offline ist, fanden sich zuletzt täglich neue Einträge. Von "Comfort is the worst addiction!!" über "It takes effort to move forward!!" und "Be your best when no one is watching!!" bis zu "Do not stop at your limit!!!" segelte Schürrle hart an der Grenze zum Kalenderspruch.

    Dass Schürrle, der an seinem Geburtstag auch schon einen Marathon lief und bei all seinen Unternehmungen von einem professionellen Videografen begleitet wird, gerade unter den Posts seiner hochalpinen Oben-ohne-Leistungen nicht nur Lob erntet, lässt ihn kalt. "Ich gehe meinen Weg, und wenn ihn keiner versteht, gehe ich ihn erst recht", sagte er dem Magazin Alpin.

    Und was bringt die Zukunft? Vorstellen kann sich Schürrle noch vieles. Einen Ultra-Marathon, bei dem jede Strecke über 43 Kilometer erlaubt ist, oder Rennen über Berge und in der Wüste beispielsweise.

    Wichtiger ist ihm aber: Er hat nun einen Weg für sich gefunden, mit dem er seinem Ziel näher kommt. Dabei preist er ein, dass er es vielleicht nie erreicht. "Was mir sehr hilft, ist, dass ich neue sportliche Herausforderungen für mich gefunden habe und auch immer deutlicher vor Augen habe, welche Person ich in 20 oder 30 Jahren sein möchte", sagte Schürrle. Grinsend fügte er hinzu: "Und diese Person versuche ich gerade zu jagen."

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