"Ich war nicht zu bremsen": Ein ehemaliges Enfant Terrible bei Inter Mailand auf dem Weg zum Happy End

"In Enschede haben neben meiner Wohnung auf einer Weide Kühe gegrast", erzählte Arnautovic später dem österreichischen Kurier. "Dann landest du in Mailand und hast die Fashionweek, Top-Restaurants, Top-Klubs, nur wunderschöne Frauen. Damals hatte ich keine Freundin. Da habe ich mir gedacht: Gut, jetzt bist du da, du kennst dich nicht aus, also mache ich mir schnell einen Namen. Das ist mir auch gelungen."

Sein Bruder und Berater Daniel sei zwar stets an seiner Seite gewesen, er sollte ihn eigentlich auf dem Boden halten. "Aber ich war damals nicht zu stoppen", sagte Arnautovic. "Auch mein Vater hätte mich nicht stoppen können. Ich war auf einem Trip und nicht zu bremsen." Ja, das Training mit all den Stars - mit Wesley Sneijder, Samuel Eto'o und Co - ist schon auch sicherlich nur leiwand gewesen. "Aber für mich war das Ausgehen wichtiger: Das Leben außerhalb des Spielfelds, die Autos, alles abseits vom Fußball."

Und so raste Arnautovic durch das Mailänder Nachtleben statt über die italienischen Fußballplätze. Auch von Verletzungsproblemen geplagt reichte es nur zu drei Einwechslungen in der Serie A. In der Champions League stand er immerhin zweimal im Spieltagskader. Aus nächster Nähe durfte Arnautovic verfolgen, wie seine Kollegen die erfolgreichste Saison der Klubgeschichte bestritten - unter Trainer Jose Mourinho holte Inter das Triple.

Exakt 15 Jahre später stehen die Mailänder vor dem neuerlichen Triumph in der Champions League. Am Samstag steigt in München das Finale gegen Paris Saint-Germain. Der mittlerweile 36-jährige Arnautovic ist wieder dabei, als einziger Spieler von damals. Nach den Vergnügungspark-Zeiten legte er eine kaum für möglich gehaltene Entwicklung hin.

Einer hatte schon damals trotz aller Eskapaden Vertrauen in Arnautovic: Trainer Jose Mourinho. Er attestierte ihm zwar "den Charakter eines Kindes", wählte aber einfach entsprechende Erziehungsmaßnahmen. "Ich bin einmal zu spät zum Training gekommen, dann wieder um vier Stunden zu früh", berichtete Arnautovic. "Dann ist Mourinho zu mir gekommen und hat mir seine Nike-Uhr geschenkt."

Die Uhr sollte eigentlich nicht die einzige Gabe an sein "Kind" bleiben. "Mourinho hat mir einen Vertrag versprochen, ist dann aber zu Real Madrid gegangen", berichtete Arnautovic. So endete seine Leihe mit drei Einsätzen und drei Titeln, die sich nicht wie solche anfühlten. Arnautovic wechselte für 6,2 Millionen Euro zu Werder Bremen. Auch dort fiel er hauptsächlich mit Eskapaden auf. Die Läuterung erfolgte schließlich bei seiner nächsten Station Stoke City. Arnautovic etablierte sich als gestandener Premier-League-Profi, überzeugte später auch noch bei West Ham United.

Und dann? Im besten Fußballeralter von 30 Jahren unterschrieb Arnautovic 2019 zum allseitigen Unverständnis bei Shanghai Port in China. Zwei Jahre blieb er dort und reifte langsam ins beste Fußballeralter für das Altherren-Eldorado Serie A. 2021 wechselte Arnautovic zum FC Bologna, traf verlässlich und machte damit tatsächlich seinen Ex-Klub auf sich aufmerksam.

Per Leihe kehrte er 2023 zu Inter zurück. Mit der Hoffnung auf seinen ersten echten Titel. "Natürlich gehört so etwas zu einer Karriere dazu, es war mir bis jetzt nicht vergönnt", hatte Arnautovic mal gesagt. "Ich bin auch so ehrlich zuzugeben, dass ich mich nicht als Champions-League-Sieger fühle. Es war schön, dass ich 2009/10 in jener Saison, als Inter diesen Titel holte, bei diesem Klub war, aber ich habe nicht gespielt."

Arnautovic etablierte sich als verlässlicher Rollenspieler und gewann mit Inter direkt die italienische Meisterschaft. Sein erster Titel, der sich auch wie ein solcher anfühlte. Anschließend verpflichteten die Mailänder Arnautovic für 10,9 Millionen Euro fest. Damit avancierte er zum bis heute zweitteuersten Ü35-Spieler der Fußballgeschichte - nach Cristiano Ronaldo.

Die aktuelle Saison verlief für Arnautovic so wechselhaft wie seine ganze Karriere. Im Herbst kam er kaum zum Einsatz, ehe er ab dem Jahreswechsel plötzlich aufdrehte. Insgesamt gelangen ihm 2025 bis dato sieben Scorerpunkte. Für seinen Auftritt beim Sieg gegen Cagliari Calcio Mitte April wurde Arnautovic sogar zum Spieler des Spiels gekürt. "Der tödliche Arna bestätigte seine sensationelle Form", schrieb die Gazzetta dello Sport.

Am vorletzten Spieltag mutierte Arnautovic aber vom Helden zum Versager, beim 2:2 gegen Lazio Rom vergab er kurz vor Schluss die große Chance auf den Sieg. Nur deshalb behielt die SSC Neapel die Tabellenführung, ein entscheidender Schritt zum Titelgewinn eine Woche später. "Arnautovic, was für ein Desaster", schrieb die Gazzetta diesmal. "Dieser Fehler wird für ihn lange ein Alptraum bleiben."

Bereits am Samstag könnte Arnautovics Alptraum aber ziemlich irrelevant werden - mit seinem zweiten Champions-League-Titel nach 2010. Diesmal nicht im Vergnügungspark, diesmal in echt.