Nach vielen Jahren bei RB Salzburg wechselte Christoph Freund 2023 zum FC Bayern - auch auf Betreiben von Uli Hoeneß. Als Sportdirektor kümmert sich der 47-jährige Österreicher gemeinsam mit Sportvorstand Max Eberl um die Kaderplanung.
Imago"Ich nehme überhaupt nicht wahr, dass es in Uli Hoeneß brodeln würde": Christoph Freund vom FC Bayern München im Interview über Hoeneß, Max Eberl, Thomas Müller und Transfers
Herr Freund, wir hatten vor fünf Jahren ein Interview über das Scouting-Konzept Ihres damaligen Klubs RB Salzburg. Da meinten Sie: "Unser Erfolgsgeheimnis ist, dass wir genau wissen, wonach wir suchen. Wir suchen Spieler zwischen 16 und 19 Jahren, die perfekt zu unserer Spielphilosophie passen." Haben Sie beim FC Bayern ein ähnlich klares Beuteschema?
Christoph Freund: Nein, hier bei Bayern müssen wir viel mehr abdecken als damals in Salzburg. Wir brauchen nicht nur Talente, sondern auch Spieler, die sich bereits auf internationalem Top-Niveau bewegen. Das Spektrum an interessanten Spieler-Portfolios ist insgesamt größer. Bei Salzburg mussten wir beim Scouting vieles von vornherein ausschließen.
Beim FC Bayern soll dem Vernehmen nach künftig wieder ein größerer Fokus auf das Live-Scouting vor Ort im Stadion gelegt werden. Wie wichtig ist das aus Ihrer Sicht?
Freund: Der erste Schritt ist natürlich, einen interessanten Spieler auf Video zu beobachten. Aber für einen Gesamteindruck ist Live-Scouting sehr wichtig. So bekommt man Eindrücke vom Charakter des Spielers, die man in Videos nicht sieht. Wie wärmt er sich auf? Wie reagiert er auf Anweisungen des Trainers? Was macht er in den 30 Sekunden nach einem Gegentor? Freut er sich nach einem Tor mit seinen Mitspielern?
Wie oft scouten Sie vor Ort?
Freund: Wir haben zwar einen engen Terminkalender. Aber daran ist es noch nie gescheitert.
Vor drei Wochen waren Sie gemeinsam mit Trainer Vincent Kompany beim Spiel zwischen Paris Saint-Germain und Olympique Marseille im Stadion. Wem galt der Besuch?
Freund: Es war das Topspiel in Frankreich und hat zu Beginn der Länderspielpause für uns zeitlich gut reingepasst. PSG spielt aktuell einen richtig guten Fußball. Es hat uns einfach interessiert, was beide Mannschaften auszeichnet.
ImagoChristoph Freund: "Unsere Talente brauchen realistische Chancen"
Angeblich standen auch Bradley Barcola von PSG und Luis Henrique von Marseille im Fokus. Ist es denkbar, dass im Sommer ein neuer Topstar mit Stammplatz-Ambitionen verpflichtet wird?
Freund: Ich werde hier keine Namen kommentieren. Wir haben eine richtig gute Mannschaft mit einer richtig guten Energie und wollen schauen, wie wir diese Mannschaft punktuell noch verbessern können. Auch unseren Talenten wollen wir Chancen auf mehr Spielminuten geben. Uns ist wichtig, dass wir neben den Arrivierten auch junge, hungrige Spieler haben, die eine wichtige Rolle spielen.
An wen denken Sie konkret?
Freund: Vor allem an unsere Leihspieler. Paul Wanner, Frans Krätzig und Adam Aznou machen es sehr gut, ebenso Maurice Krattenmacher und natürlich schauen wir auch auf Mathys Tel. Ich denke außerdem an unseren Neuzugang Tom Bischof. Er hat für sein Alter schon viele Bundesligaspiele in den Beinen und Erfahrung auf dem Level sammeln können.
Wäre es denkbar, dass manche dieser Talente auf ihrer jeweiligen Position in der kommenden Saison der erste Ersatz des nominellen Stammspielers sind?
Freund: Absolut, nur so bekommen sie die nötigen Minuten. Es bringt nichts, wenn solche Talente auf ihrer Position nur Nummer 3 oder 4 sind und mit unserer zweiten Mannschaft in der Regionalliga spielen. Sie brauchen realistische Chancen auf Spielminuten bei den Profis.
Mathys Tel sammelt bei seiner Leihstation Tottenham Hotspur zwar viele Minuten, hat aber erst ein Tor geschossen. Wie beurteilen Sie seine Entwicklung?
Freund: Wir verfolgen Mathys intensiv, schauen jedes Spiel von ihm. Ihm gefällt es bei Tottenham sehr gut. Es tut ihm gut, dass er viel auf dem Platz steht.
Vor der Klub-WM gibt es ein kurzes Sonder-Transferfenster. Wollen Sie diese Chance nutzen, um angesichts der Verletzungsprobleme in der Defensive einen neuen Verteidiger zu holen?
Freund: Es ist bitter, wie viele Jungs aktuell ausfallen. Wir sind hinten nicht mehr so breit aufgestellt, aber qualitativ weiterhin top besetzt und werden diese Situation natürlich ganz genau verfolgen. Mit unseren Leihspielern Adam Aznou und Frans Krätzig haben wir auch zwei interne Optionen für die Position links hinten.
ImagoChristoph Freund: "Ich nehme nicht wahr, dass es in Uli Hoeneß brodeln würde"
Ein kleiner Blick zurück: Im Februar 2022 waren Sie gemeinsam mit Uli Hoeneß bei einer Talk-Sendung zu Gast. Hoeneß hat diese Zusammenkunft später als "Geburtshelfer" Ihres Wechsels eineinhalb Jahre später bezeichnet. Was sind Ihre Erinnerungen an das damalige Treffen?
Freund: Das war eine coole Begegnung für mich. Uli Hoeneß ist schließlich der deutsche Fußball-Manager schlechthin. Bei diesem Anlass habe ich zum ersten Mal länger mit ihm gesprochen. Das war sehr angenehm, wir haben uns direkt gut verstanden.
Haben Sie anschließend schon auf einen Wechsel spekuliert?
Freund: Nein, damit habe ich mich damals gar nicht beschäftigt. Ich hatte keine Gedanken, dass ich Salzburg mal verlassen könnte.
Im Sommer 2023 wechselten Sie schließlich zum FC Bayern. Wie ist Ihr Verhältnis zu Uli Hoeneß heute?
Freund: Wir haben ein sehr gutes Verhältnis. Ich finde es sehr angenehm, mit ihm über verschiedene Themen zu diskutieren. Er lebt den Verein, es ist ein Stück weit sein Verein. Auch dank ihm steht der FC Bayern sportlich und wirtschaftlich so gut da.
Angeblich macht sich Hoeneß Sorgen über die wirtschaftliche Situation "seines" Klubs. Laut Lothar Matthäus würde es in ihm deshalb sogar "brodeln".
Freund: Ich nehme überhaupt nicht wahr, dass es in Uli Hoeneß brodeln würde. Natürlich diskutiert man. Das ist normal und bringt die Strukturen des Vereins voran. Uli Hoeneß wird sich immer um seinen FC Bayern Gedanken machen - und das ist auch gut so.
Freund: Das kann ich gar nicht bestätigen. Bei gemeinsamen Sitzungen mit dem Vorstand oder Aufsichtsrat herrscht immer ein guter Austausch.
Hoeneß äußert sich regelmäßig öffentlich über den FC Bayern. Wie empfinden Sie das?
Freund: Die Meinungen von Uli Hoeneß und auch Karl-Heinz Rummenigge haben beim FC Bayern Gewicht. Es steht ihnen zu, ihre Meinungen öffentlich kundzutun. Und auch wir in der sportlichen Führung wissen ja, dass sie immer das Wohl des FC Bayern im Sinn haben.
getty"Er könnte das bestimmt": Christoph Freund nennt Job-Perspektive bei Kimmich
Als Sportdirektor arbeiten Sie eng mit Sportvorstand Max Eberl zusammen. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit? Und inwiefern unterscheiden sich die Aufgabengebiete?
Freund: Die Zusammenarbeit hat von Anfang an sehr gut funktioniert. Bei unseren gemeinsamen Kernthemen Kaderplanung und Scouting arbeiten wir sehr eng zusammen, sind im Alltag nah an der Mannschaft und am Trainerteam dran. Ich kümmere mich darüber hinaus verstärkt um den Austausch mit dem Campus und den jungen Spielern. Max kümmert sich dafür mehr um die übergeordneten sportlichen Themen des Vereins, dazu zählen auch Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen.
Wie gehen Sie und Max Eberl Vertrags- oder Transferverhandlungen an? Gibt es auch mal Good Cop, Bad Cop?
Freund: Natürlich besprechen Max und ich vorher, wie wir vorgehen wollen. Das hängt auch immer ein bisschen davon ab, wer das jeweilige Gegenüber wie gut kennt. Und dann kann man sich die Rollen im Vorhinein gut aufteilen.
Wer war der schwierigste Verhandlungspartner Ihrer bisherigen Karriere?
Freund: Mino Raiola bei den Verhandlungen wegen Erling Haaland. Er war sehr klar in seinen Vorstellungen, hat für seine Spieler richtig gefightet, für sie gelebt. Nach den Verhandlungen mit ihm habe ich verstanden, warum seine Spieler so ein enges Verhältnis zu ihm haben.
Joshua Kimmich ist einer der ganz wenigen Profis ohne Berater. Wie haben Sie die kürzlich erfolgreich abgeschlossenen Verhandlungen mit ihm erlebt?
Freund: Jo ist ein sehr intelligenter Bursche. Er macht sich viele Gedanken, beschäftigt sich auch mit vielen Dingen außerhalb des Fußballs. Er war in den Verhandlungen sehr ruhig, sehr aufgeräumt und wusste genau, was er will.
Macht es für Sie als Sportdirektor einen Unterschied, mit einem Spieler direkt statt mit seinem Berater zu verhandeln?
Freund: Aus meiner Sportdirektoren-Sicht ist es zumindest sehr interessant, wenn man zuerst mit dem Verhandler Jo Kimmich an einem Tisch Vertragsinhalte diskutiert und demselben Jo Kimmich später in Trainingskleidung in der Kabine begegnet - dann als Spieler. Das sind zwei völlig unterschiedliche Situationen mit ein und derselben Person. Das hat mit Jo wunderbar geklappt. Er hat immer selbst gesagt: Jetzt verhandelst du mit dem Berater Jo Kimmich, in einer halben Stunde auf dem Platz sprichst du wieder mit dem Spieler Jo Kimmich. Diese Differenzierung kann sicher nicht jeder.
Können Sie sich vorstellen, dass Kimmich nach seinem Karriereende hauptberuflich Berater wird?
Freund: Er könnte das bestimmt. Aber ob er das will, weiß ich nicht. Erstmal hat Jo als Fußballer noch viel vor.
Getty Images SportFC Bayern: Christoph Freund spricht über Thomas Müller
Nach den Verlängerungen mit Kimmich, Alphons Davies, Manuel Neuer und Jamal Musiala steht aktuell die Zukunft von Thomas Müller im Fokus. Wie ist der Stand?
Freund: Wir sind in Gesprächen und beteiligen uns an keinen Spekulationen. Wenn es etwas zu vermelden gibt, dann tun wir das. So wie es bei allen anderen genannten Spielern auch war.
Unabhängig von seiner Zukunft als aktiver Spieler soll Müller dem FC Bayern nach seinem Karriereende erhalten bleiben. In welcher Position könnten Sie ihn sich vorstellen?
Freund: Thomas ist beim FC Bayern eine absolute Identifikationsfigur. Vorstellen kann ich mir persönlich bei ihm sehr viel.
Uli Hoeneß hat vor einigen Wochen eine Tätigkeit als Politiker ins Spiel gebracht.
Freund: Thomas kann sich super artikulieren und super kommunizieren. Wie schon gesagt: Bei ihm kann man sich alles vorstellen.
Müllers offene Zukunft sorgt aktuell mal wieder für großen Wirbel um den FC Bayern. Hat Sie die Wucht der öffentlichen Debatten hier überrascht?
Freund: Nein, ich habe schon vor meinem Wechsel viel über Bayern gehört und gelesen. Bayern ist ein Weltklub im Brennpunkt. Jeder will Schlagzeilen. Das ist Part of the Game.
Bayern ist ein Weltklub, der sich mit dem Joint Venture Red&Gold Football aktuell zudem ein weltweites Netzwerk aufbaut. Es bestehen Partnerschaften mit dem MLS-Klub Los Angeles FC, den Gambinos Stars Africa aus Gambia und dem uruguayischen Erstligist Racing de Montevideo. Sehen Sie diesbezüglich gewisse Parallelen zu Ihrem Ex-Klub?
Freund: Nein, gar nicht. Red Bull Salzburg ist mit diesem Netzwerk gewachsen. Bayern ist ein Weltverein, der Kooperationen eingeht.
Soll die Partnerschaft in Uruguay dazu führen, dass künftig wieder südamerikanische Talente verpflichtet werden? Das hat es seit dem gescheiterten Experiment mit Breno nicht mehr gegeben.
Freund: Das würde ich nicht ausschließen. Aber solche Transfers müssen gut vorbereitet werden. Da braucht es einen genauen Plan, wie man den Spieler an die deutsche Kultur und Sprache heranführt. Eine Kooperation und ein vertrauensvolles Verhältnis zu Leuten vor Ort ermöglichen vorab einen besseren Zugang zu Informationen. Wenn man eine Woche nach Südamerika fliegt, ein Spiel sieht und den Spieler einmal trifft, bekommt man nicht so viele Hintergründe.
Imago"Ich habe den Kontakt vermittelt": Wie Ralf Rangnick Österreichs Teamchef wurde
Bei Red Bull kümmerte sich einst Ralf Rangnick über derartige übergreifende Themen, aktuell macht das auch Mario Gomez. Beide werden mit dem FC Bayern in Verbindung gebracht. Gibt es aus Ihrer Sicht Bedarf an personeller Verstärkung?
Freund: Das ist wirklich nicht mein Thema. Wir arbeiten sehr gut in unserem Team zusammen und konzentrieren uns auf unsere Aufgaben hier.
Mit Rangnick haben Sie in Salzburg viele Jahre zusammengearbeitet. Später hatten Sie einen entscheidenden Anteil an seiner Berufung zum österreichischen Teamchef, indem Sie ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel Rangnicks Nummer vermittelten. Wie lief das?
Freund: Ralf und ich kennen uns schon lange und schätzen uns sehr. Peter kannte Ralf damals noch nicht so gut, da habe ich den Kontakt vermittelt. Letztlich hat Peter den Transfer dann realisiert. Das war ein sehr wichtiger Schritt für den österreichischen Fußball.
Sie arbeiten mittlerweile seit zehn Jahren als Sportdirektor. Abschließend die Frage: Was war der beste, der speziellste Transfer Ihrer bisherigen Karriere?
Freund: In Salzburg war am coolsten, dass wir immer wieder No-Names geholt haben - und zwei Jahre später waren sie plötzlich Stars. Da gibt es viele Beispiele. Natürlich Erling Haaland. Oder auch Dayot Upamecano. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie wir ihn mit 16 nach Salzburg geholt haben. Das war ein schwieriger Transfer. Und es ist eine schöne Geschichte, dass wir jetzt wieder zusammengetroffen sind. Upa hat sich nicht verändert, obwohl er mittlerweile ein internationaler Top-Spieler ist. Er ist ein sehr angenehmer Mensch, ein super Teamplayer, ein Familienmensch.

