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"Geht und erstickt!" - Die Skandal-Akte von Nottingham Forests Klubchef Evangelos Marinakis

Oft kommt es nicht vor, dass ein Klubbesitzer direkt nach Abpfiff auf den Platz stürmt und sich den eigenen Trainer zur Brust nimmt, um ihn zurechtzuweisen. Schon gar nicht bei einem Klub, der sich erstmals seit 30 Jahren für einen internationalen Wettbewerb qualifizieren wird.

Nottingham Forest spielt eine überragende Saison in der Premier League. Die beste seit der Saison 1994/95. Doch nach dem 2:2 gegen den feststehenden Absteiger Leicester City brannten Eigentümer Evangelos Marinakis die Sicherungen durch. Aufmerksamkeit bekommt in der Folge aber nicht etwa sein sportliches Projekt, sondern seine nahezu endlos lange Skandalakte.

  • Evangelos Marinakis: Der Skandal-Eigentümer von Nottingham Forest

    Als er am Sonntag auf den Platz ging, um Erfolgscoach Nuno Espirito Santo zur Rede zu stellen und seiner Enttäuschung freien Lauf zu lassen, erinnerte das an die Berichte von 2018, als er bei Olympiakos Piräus seine Spieler in der Kabine übel beschimpfte. Der Grund: Erstmals seit sieben Jahren wurde man nicht Meister. "Ihr seid nicht einmal das Toilettenpapier in unserem Trainingszentrum wert", soll er damals gesagt haben: "Statt euch einen schönen Urlaub zu wünschen, sage ich: geht und erstickt!"

    Piräus ist einer von drei Klubs, die der 57-Jährige besitzt. Neben Nottingham kommt auch noch Rio Ave aus Portugal hinzu. Doch diese impulsive, emotionale, fast schon cholerische Art ist nicht der Hauptgrund, weshalb Marinakis immer wieder einen Platz in der internationalen Berichterstattung findet. Vielmehr ist es seine lange Skandalakte.

    Der Unternehmer soll in Spielmanipulation, Korruption und die Bildung einer kriminellen Vereinigung verwickelt sein – bewiesen wurde all das bislang aber nicht. Oder zumindest nicht ausreichend, wenn man den zuständigen Instanzen Vertrauen schenken kann. Denn einige Beobachter tun genau das nicht. So entschied das oberste Zivil- und Strafgericht in Griechenland vor mehreren Jahren, dass er mit 27 anderen Angeklagten vor Gericht gestellt werden soll. Grund dafür war ein heftiger Manipulationsskandal.

    Von bandenmäßigem Betrug war damals die Rede. Zwischen 2010 und 2012 hätten alle Angeklagten mehrere Erstligaspiele manipuliert. Neben Marinakis mussten sich auch der ehemalige Verbandsboss Georgios Sarris sowie drei weitere Klubchefs, vier Verbandsfunktionäre, zwei Schiedsrichterbeauftragte, sechs Schiedsrichter, ein Ex-Trainer und acht Spieler des damaligen Absteigers AE Veria verantworten.

    Lange standen die Beschuldigungen im Raum, dann erfolgte ein Freispruch – weil die Beweise nicht ausgereicht haben sollen. Es gab anschließend heftige Diskussionen darüber, ob die griechische Justiz in diesem Fall wirklich unabhängig sei. In seiner Heimat ist Marinakis ein einflussreicher und reicher Oligarch.

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  • Olympiacos FC v ACF Fiorentina - UEFA Europa Conference League Final 2023/24Getty Images Sport

    Bombenanschlag und Respektlosigkeiten: Marinakis hat längst keinen guten Ruf mehr

    Doch damit nicht genug: Er soll einen Bombenanschlag auf die Bäckerei eines Schiedsrichters in Auftrag gegeben haben, weil dieser sich geweigert habe, Spiele in seinem Sinne zu manipulieren. Auch hier gab es offenbar nicht genügend Beweise. In Griechenland sind Anschläge auf Unparteiische keine Seltenheit, seit Jahren fordern Schiedsrichtergemeinschaften mehr Schutz.

    Auf der Liste von Marinakis vermeintlichen Vergehen stehen auch noch Prozesse wegen Heroinschmuggels und Vergehen im Fußballkontext. So bespuckte er in dieser Saison nach einer 0:1-Niederlage gegen Fulham die Schiedsrichter und wurde dafür für fünf Premier-League-Spiele gesperrt.

    Auch jüngst erweiterte sich die Justizakte des Griechen: Vor einem Monat wurde er angeklagt, weil er in Griechenland zur Gewalt angestiftet haben soll. Bei Fan-Krawallen von Olympiakos und Panathinaikos vor einem Volleyballspiel wurde ein Polizist durch eine Leuchtkugel am Bein getroffen und starb. Marinakis wehrte sich gegen die Vorwürfe, sprach von einer "Schande für die demokratischen Werte eines 'sogenannten' europäischen Landes".

  • Nottingham Forest: Außergewöhnliche Tradition und besondere Statistik

    Trotz der schon 2017 ausreichend langen Liste an Beschuldigungen wurden ihm beim Kauf von 80 Prozent der Anteile an Nottingham kaum Steine in den Weg gelegt. Seitdem geht es mit Forest sportlich bergauf. In der Saison 2021/22 stieg der Traditionsklub wieder in die Premier League auf, die er 1999 für viele Jahre verlassen hatte.

    Nottingham hat international an Bekanntheit eingebüßt, dabei sind die Engländer bis heute der einzige Klub, der mehr Champions-League-Trophäen in seiner Vitrine hat als nationale Meistertitel. 1979 und 1980 gelang ihnen der Doppelschlag im Europapokal der Landesmeister. Der 1. FC Köln (Halbfinale 1979), der BFC Dynamo (Viertelfinale 1980) und vor allem der HSV (Finale 1980) können ein Lied von Nottingham trällern.

    Meister wurden der Verein hingegen "nur" im Jahr 1978. Eine Geschichte, die sich vorerst nicht wiederholen wird. Und auch mit der Rückkehr in die Königsklasse wird es nach dem 2:2 gegen Leicester schwieriger. In den vergangenen sechs Ligaspielen gab es nur noch einen Sieg. Die Form ist bedenklich, wenngleich der Einbruch womöglich auch absehbar war. Schließlich spielt Nottingham seit Saisonbeginn eigentlich über seinen Möglichkeiten.

  • Nottingham Forest: Ein deutscher Kaderplaner steht im Mittelpunkt des Erfolgs

    Anteil am Erfolg hat neben dem Trainer auch ein deutscher Kaderplaner. Der in Starnberg geborene George Syrianos besitzt die deutsche und die griechische Staatsbürgerschaft und gilt als einer der engsten Vertrauten von Marinakis. Zwischen 2017 und 2021 arbeitete er als Chefanalytiker beim VfB Stuttgart, später wurde er von Marinakis für alle seine Klubs verpflichtet.

    Seit August 2023 war Syrianos als Berater des Managements bei Olympiakos und Nottingham tätig. Im Mai 2024 übernahm er dann als Technischer Direktor bei beiden Klubs und auch bei Rio Ave. Eine außergewöhnliche Besetzung. Der erst 35-Jährige ist damit Hauptverantwortlich für die Kaderplanung an drei verschiedenen Standorten und erhält seit Jahren in der Branche viel Anerkennung für seine Arbeit.

    Auffällig: Nottingham gibt zwar viel Geld aus, setzt dabei aber überwiegend auf junge Spieler aus dem Ausland. Im gesamten Kader stehen nur sechs Akteure mit englischer Staatsbürgerschaft. Auch der Transfer vom deutschen U17-Weltmeister Eric da Silva Moreira sorgte für viel Aufsehen im vergangenen Sommer. Doch der ehemalige Spieler des FC St. Pauli kam bisher kaum zum Zug.

    Dennoch scheint die Mischung aus Erfahrung und Talent im Team zu passen. Der sportliche Aufstieg gibt der sportlichen Leitung recht.

  • Tottenham Hotspur FC v Nottingham Forest FC - Premier LeagueGetty Images Sport

    Nottingham Forest: Das Fußballmärchen rückt in den Hintergrund

    Wer aber so agiert wie Marinakis, der gibt sich nicht zufrieden damit, dass es am Ende mit der Conference League eine beachtliche Belohnung für den Aufwand geben wird. Nottingham war vor einigen Wochen auf Kurs, Größeres zu erreichen, ist auf den siebten Platz abgerutscht. In dieser Saison reicht der fünfte Platz für die Champions League.

    Dass es für Marinakis schwer sein muss, keine Kontrolle über den Ausgang dieser Saison zu haben, belegt sein Verhalten am vergangenen Sonntag. Betrachtet man den Fall von außen, ist es angesichts der großen Tradition und Vergangenheit des Klubs fast schon schade, dass die Geschichte in der Aktualität durch einen Mann überschattet wird, der mit Rückschlägen nicht umgehen kann.

    Und trotz allem könnte der Gedanke an eine Rückkehr von Nottingham in die Champions League einen Funken Romantik vor sich hertragen. Dafür muss man allerdings große Scheuklappen aufsetzen, die die Auswüchse des modernen Kapitalismus einerseits und die besorgniserregenden Vorwürfe an Marinakis andererseits ausklammern.

    Am letzten Spieltag könnte es zu einem großen Finale um die Königsklasse kommen. Dann empfängt Nottingham den FC Chelsea, der gerade mit einem Punkt Vorsprung auf dem fünften Platz steht. Um sich dieses Finale zu erarbeiten, muss am kommenden Wochenende aber erstmal ein Sieg im Auswärtsspiel bei West Ham her – inklusive einer großen Trendwende, was die eigene Form anbelangt. Es wäre sportlich ein Märchen. Allerdings ein konstruiertes, das beim Blick auf die Umstände in den Hintergrund rücken würde.

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