FC Liverpool: Thiago hätte beim FC Bayern München verlängern sollen

Thiago steht beim FC Liverpool vor dem Aus. Vor drei Jahren traf er die Entscheidung, den FC Bayern München zu verlassen. Nun dürften sich beide Seiten wünschen, dass die Zusammenarbeit noch länger angedauert hätte.

Wie wichtig man füreinander ist, wird Menschen viel zu oft erst dann klar, wenn sie einander nicht mehr haben. In Bezug auf Thiago und den FC Bayern München trifft das durchaus zu. Lange Zeit war der Spanier im Umfeld des Rekordmeisters umstritten. Doch verabschieden konnte er sich mit der Champions-League-Trophäe - die er als Führungsspieler gewann.

Fünf Minuten soll Thiago in der Tiefgarage des FC Bayern in den Armen von Karl-Heinz Rummenigge geweint haben, als er sich verabschiedete. Zumindest ist das die Erzählung des damaligen Vorstandsvorsitzenden. Zuvor deutete vieles darauf hin, dass der Mittelfeldstratege seinen Vertrag nochmal verlängern würde. Doch es kam anders: Der FC Liverpool machte ein verlockendes Angebot und lotste den damals 29-Jährigen auf die Insel.

Rund drei Jahre später neigt sich die Zusammenarbeit schon wieder dem Ende zu. Englische Medien berichten, dass die Reds keine Verwendung mehr für Thiago hätten. Nach diesen drei Jahren kommt vor allem ein Gedanke: Thiago hätte lieber beim FC Bayern bleiben sollen.

  • Thiago Liverpool Ajax 2022-23Getty Images

    Thiago: Der reizvolle Ruf aus Liverpool

    Natürlich ist eine solche These im Nachhinein leicht aufgestellt. Damals war der FC Liverpool in Europa das Maß aller Dinge - trotz des Champions-League-Triumphs der Bayern. Mit Jürgen Klopp zusammenzuarbeiten und gleichzeitig die Premier League auf der Bucket List abhaken zu können, muss reizvoll gewesen sein.

    Bei den Münchnern hatte Thiago zudem alles gewonnen. Er ging auf die 30 zu und musste die Entscheidung treffen, ob er seiner Karriere noch eine weitere Note verpassen möchte. Insofern ist der eingeschlagene Weg nachvollziehbar.

    Doch was hätte sein können, wäre Thiago in München geblieben? Seitdem er weg ist, klafft im Mittelfeld des FC Bayern ein Loch, das niemand füllen kann. Auch Joshua Kimmich nicht, der unter dem Abgang des 46-fachen Nationalspielers womöglich am meisten gelitten hat. Denn Kimmich ist es, der die ganze Last der Verantwortung im Mittelfeld allein tragen muss.

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  • Thiago, FC Bayern München, 2023gerry

    Thiago war der wichtigste Spieler des FC Bayern

    Thiago ist weltweit ein unvergleichlicher Spieler. Die Leichtigkeit, mit der er den Ball bewegt und die Präzision, mit der er seine Mitspieler immer wieder bedient, suchen ihresgleichen. Kombiniert mit einer Leidenschaft gegen den Ball, die den heute 32-Jährigen über Jahre hinweg zum besten und wichtigsten Spieler des FC Bayern machte - noch vor Robert Lewandowski. Nicht wegen eines individuellen Qualitätsunterschieds, sondern, weil seine Position im System deutlich zentraler und bedeutender war.

    Fehlte Thiago, fehlten Bayern Ideen, Stabilität und Struktur. Lange wurde das in München kaum anerkannt - im Umfeld. Die Beziehung zwischen Klub und Spieler war indes immer innig. Nicht zuletzt anhand des herzlichen Abschieds war das zu erkennen. Anders als bei Lewandowski gab es kein böses Blut, keine Nebengeräusche. Und das, obwohl der Sinneswandel beim Spieler recht plötzlich daherkam.

    Bei den Bayern hätte Thiago einen Legendenstatus erlangen können. Der Begriff Legende ist für gewöhnlich überstrapaziert. Gerade bei einem Klub wie dem FCB, wo es mindestens 30 Spieler gibt, die man so bezeichnen könnte. Mit Thiago hätten die Münchner aber gute Karten auf einen weiteren Champions-League-Titel gehabt.

    Damit hätte sich der Spanier in München unsterblich machen können. Denn auch wenn der Titel in der Königsklasse 2020 eine große Bedeutung hatte, so wurde er unter ungleichen Bedingungen gewonnen. Die Coronakrise führte dazu, dass die Klubs beim Finalturnier in Lissabon unterschiedliche Startbedingungen hatten.

  • Thiago Alcantara Liverpool 2022-23Getty

    FC Bayern: Thiago hatte seinen Körper im Griff

    Thiago ist bis heute das Puzzleteil, das den Bayern zum Schritt nach ganz oben fehlt. Und andersherum? Beim FC Liverpool verpasste der Mittelfeldspieler in drei Jahren 66 Pflichtspiele. Knie, Wade, Hüfte, Oberschenkel, Krankheit - seine Krankenakte ist gewachsen. Auch deshalb funktionierte es in England nie für ihn. Ob die höhere Belastung daran Schuld ist oder die medizinische Betreuung eine andere ist, lässt sich aus der Ferne nicht beurteilen.

    Fakt ist aber, dass der siebenfache Deutsche Meister diese Probleme bei den Bayern immer besser in den Griff bekam. Zwischen 2015 und 2020 fehlte er in 48 Pflichtspielen - darunter nur eine schwerere Verletzung, als er 2017 einen Muskelteilabriss erlitt. Es ist ein Mythos, dass Thiago beim FC Bayern zu oft gefehlt habe, um ein absoluter Führungsspieler zu sein. Ein Mythos, der vor allem wegen seiner Anfangszeit entstand, in der er mehrere Bänderrisse erlitt.

    Ausgerechnet als sein Förderer und Mentor Pep Guardiola den Rekordmeister verließ, avancierte Thiago aber zum Fixpunkt des Teams, an dem sich junge Spieler orientieren und an dem gestandene Spieler über sich hinaus wachsen konnten. Unvergessen, als der Rechtsfuß beim 5:4-Sieg gegen RB Leipzig in den Katakomben schrie: "Die sollen die Faxen lassen! Wir sind die Bayern, verdammt!"

    Je länger Thiago bei den Bayern war, desto mehr wuchs er an seinen Aufgaben - und irgendwie auch an der Kritik von außen. Das Klischee des Schönwetterspielers wurde er schnell los. Mit einer Mischung aus Leidenschaft und Eleganz verband er in sich die spanische mit der deutschen Spielkultur. Ein Spieler, wie ihn die Bundesliga nur selten sah.

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  • Thiago Alcantara Liverpool 2022-23Getty

    Thiago beim FC Liverpool nur einer von vielen

    Dass es beim FC Liverpool nicht klappen würde, war keinesfalls absehbar. Ein Spieler dieser Qualität kann es bei jedem Klub schaffen. Doch mit Blick auf die letzten drei Jahre dürfte die Wehmut auf beiden Seiten nochmal größer sein.

    In England schaffte Thiago nicht den Schritt nach ganz oben in der Hierarchie. Er blieb einer von vielen. Fast schon bezeichnend war das Champions-League-Finale 2022. Thiago reiste bereits angeschlagen an, musste das Aufwärmen unterbrechen, stand dann aber doch auf dem Platz. Er war nie fit genug, um die Menschen auf der Insel derart von sich zu überzeugen, wie es ihm vor allem in der Schlussphase seiner Zeit in München gelang.

    Und das macht das Konjunktiv-Szenario so besonders: Obwohl Thiago in München alles gewonnen hatte und er auch die letzte Kritik verstummen ließ, ging er zu einem Zeitpunkt, der sich eigentlich nicht nach einem Ende angefühlt hatte. Es hätte genauso gut der Anfang sein können. Der Anfang einer Zeit, in der Thiago niemandem mehr etwas hätte beweisen müssen. In der seine Leichtigkeit den Erwartungsdruck hätte überflügeln können. Angekommen war er in München längst, war er doch einer der Spieler, denen man es abgekauft hat, wenn er auf sein Wappen klopfte. Doch mit diesem Champions-League-Sieg verstanden auch viele seiner Kritiker, warum er für den Klub so bedeutend war.

    Vermutlich wäre für beide Seiten vieles anders gelaufen - womöglich positiver. In jedem Fall hätte der Spanier in der vermeintlich langen Liste der Vereinslegenden noch einen gewaltigen Satz nach vorne machen können. Bei einem Verein, bei dem er die beste Zeit seiner Karriere erlebt hat. Und obwohl sich der FC Bayern schon beim Abschied bewusst war, dass er Thiago vermissen würde und auch dem Spieler der Wechsel nicht leichtfiel, dürften beide ihre gemeinsame Zeit heute nochmal mehr wertschätzen. So richtig klar wird das eben doch oftmals erst, wenn man einander nicht mehr hat.

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