An der Seitenlinie jubelte Tuchel nicht mal über das 1:0, das durch einen Fehler von Gregor Kobel fiel. Immer wieder drückte er die Hände nach unten, um dem Team zu signaliseren, dass es ruhig bleiben solle. Anders als sein Vorgänger nutzte er aber nicht jede Gelegenheit, um mit den Spielern zu kommunizieren. Es war kein besonders aktives Coaching. Tuchels Motto zu Beginn: Die Dinge einfach halten. Klare Rollen auf dem Platz, keine komplizierten taktischen Vorgaben.
Und doch war ihm das, was der FC Bayern auf den Platz brachte zu "fahrig und ein bisschen zu wild", wie er anschließend zugab: "Wir wollten mehr Dominanz." Das Ballbesitzspiel genieße bei ihm oberste Priorität, auch wenn das gegen den BVB mit nur 48,5 Prozent Ballbesitz oft nicht erkennbar war.
Tuchel geht hier aber auch eine Aufgabe an, die sich zumindest kurzfristig als schwierig gestalten dürfte. Immerhin hat seit Pep Guardiola kein Trainer des FC Bayern besonders viel Wert auf einen ruhigen und dominanten Ballvortrag gelegt. Gerade unter Hansi Flick und Julian Nagelsmann wurde ein sehr dynamischer und vertikaler Spielstil entwickelt.
Der FC Bayern definierte sich nicht vorrangig über fußballerische, sondern eher über athletische Qualitäten. Gegenpressing und wuchtige Angriffe wurden an guten Tagen zum Markenzeichen des Teams, das von Spielertypen wie Leon Goretzka angeführt wird. Der gebürtige Bochumer steht für einen Wandel in der Transferpolitik der Münchner. Vor allem im Mittelfeld wurden zunehmend Spieler verpflichtet, die zwischen den Strafräumen sehr aktiv sind, viele Zweikämpfe führen und im Idealfall auch Torgefahr ausstrahlen. Als Thiago 2020 den Klub verließ, ging der letzte Spieler seiner Art: Ein echter Taktgeber und Regisseur.
Mit Tuchel könnte nun eine Rückbesinnung erfolgen. Oder zumindest der Versuch, die athletischen Qualitäten mit mehr Elementen des ruhigen Ballbesitzspiels zu verknüpfen. Denn das wird mit Spielern wie Goretzka nötig sein. Wenn er nicht auf experimentelle Ideen kommt - wie beispielsweise João Cancelo ins Mittelfeld zu versetzen. Gegen Dortmund hat Tuchel gesehen, dass der Grat zwischen schnellem Offensivspiel und Hektik schmal ist. Ruhe, Geduld, ein etwas strikteres Positionsspiel und mehr Ballkontrolle - das ist es, was er nun von den Bayern sehen will. Dafür wird der eine oder andere Spieler disziplinierter agieren müssen. Zum Beispiel Joshua Kimmich, der seinen Offensivdrang gegen den BVB merklich zurückschraubte.
Das zunächst positive Chaos, das Flick mit seiner extrem offensiven Philosophie brachte, führte unter günstigen Umständen zu vielen Titeln. Doch als der Rausch vorbei war, fehlte es den Bayern an Stabilität. Nagelsmann konnte sie nicht zurückbringen. Vielleicht ist Tuchels Spielidee dafür geeigneter.