Todd Boehly Paul Winstanley Chelsea 2025IMAGO / Sportimage

Fan-Wut und absurde Transfers: Ein Traditionsverein wird zum Spielball des FC Chelsea

Immer höher, immer schneller, immer weiter - aber zu welchem Preis? Das Dilemma, das in der ganzen modernen Welt allgegenwärtig ist, kennt man auch im Fußball bekanntlich nur zu gut. Geht man den Weg des großen Geldes und feiert damit möglicherweise schneller die erträumten Erfolge? Oder tritt man ein bisschen auf die Bremse, verzichtet auf den potenziellen Booster für die sportliche Konkurrenzfähigkeit und erhält sich dafür ein bisschen mehr Romantik?

Racing Straßburg entschied sich 2023 für den Weg des großen Geldes. Doch während es sportlich zuletzt steil bergauf ging, brodelt es rund um den französischen Traditionsverein gewaltig, seit man sich vor gut zwei Jahren mit BlueCo einließ. Das Konsortium um Todd Boehly, der seit 2022 auch Mitbesitzer des FC Chelsea ist, hatte sich im Juni 2023 bei Straßburg eingekauft und ist seither Anteilseigner des Klubs. Finanziell ein Segen für den einst von massiven Geldsorgen fast zugrunde gerichteten Verein. Doch es gibt eben zwei Seiten der Medaille - und die zweite, die Schattenseite, steht derzeit deutlich mehr im Fokus.

Zu spüren bekam das jüngst Torjäger Emmanuel Emegha. Nachdem bekannt wurde, dass Emegha im kommenden Sommer zu Chelsea wechseln wird, wurde der 22-Jährige von Teilen der Straßburger Fans angefeindet. "Emegha, Marionette von BlueCo. Wenn Du dein Trikot gewechselt hast, gib deine Kapitänsbinde ab", stand auf einem Banner, das die Fangruppierung 'Ultra Boys 90' beim 1:0-Heimsieg gegen Le Havre am vergangenen Wochenende zeigte. Der Unmut über den immer stärkeren Einfluss von Schwesterklub Chelsea auf Kader und Transfers wächst und wächst. Und droht immer mehr zu einer verheerenden Spaltung zu führen.

  • Doch von vorn. "Das Ziel ist, Racing in einer Fußballwelt, die sich enorm verändert hat, noch ambitionierter und wettbewerbsfähiger werden zu lassen", hatte Straßburgs Präsident Marc Keller im Juni 2023 zum Einstieg von BlueCo erklärt. "Die Ankunft des Konsortiums sollte uns dazu befähigen, diesen Schritt nach vorne zu machen."

    Keller hatte seine Anteile an BlueCo verkauft, ist jedoch bis heute weiterhin Präsident. Für den ehemaligen Bundesligaprofi, von 1996 bis 1998 für den Karlsruher SC aktiv, ist Racing eine Herzensangelegenheit. Er stammt aus der Region im Nordosten Frankreichs an der Grenze zu Deutschland. Im knapp 60 Kilometer entfernten Colmar geboren, spielte Keller einst selbst für Straßburg, war später dann einige Jahre lang Sportdirektor.

    Als Racing 2010 in die dritte Liga abstieg, war Keller nicht mehr da. Ein Jahr später sorgte ein Insolvenzverfahren dann sogar für den Zwangsabstieg in die fünfte Liga. Der Absturz des Meisters von 1979, der in seiner langen Historie große Zeiten erlebte, in die Niederungen des französischen Fußballs war damit perfekt. Dass Straßburg nur sechs Jahre danach schon wieder Erstligist war und sich seither stetig in der Ligue 1 halten und weiterentwickeln konnte, ist beeindruckend. Und Keller ist eines der Gesichter dieser märchenhaften Comeback-Geschichte. Er kehrte 2012 zurück, kaufte den damaligen Pleiteklub, der gerade immerhin den Aufstieg in die vierte Liga geschafft hatte, mit zehn weiteren Gesellschaftern für einen symbolischen Euro.

    2017 war man zurück in der Ligue 1 und von außen betrachtet gab es eigentlich gar keine Not, sich zwingend auf einen Geldgeber einzulassen. Denn schon bevor BlueCo kam, machte Straßburg immer wieder positiv auf sich aufmerksam: Mit Platz sechs in der Saison 2021/22 beispielsweise. Oder mit dem Ligapokal-Erfolg 2019.

    Keller und Co. sahen die Zeit aber eben reif für erwähnten nächsten Schritt, der sich natürlich allen voran in den Transferaktivitäten niederschlägt. 23 der 25 teuersten Neuverpflichtungen der Vereinsgeschichte tätigte Straßburg nach dem BlueCo-Einstieg im Sommer 2023. Nahm man zunächst zweimal in Folge jeweils rund 60 Millionen Euro für neue Spieler in die Hand, waren es im zurückliegenden Sommertransferfenster satte 118,5 Millionen Euro - und damit sogar mehr als Frankreichs Branchenprimus und Champions-League-Sieger Paris Saint-Germain (103 Millionen Euro).

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  • Chelsea v Fulham - Premier LeagueGetty Images Sport

    Chelseas zunehmende Willkür sorgt in Straßburg für Unmut

    Straßburg spielt finanziell mittlerweile also im Konzert der Größten des Landes mit. Und auch sportlich stellten sich ja Erfolge ein: Mit begeisterndem Fußball wurde Racing vergangene Saison guter Siebter und kämpfte bis zum Schluss um die Champions-League-Plätze mit und qualifizierte sich für die Conference League. Der Start in die neue Spielzeit gelang den Elsässern mit neun Punkten aus den ersten vier Partien ebenfalls.

    Und weil es auf dem Platz so gut läuft, ist man unter den Anhängern des Traditionsvereins mittlerweile geteilter Meinung. War man sich anfangs beim 15 Minuten andauernden Stimmungsboykott bei Heimspielen aus Protest gegen die neuen Anteilseigner auf den Tribünen noch einig, stand die Fangruppierung Ultra Boys 90 damit vergangene Saison mitunter alleine da. Andere Teile der Anhänger wollten ihre Mannschaft nämlich sehr wohl dafür feiern, was sie leistete und pfiffen auf den Boykott. BlueCo sorgt also schon für Spaltungen im Inneren des Klubs.

    "Was innerhalb unseres Vereins passiert, ist zu ernst, um so zu tun, als ob alles gut wäre", schrieben die Ultra Boys 90 im August in einem offenen Brief und machten ihre Abneigung gegenüber dem Geflecht zwischen Racing, BlueCo und Chelsea deutlich: "Wir werden weiterhin alle Anzeichen von Multi-Ownership und Einmischung in unseren Verein anprangern." Zudem kündigten sie an, den Stimmungsboykott in den ersten 15 Minuten der Heimspiele aufrecht erhalten zu wollen.

    Was für den Unmut sorgt, ist allen voran die zunehmende Willkür, mit der BlueCo und Chelsea direkten Einfluss bei Racing nehmen. So wurde jüngst beispielsweise Ben Chilwell, der bei den Blues keine Rolle mehr spielt, kurzerhand nach Straßburg geschickt, weil er sonst keinen neuen Verein mehr fand. Dass die Elsässer nicht wirklich Bedarf für das Spielerprofil des Linksverteidigers hatten, interessierte BlueCo herzlich wenig. In Straßburg verstärkte sich so das Gefühl, mehr und mehr zu einer Art Spielzeug Chelseas zu verkommen.

  • Talent blieb nur einen Monat: Transfers zwischen Chelsea und Straßburg immer absurder

    Emanuel Emegha ist nun der insgesamt zwölfte Transfer zwischen Chelsea und Straßburg in den vergangenen beiden Jahren. Meist waren oder sind es Leihen aus London in Richtung Frankreich, um Spielern, die bei Chelsea unter Vertrag stehen, auf kurzem Weg mehr Spielpraxis verschaffen zu können. Aktuell stehen mit Mittelfeldjuwel Kendry Paez, Torwart Mike Penders und Innenverteidiger Mamadou Sarr drei von Chelsea geliehene Talente in Straßburgs Kader. Dazu wurde neben Chilwell mit Mittelfeldspieler Mathis Amougou ein weiterer Akteur fest von der Stamford Bridge zum Schwesterklub in die Ligue 1 geschickt.

    Dass Straßburg von dem engen Draht zu Chelsea auch profitiert, gehört derweil ebenfalls zur Wahrheit. So war zum Beispiel der von den Blues geliehene Andrey Santos an der starken vergangenen Saison Racings maßgeblich beteiligt. In 32 Ligue-1-Einsätzen gelangen dem brasilianischen Mittelfeldspieler zehn Tore und vier Assists. Ein Win-Win-Win-Situation, in der Santos wichtige Spielpraxis auf hohem Niveau erhielt, Straßburg dank seiner Qualitäten gut performte und Chelsea ein Versprechen für die Zukunft mit deutlich mehr Erfahrung diesen Sommer wieder zurück erhielt.

    Derlei kurzfristige Erfolgsgeschichten können den harten Kern der Straßburger Fans aber nicht besänftigen. Sie haben vielmehr Angst um die eigenständige Zukunft ihres Vereins und sind genervt von immer absurderem Spielergeschiebe zwischen ihrem Herzensklub und Chelsea. So wie bei Ishe Samuels-Smith diesen Sommer: Das 19-jährige englische Abwehrtalent wechselte Ende Juli zunächst für 7,5 Millionen Euro Ablöse von den Blues nach Straßburg. Nachdem er bei Racing in den ersten beiden Pflichtspielen 90 Minuten auf der Bank gesessen hatte, war er aber schon einen Monat später wieder weg - ohne eine einzige Minute für die Franzosen gespielt zu haben. Chelsea holte Samuels-Smith Anfang September zurück und verlieh ihn kurz darauf an Swansea City.

  • FBL-FRA-LIGUE1-STRASBOURG-NANTESAFP

    BlueCo spaltet Straßburg mehr und mehr

    Der Emegha-Deal brachte das Fass dann vorerst zum Überlaufen. Den Angreifer hatte Straßburg 2023, also kurz nach dem BlueCo-Einstieg, für 13 Millionen Euro Ablöse von Sturm Graz verpflichtet. Vergangene Saison war Emegha mit 14 Toren Straßburgs Top-Torjäger, wurde im Sommer zum neuen Kapitän ernannt. Doch statt langfristig in Straßburg zu wirbeln, spielt Emegha spätestens ab dem nächsten Sommer für Chelsea.

    "Emmanuel Emegha war am Boden zerstört und ich war es auch. Ich bin sehr enttäuscht von dem, was ich gesehen habe. Banner, die sich gegen einen unserer besten Spieler der letzten Saison richten, sind inakzeptabel", sagte Straßburgs Trainer Liam Rosenior nach den Fan-Anfeindungen gegen Emegha am vergangenen Sonntag. Emegha wurde auch ausgebuht, als er den Award für den Spieler des Monats August in der Ligue 1 erhielt.

    "Ich weiß nicht, warum sie wollen, dass er sofort geht. Okay, er hat bei Chelsea unterschrieben. Aber er ist doch noch hier", sprang Diego Moreira seinem Mitspieler zur Seite. Moreira ist auch einer jener Transfers, die Straßburger Vorbehalte gegenüber dem Schwesterklub aus England befeuerten. Für den belgischen Mittelfeldspieler hatte Chelsea 2024 keine Verwendung mehr und nutzte Straßburg, um nicht einen seiner maximal sechs erlaubten internationalen Leihplätze mit Moreira besetzen zu müssen. Stattdessen verkauften sie den 21-Jährigen einfach für 8,5 Millionen Euro an Racing, wo er noch bis 2029 unter Vertrag steht.

    Der Fall Emegha sorgt nun dafür, dass sich Straßburg mehr und mehr Kontroversen ausgesetzt sieht. So stellte sich mit Dimitri Lienard eine Klublegende, die einst die Rückkehr nach oben von der dritten Liga an mitging und Straßburgs Spiel zehn Jahre lang prägte, gegen die wütenden Anhänger: "Ich verstehe das nicht", schimpfte Lienard bei Club 1906 und betonte: "Das (das Banner und die Buhrufe gegen Emegha, d. Red.) kam von einer Minderheit - der Rest des Stadions pfiff sie aus."

    Auch Präsident Keller bekam den Zorn der Fans zu spüren, was Lienard zusätzlich auf die Palme brachte: "Als früherer Kapitän würde ich meine Spielern auffordern, sie (die Fans, d. Red.) nicht mehr zu grüßen. Was sie getan haben, ist eine absolute Schande. Keller hätte mit seinen Millionen einfach gehen können, aber er ist jedes Wochenende da. Der Verein ist zurück in Europa und wir sind letzte Saison Siebter geworden."

  • FBL-FRA-STRASBOURG-STADIUMAFP

    Marc Keller wehrt sich

    Durch die Entwicklungen und auch persönliche Angriffe gegen ihn - die Ultras hatten ihn zum Rücktritt aufgefordert - sah sich Keller am Donnerstag genötigt, seine Position auf einer Pressekonferenz klarzustellen. Er betonte, er habe am Wochenende "23.000 Menschen gesehen, die enttäuscht und angewidert das Stadion verlassen haben". Mehr Leute hätten ihm in zwei Tagen ihre Unterstützung mitgeteilt als nach den Erfolgen der jüngeren Vergangenheit. "Was am Sonntag passiert ist, hätte ich mir niemals vorstellen können. Eine Minderheit aus der Westkurve hat den Verein, das Projekt und unseren Kapitän attackiert. Das ist inakzeptabel."

    In einer flammenden Rede stellte Keller zudem klar, dass man Emegha ohne BlueCo niemals hätte nach Straßburg holen können und dass der Angreifer im Sommer "zehn Angebote" abgelehnt habe, um zu bleiben. Auch zum kuriosen Samuels-Smith-Deal äußerte er sich: Da sei kein Geld geflossen und man habe nach kurzer Zeit festgestellt, dass es für ihn in Straßburg schwierig geworden wäre. Also habe man den Transfer kurzerhand "in Abstimmung mit seiner Familie" rückgängig gemacht.

    Durch BlueCo und das immer wirrere Geflecht mit Chelsea hat sich bei Straßburg eine für den Verein gefährliche Spaltung entwickelt. Und weil Emegha fürs Erste im Auge des Sturms ist, droht ihm eine schwierige Saison. Dass Chelsea nun darüber nachdenken soll, ihn möglicherweise nicht erst im Sommer, sondern schon im Januar nach London zu holen, bietet ihm eine erfreuliche Perspektive. Bei den Straßburger Fans würden Zorn und Verzweiflung damit umso mehr gedeihen.

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