Jetzt, da Leroy Sane den Klub verlassen hat, ist Serge Gnabry unumstritten der umstrittenste Spieler des FC Bayern. Seine mittlerweile sieben Jahre im Klub sind geprägt von sportlichen und gesundheitlichen Aufs und Abs, von hitzigen Debatten über sein Gehalt und sein Auftreten. Alles so, wie es bis zu dessen ablösefreien Abschied zu Galatasaray Istanbul im Sommer auch bei Sane gewesen ist.
GettyDer vielzitierte Triple-Gnabry war eines der entscheidenden Rädchen beim Siegeszug von 2020. Damals zeigte er, wozu er in der Lage ist, und setzte sich selbst einen Maßstab, dem er seitdem vergeblich hinterher rennt. Ja, zwischendurch hatte er gute Phasen, etwa Anfang der vergangenen Saison. Über einen so langen Zeitraum wie 2019/20 lieferte er aber nie wieder konstant ab. Regelmäßig bremste ihn sein fragiler Körper aus. Seit Sommer 2020 musste Gnabry aus verschiedensten Gründen 20-mal pausieren und verpasste für Klub und Land dadurch insgesamt 65 Spiele. Eine ganze Saison, gewissermaßen.
Aber nicht nur diese Zahl sorgt für Diskussionen. Sondern auch die auf seinem Gehaltszettel. Im Sommer 2022 verlängerte Gnabry bis 2026 und stieg mit einem kolportierten Jahressalär von 19 Millionen Euro zu einem der absoluten Spitzenverdiener auf. Michael Olise und Luis Diaz kassieren beispielsweise deutlich weniger. Egal wie gut es für Gnabry läuft, das Aber ist in Form seines unverhältnismäßig hohen Gehalts immer da.
Dazu kommt sein Auftreten abseits des Platzes. Gnabry kleidet sich gerne extravagant und präsentiert sich so auch in den sozialen Netzwerken. Gucci-Gnabry, der Spitzname hält sich hartnäckig. Rechtfertigen braucht er sich weder für das Verhandlungsgeschick seiner Berater noch für seinen Modestil - gerade in Deutschland wird darüber aber gerne gestänkert.
Diese Mixtur machte Gnabry beim FC Bayern ab 2023 zu einem Dauer-Verkaufskandidaten. Er selbst verwies derweil stets auf seinen Vertrag bis 2026 und beharrte auf einem Verbleib. Ein Jahr noch, dann ist er endlich weg - so lautete bisweilen der Tenor vor dieser Saison. Doch jetzt blüht der 30-Jährige plötzlich auf wie lange nicht mehr.
Getty Images SportFC Bayern: Serge Gnabry befindet sich in blendender Form
Aufgrund der angespannten Personalsituation bekam Gnabry seinen Stammplatz zu Saisonbeginn praktisch geschenkt. Nach den Abgängen von Sane, Kingsley Coman und Thomas Müller und nach der Verletzung von Jamal Musiala hatte Trainer Vincent Kompany plötzlich nur noch vier arrivierte Offensivspieler zur Verfügung.
Harry Kane für den Sturm, Olise für rechts, Diaz für links - und Gnabry füllte eben den vakanten Posten auf der Zehn aus. Diese unverhoffte Chance nutzte er in beeindruckender Manier und avancierte zum größten Gewinner der noch jungen Saison. "Serge ist momentan ein elementar wichtiger Spieler für uns", sagt Sportvorstand Max Eberl. Fünf Spiele, fünf Siege, fünf Gnabry-Scorer, dazu zwei Startelf-Einsätze und ein Tor für die deutsche Nationalmannschaft.
Beim 5:0 gegen den Hamburger SV am Samstag erzielte Gnabry das wichtige 1:0. Erst der Beinschuss für Miro Muheim, dann der Abschluss aus spitzem Winkel unter die Latte. "Ich weiß gar nicht, warum ich da eigentlich geschossen habe", sagte Gnabry anschließend. "Aber er ging rein, von daher alles gut." Nach vielen Jahren auf den Flügeln fühlt er sich gerade sichtlich wohl in der neuen Rolle als Halbzehner-Halbstürmer. Das Zusammenspiel mit Kane, Olise und Diaz funktioniert fast schon ungeheuerlich gut. "Wir haben irgendwie ein blindes Verständnis miteinander", sagt Gnabry.
Warum es für ihn persönlich gerade so gut läuft? "Ich habe nichts geändert, ich trainiere gleich, ich gebe Gas. Als Sportler musst du ein gewisses Glück auf deiner Seite haben, dass es vielleicht klappt. Letztes Jahr wurde ich nach einer guten Phase durch das Knie ein bisschen ausgebremst. Jetzt bin ich gesund, fühle mich gut, habe Selbstvertrauen – und gerade bin ich im Flow." Es scheint fast, als wäre der beeindruckende Aufschwung auch für ihn selbst ein bisschen rätselhaft.
Getty ImagesGnabrys Rivalen: Nicolas Jackson - und bald Jamal Musiala
Eine entscheidende Rolle scheint jedenfalls Trainer Vincent Kompany zu spielen. "Serge ist ein großer Profiteur von Vinnie", findet Eberl. Kompany verliert seine Spieler emotional offensichtlich auch dann nicht, wenn sie in seinen Planungen über einen längeren Zeitraum nur eine untergeordnete Rolle spielen. Gnabry ist das beste Beispiel. Eberl nennt zudem noch Leon Goretzka und die mittlerweile abgewanderten Sane und Coman. "Vinnie hat ein sehr gutes Gespür für die Jungs. Sie waren sehr lange da und trotzdem waren sie irgendwie ja auch - ich meine das nicht negativ - sie waren verbrannt. Und er hat quasi aus diesen alten Spielern Neuzugänge gemacht." Gnabry sei "ein sehr unterschätzter Spieler", betonte Kompany neulich. "Er hat nicht viele Schwächen."
Solange Gnabry so weiterspielt wie bisher, gibt es für den Trainer keinen Grund, ihn aus der Startelf zu nehmen. Die Konkurrenzlosigkeit vom Saisonstart ist mittlerweile aber dahin. Neuzugang Nicolas Jackson lauert auf einen Platz in der Startelf. Zumindest in wichtigen Spielen kommt dafür eigentlich nur Gnabrys Position in Frage. Kane, Olise und Diaz scheinen unumstritten.
Gegen den HSV kam die Leihgabe des FC Chelsea zur Pause erstmals für Gnabry ins Spiel, fremdelte anschließend jedoch mit dem Spiel seiner Kollegen. "Man merkt, dass er noch Zeit benötigt, bis das adaptiert ist, wie wir Fußball spielen wollen. Aber ich glaube, er wird das sehr schnell lernen", befand Eberl. Auch am Mittwoch zum Champions-League-Auftakt gegen seinen Ex-Klub Chelsea dürfte Jackson allenfalls eingewechselt werden.
Der nominelle Stammspieler auf Gnabrys aktueller Position arbeitet derweil an seinem Comeback: Jamal Musiala. Zuletzt nährte Musiala Hoffnungen, nach seinem Wadenbeinbruch noch in diesem Jahr auf den Platz zurückkehren zu können. Spätestens dann wird es kompliziert für Gnabry.
Getty ImagesFC Bayern: Serge Gnabrys Vertrag läuft im kommenden Sommer aus
Mit Blick auf seine bisherige Historie beim FC Bayern ist aber ohnehin nicht auszuschließen, dass bis dahin schon etwas dazwischengekommen ist - eine Verletzung, ein rätselhafter Leistungseinbruch, was auch immer.
Diese Saison ist aber eine spezielle für Gnabry. Der Druck ist größer, weil sein Vertrag kommenden Sommer ausläuft. Auf dem Spiel steht nicht weniger als sein weiterer Karriereverlauf. Er selbst dürfte grundsätzlich Interesse an einer Vertragsverlängerung beim FC Bayern haben - aber hat das auch der FC Bayern? Wenn ja, zu welchen Bezügen? Kann er seine Verhandlungsposition verbessern, indem er anderer Klubs auf sich aufmerksam macht?
"Ich schaue, dass ich so weitermache, dass ich auch gute Argumente habe, falls es dazu kommt", sagt Gnabry. Die Bosse des FC Bayern können Gnabrys Entwicklung erstmal abwarten - und werden das auch tun. Wann er mit Gnabrys Beratern in Verhandlungen eintreten wolle, ließ Eberl am Samstag offen. Je länger aber gewartet wird, desto größer ist bei anhaltender Topform auch das Risiko eines letztlich ungewollten, ablösefreien Abgangs. So wie in der vergangenen Saison bei Sane und auch Eric Dier.

