Rüstü BarcaIMAGO / Ulmer

Er sprang dem Tod zweimal von der Schippe und wurde von den eigenen Fans verprügelt: Der FC Barcelona huldigt seinem Torwart-Krieger noch heute

Rüstü Recber gehört zu den Menschen, denen man beim Reden gerne zuhört. Er könnte zwei Stunden über die spirituelle Bedeutung vom Fliesenlegen erzählen. Man würde zuhören und vielleicht später tatsächlich vom Fliesenlegen angetan sein.

Vielleicht liegt es daran, dass der 52 Jahre alte Ex-Fußballer einfach so viel zu erzählen hat und daher schon recht gut trainiert ist. Da kommt oft die Geschichte, wie er mit 16 Jahren Torhüter wurde, weil bei seinem Dorfverein Demrespor der eigentliche Schlussmann zum Wehrdienst eingezogen wurde. Warum gerade er? "Weil ich groß war."

Dieser Artikel erschien erstmals am 10. März 2022.

  • Oder die Geschichte, wie er einmal fast starb. 1993 geriet er mit seinem Teamkollegen von Antalyaspor, Levent Tekne, in einen heftigen Autounfall. Tekne starb, Rüstü wurde schwer verletzt geborgen, lag mit inneren Verletzungen und einem entstellten Gesicht zehn Tage im Koma. Die Ärzte befürchteten das Schlimmste, aber Rüstü überlebte.

    2020 machte man sich nochmals große Sorgen um ihn. Als Anfang April das Coronavirus auch die Türkei erreichte, gehörte Rüstü zu den Erstinfizierten. "Ich lag im Sterben", erzählte er später. Seine Frau Isil bat damals um Gebete für seinen Mann, der arg gebeutelt und mit heftigem Gewichtsverlust die Covid-Erkrankung überlebte.

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  • Rüstü RecberGetty Images

    Rüstü wurde von Fenerbahce-Fans verprügelt - und träumte "immer" vom FC Barcelona

    Man könnte jetzt noch viele andere Geschichten aufzählen. Wie er einst bei Fenerbahce auf dem Trainingsgelände von Fans verprügelt wurde, weil Fener ein Pokalspiel gegen einen Zweitligisten verlor. Und wie die gleichen Attentäter später im Fener-Flieger saßen, als es zu einem Auswärtsspiel ging.

    Alles relativiert sich im Leben, wenn man zweimal dem Tod entkommt. Und so war es auch bei Rüstü, der längst seinen Frieden damit gefunden hat, dass der vielleicht größte Traum seines Lebens vielleicht nur so halb in Erfüllung ging.

    "Ich habe mir immer gewünscht, für den FC Barcelona zu spielen", verrät Rüstü. Als er 2002 mit der Türkei ein spektakuläres WM-Turnier spielte und die Türkei auch dank ihm WM-Dritter wurde, standen ihm plötzlich alle Türen offen.

    Arsene Wenger schickte seine Leute, damit er zum FC Arsenal kommt. Sir Alex Ferguson schickte seine Leute, damit er zu Manchester United kommt. Ferguson wurde später dann sogar persönlich vorstellig. "Er wollte das Torwart-Problem bei Manchester United lösen und bot viel Geld", erinnert sich Rüstü.

  • Joan LaportaGetty

    FC Barcelona holt Rüstü als eingelöstes Wahrlversprechen von Laporta

    Aber die Wahl des Türken stand fest. Kein Arsenal, kein ManUnited. Ein damals noch recht junger Joan Laporta war auch in den Bann gezogen und machte Rüstü zum Versprechen beim FC Barcelona, falls er bei der Wahl 2003 gewinnen sollte. "Laporta war noch gar nicht gewählt, als ich zusagte. Das war ein Risiko, weil ich sonst überall absagte."

    Laporta gewann und hielt sein Versprechen, doch er hatte eine Bitte an Rüstü: "Er wollte, dass ich meine langen Haare und meine Kriegsbemalung unter den Augen behalte." Laporta wollte nicht nur den Torwart, er wollte die ganze Geschichte mit allem, was dazu gehört.

    Die langen Haare und die Bemalung machten ihn einzigartig. Wobei gerade die Bemalung keine Idee war, exorbitant aufzufallen. Ganz im Gegenteil: "Ich bekam mal bei einem Spiel in Hong Kong wegen dem Rasen eine allergische Reaktion in den Augen. Von da ab war ich sehr empfindlich, was die Helligkeit betraf." Die schwarze Bemalung, die ihn tatsächlich wie einen Krieger aussehen ließen, half.

    Als er einmal sein Farbwerkzeug zuhause vergaß, fragte er eine Dame auf der Tribüne, ob er sich ihre Schminksachen auszuleihen darf. Doch bewundern konnte man ihn in Barcelona dann nur selten. Neu-Trainer Frank Rijkaard, der nach Rüstü kam, setzte lieber auf Victor Valdes. "Ich war ihm ein Dorn im Auge", sagt Rüstü heute und schiebt es auf die Sprachbarriere. Der Ex-Torhüter sprach weder Spanisch noch richtig Englisch.

  • FC Barcelona kümmerte sich, als Rüstü "um mein Leben kämpfte"

    Doch vielmehr als persönliche Animositäten stand Rüstü die Ausländerregel im Weg. Mehr als drei Nicht-EU-Ausländer durften im Spieltagskader nicht stehen. Bei Barca hatten damals Ronaldinho, Rafael Marquez und Javier Saviola ihren Kaderplatz so gut wie sicher. Rüstü machte nur sieben Spiele für die Katalanen.

    Ein Jahr später kehrte er so zu Fenerbahce in die Türkei zurück, doch die Drähte nach Barcelona sind nie abgerissen. Jedes Jahr erinnert der Klub bei Twitter an die Verpflichtung des ersten Türken bei Barca. Und als Rüstü wegen Covid arg gebeutelt war, gab es wiederholt Anrufe und Hilfsangebote. "Als ich um mein Leben kämpfte, habe ich die innige Unterstützung von Barca gespürt und bin dem Klub ewig dankbar", sagt Rüstü.

    Er machte große Karriere in der Türkei, wurde Nationalspieler, Volksheld, Torwart-Krieger. Dass er Barca nach nur einem Jahr verlassen hat, wurmt ihn dennoch heute noch: "Mit meiner Einstellung von heute wäre ich sicher geblieben. Ich habe zu früh aufgegeben." 

  • Rüstü Recber: Spielerstatistiken bei Barca, Fenerbahce und Co.

    • Fenerbahce: 368 Pflichtspiele, 355 Gegentore, 154 Spiele ohne Gegentor
    • Besiktas: 124 Pflichtspiele, 122 Gegentore, 44 Spiele ohne Gegentor
    • FC Barcelona: 7 Pflichtspiele, 6 Gegentore, 3 Spiele ohne Gegentor
    • Antalyasport: 2 Pflichtspiele, 4 Gegentore, kein Spiel ohne Gegentor