Glaubt man der Minderheit in den sozialen Netzwerken, sind die Nerven der Fans von Borussia Dortmund schon seit einer Weile überstrapaziert. Für sie herrscht viel zu wenig Bewegung auf dem Transfermarkt. Der BVB müsse endlich die nächsten Neuzugänge verkünden, heißt es oft.
GOALEr soll dem BVB mal 70 Millionen Euro einbringen: Borussia Dortmund hat sein neues Supertalent schon gefunden - und kaum einer bekam es mit
Das dürfte trotzdem noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für das Debüt von Justin Lerma bei den Schwarz-Gelben. Den mittlerweile 17-jährigen Ecuadorianer verpflichtete der BVB bereits im Mai vergangenen Jahres. Er wird nach Dortmund kommen, sobald er im Mai 2026 die Volljährigkeit erreicht hat.
In einer recht kurz gehaltenen Pressemitteilung sagte Sportdirektor Sebastian Kehl über den Offensivspieler, der links auf dem Flügel agiert und auch gerne ins Zentrum zieht: "Wir beobachten Justin schon länger und pflegen seither einen engen Austausch mit dem Spieler und seiner Familie. Justin zählt zu den besten südamerikanischen Spielern seines Jahrgangs, und wir freuen uns, in ihm ein herausragendes Talent gewinnen zu können."
Rund vier Millionen Euro überwiesen die Westfalen für Lerma an dessen aktuellen Verein Independiente del Valle. Einem Bericht der Sport Bild zufolge soll man sich beim BVB sicher sein, dass Lerma eines Tages bis zu 70 Millionen Euro Ablöse einbringen wird.
BVBJustin Lerma wechselt zum BVB: "Wir sind nicht sehr glücklich darüber"
Michel Deller, Ehrenpräsident von IDV, ging hinsichtlich der Transfermodalitäten gegenüber der Mundo Deportivo auffallend deutlich ins Detail. "Der Betrag, den wir erhalten, beträgt nicht einmal annähernd zehn Millionen Euro. Es ist weniger als die Hälfte. Wir könnten Prämien für Titel und absolvierte Partien erhalten, bei einem zukünftigen Verkauf würden wir 15 Prozent eines Mindestwerts behalten", sagte der 64-Jährige.
Lerma fiel dem BVB vor allem in den U-Nationalmannschaften Ecuadors auf, für Independiente sah man ihn auch bei einem 2023 in Österreich ausgetragenen Turnier live vor Ort. Deller machte seinem Ärger über den Ablauf der Geschehnisse seitdem Luft: "Wir sind nicht sehr glücklich darüber, dass dieser Transfer so früh getätigt wurde. Wir hätten es lieber gesehen, wenn der Spieler etwas reifer geworden wäre und mehr Einsatzminuten in der Profimannschaft gehabt hätte. Dann aber tauchen die Berater auf und anstatt zu helfen, verkomplizieren sie alles."
Dass IDV ein junges Talent für einen Millionenbetrag nach Europa verliert, ist allerdings nichts Neues. Der Verein, der seit 2019 sechs Titel holte, besitzt weltweit einen ausgezeichneten Ruf für die Entwicklung junger Spieler.

Justin Lerma debütierte mit nur 15 Jahren bei den Profis
Die namhaftesten Kicker, die heute in einer der Top-5-Ligen spielen und ihren Transferwert um ein Zigfaches gesteigert haben, sind Chelseas Moises Caicedo, den man 2021 für 28,2 Millionen Euro an Brighton verkaufte, Leverkusens Piero Hincapie und Ex-Frankfurter Willian Pacho (heute PSG). Mit Kendry Paez schloss sich in diesem Sommer das zuletzt heißeste Eisen der IDV-Schmiede für zehn Millionen Euro den Blues an. Umgerechnet mehr als 85 Millionen Euro nahm Independiente seit 2016 durch Spielerverkäufe ein.
Auch Lerma machte früh deutlich, dass ihn nichts in seiner Heimat halten wird. "Ich träume davon, das Land zu verlassen. Meine Vorbilder sind Kendry Paez und Moises Caicedo. Sie sind für mich Stars", sagte er Mitte April 2024, nachdem er sein achtminütiges Debüt in der Liga Pro feierte. Mit 15 Jahren, elf Monaten und neun Tagen war in der Ligageschichte nur ein Spieler zuvor jünger. Bei einem zweiten Einsatz stand Lerma schon in der Startelf, seitdem sind 13 weitere Partien für die Profis hinzugekommen.
Vorrangig wurde er aber zuletzt in den Nachwuchsteams eingesetzt, sowohl auf Vereins- als auch auf Verbandsebene. Dort beherrschte Lerma, der 2019 mit 13 Jahren von Guayaquil City FC, dem Klub seiner Geburtsstadt, ins 400 Kilometer entfernte Sangolqui zu Independiente wechselte und seitdem in jedem seiner Teams Kapitän war, die Schlagzeilen.

Justin Lerma: Erst tragischer Held, dann bester Spieler des Endspiels
Mit Ecuadors U17 gelang ihm im März bei der Südamerika-Meisterschaft ein Auftakt nach Maß, als er beim 4:0 gegen Uruguay zwei Tore und eine Vorlage lieferte. Die Bude zum 3:0 nach einem langen Sololauf war besonders sehenswert. "Von der linken Seite aus nicht zu stoppen", hieß es in ecuadorianischen Medien euphorisch.
Der wertvollste Spieler des Turniers ließ gegen Brasilien einen weiteren Treffer folgen, wurde nach dem Aus in der Gruppenphase in der sogenannten Platzierungsrunde zur U17-WM in Katar im kommenden November aber zum tragischen Helden. Lerma verschoss im Elfmeterschießen gegen Paraguay den entscheidenden Strafstoß - die erstmals mit 48 Mannschaften ausgetragene Endrunde wird somit ohne Ecuador stattfinden. Drei Tage später verlor er beim Spiel um Platz sieben gegen Bolivien (0:1) in der Nachspielzeit die Nerven, als er wegen eines unnötigen Foulspiels im Mittelfeld Gelb-Rot sah.
Zuletzt nahm der als bescheidene Person beschriebene Lerma mit IDV am U18-Turnier Copa Mitad del Mundo teil und brachte sein Team mit dem Führungstreffer beim 4:0-Finalsieg gegen UNAM Pumas auf die Siegerstraße. Erneut hatte er sich kurz vor der Mittellinie den Ball geschnappt und einen Sololauf eiskalt gekrönt. Anschließend wurde Lerma zum Spieler des Endspiels gewählt.
BVBJustin Lerma: Hohe Physis, ausgezeichnete Technik, selbstbewusstes Dribbling
Der BVB darf sich im kommenden Jahr auf einen Spieler einstellen, der mit seinen 1,84 Metern bereits eine hohe Physis mitbringt und sehr athletisch ist. Lerma kann Bälle gut festmachen und hat eine große Präsenz auf dem Feld. Er besitzt eine ausgezeichnete Technik, eine gute und ruhige Ballbehandlung sowie ein tolles, selbstbewusstes Dribbling. Sein Spielverständnis ist ausgeprägt, mit viel Übersicht setzt er seine Mitspieler ein. Immer streut er starke Tempowechsel in sein Spiel ein.
Dennoch hat Lerma naturgemäß noch viel zu lernen. Erst recht, wenn er in einigen Monaten den europäischen Fußball kennenlernt, bei dem das Verhalten ohne Ball oder nach Ballverlust eine deutlich größere Rolle als in Ecuador spielt. In der Heimat ist er seit längerer Zeit schon nicht nur seinen direkten Altersgenossen überlegen und weit voraus. Das wird beim BVB gänzlich anders. Man darf gespannt sein, in welche Mannschaft die Dortmunder den Neuzugang anfangs integrieren werden.
Sein neues Umfeld hat Lerma, der in einem Interview zugab, auch mit einer sofortigen Leihe kein Problem zu haben, bereits kennengelernt. Ende Juli 2024 besuchte er das Dortmunder Trainingsgelände. Auf Instagram veröffentlichte er ein Foto, das ihn grinsend neben einem BVB-Wappen zeigt.
Justin Lerma: Unklare Zukunft bei den Profis von Independiente
"Home", schrieb er dazu und sagte über seinen Wechsel: "Träume werden wahr und Gottes Timing ist perfekt. Davon habe ich immer geträumt und Gott hat es möglich gemacht. Es fängt gerade erst an und ich bin sehr glücklich, mein Land auf diese Weise repräsentieren zu können."
Wie es bis dahin bei den Profis von Independiente für ihn weitergeht, ist derzeit etwas nebulös. Durch die verpasste Teilnahme an derU17-WM stünde Lerma dem Erstligisten, der derzeit mit fünf Punkten Vorsprung die Tabelle anführt, zur Verfügung.
Doch Trainer Javier Rabanal nahm Lerma in der seit Februar und bis Dezember laufenden Saison nicht mehr in seinen Kader auf. Kürzlich verriet der 46-jährige Spanier gegenüber dem Radiosender Cadena SER, dass Mitarbeiter des BVB nach Ecuador gereist seien, um während der Copa Mitad del Mundo mit Lerma "an einigen konkreten Dingen zu arbeiten".
Daher geht es den IDV-Fans derzeit ähnlich wie den Anhängern der Borussia. Sie rätseln, was eigentlich genau Sache ist. Und hinterfragen, ob der gegen den Willen des Klubs - siehe die Aussagen des Ehrenpräsidenten - bereits verkaufte Lerma genau deshalb nicht weitere Erfahrungen auf dem höchsten Niveau sammeln darf.



