Hachim MastourGetty Images

Er kickte einst mit Neymar, Kaka und Robinho - heute spielt er in der dritten Liga: Der Absturz des "größten Talents der Welt"

Wenn man Hachim Mastour heute fragt, wie er sein 16-jähriges Ich beschreiben würde, dann bekommt man schon einen ganz guten Eindruck davon, wie es ist, wenn Ruhm und Erfolg möglicherweise ein wenig zu früh ins Leben treten. Er sei ein Junge gewesen, der "in die Welt der Erwachsenen katapultiert wurde, aber seinen Traum verfolgte: Spaß am Fußballspielen zu haben. Dann wurde aus dem Traum ein Job", erzählte er jüngst in einem Interview mit der Gazzetta dello Sport.

Es ist noch gar nicht so lange her, da sprach man, wenn man den Namen Mastour in den Mund nahm, von einem der größten und aufregendsten Talenten im Weltfußball. Doch statt einer schillernden Karriere samt Titeln und Trophäen bei den besten Klubs des Planeten mündete die Laufbahn des heute  27-Jährigen in einem dramatischen Absturz.

  • Geboren als Sohn marokkanischer Eltern in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia in der Lombardei begann Mastour seine Karriere in der Jugend der lokal ansässigen Vereins US Reggio Calcio ASD, wo er bis 2008 sämtliche U-Mannschaften durchlief. Über die AC Reggiana, bei der er vier Jahre unter Vertrag stand, ging es 2012, im zarten Alter von 14 Jahren, schließlich für eine Ablösesumme von 2,1 Euro zur AC Milan.

    Die Rossoneri waren dabei nicht einzigen, die sich intensiv um die Dienste des Marokkaners bemühten. Topklubs aus Italien, Spanien und England wollten ihn ebenso unter Vertrag nehmen wie das für seine überragende Talentschmiede bekannte Ajax Amsterdam. Die Wahl fiel letztlich, auch aufgrund der relativen Nähe zu seinem Heimatort, auf Mailand – eine Entscheidung, welche Mastour später bereuen sollte.

    "Sagen wir es so: Das mediale Aufsehen bei meinem Wechsel zu Milan sorgte dafür, dass Vereine und Berater in mir mehr eine Chance sahen, Profit zu machen, als eine sportliche Chance, mit der man Geduld haben muss", haderte er 2019 in einem Interview mit Tuttomercatoweb. "Die riesigen Erwartungen haben meine Zeit auf dem Platz gemindert – das, was mich am meisten interessiert hat." Mit "etwas mehr Weitsicht" und dem Wissen von heute hätte er sich wohl eher für Ajax entschieden.

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    Mastour drehte mit Neymar und kickte mit Kaka und Robinho

    Dabei lief zunächst vieles nach Plan. Bei seinem Debüt gegen Albinoleffe schnürte Mastour direkt einen Doppelpack - darunter ein sehenswerter Lupfer. Da seine Leistungen auch in der Folge stimmten, dauerte es nicht einmal zwei Jahre, bis sich die Klubchefs meldeten und ihn mit einem Profivertrag ausstatteten. Plötzlich saßen Großkaliber wie Kaka, Robinho, Mario Balotelli und Michael Essien nebenan in der Kabine – und das alles mit gerade einmal 16 Jahren.

    "Kaka hat mich umarmt, wie man einen jüngeren Bruder umarmt. Er hat mir geholfen, mich in die Gruppe einzufügen. Mit Robinho habe ich auf dem Spielfeld die gleiche Sprache gesprochen. Er hat mir immer Ratschläge gegeben, mir gesagt, ich solle den Ball in einem bestimmten Bereich führen und in einem anderen den Gegner anvisieren. Er hat mich so oft angefeuert. Von Balotelli weiß ich noch, wie er im Training zu mir sagte: 'Ich möchte, dass du heute mit null Fehlern rausgehst. Ich werde sie zählen'", erinnerte er sich zurück.

    Es war auch diese Zeit, als die ersten großen Firmen bei Mastour vorstellig wurden. Nachdem ihn der britische Guardian 2012 in die Liste der 50 besten Talente des Jahrgangs 1998 aufgenommen hatte, luden ihn Sportartikelgigant Nike und Brausehersteller Red Bull zu einer Freestyle-Challenge mit Brasiliens Superstar Neymar ein. Heute weist der Clip, in welchem er als "Voted Worlds Best Talent" vorgestellt wurde, mehr als zehn Millionen Views auf YouTube auf.

    Spätestens von da an war der Name Mastour dann auch dem breiteren Publikum im Fußball bekannt. Während sich die Kommentare unter dem Video in Teilen über die Karriere des Marokkaners lustig machen ("Das ist das größte Highlight in Mastours gesamter Karriere"), bereute er es selbst nicht, schon so früh ins Rampenlicht gestiegen zu sein. "Ich habe mein Idol getroffen, das war ein schöner Moment", erklärte er.

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    Mastour: Von Milan über die Niederlande nach Griechenland

    Doch die Schattenseiten des frühen Ruhms sollten vor ihm nicht Halt machen. Als der Druck aus der Öffentlichkeit immer größer wurde und die Leistungen im Milan-Trikot gleichzeitig ausblieben, erhielt der bis dahin steile Aufstieg die ersten Dämpfer. Bei Milan hatte man plötzlich keinen Platz mehr für ihn im Kader, es folgte eine Leihe zum FC Malaga, wo es für seine Situation jedoch nur wenig Besserung geben sollte. Gerade einmal fünf Minuten stand er während seines einjährigen Aufenthalts bei den Südspaniern auf dem Rasen, zumeist fristete er ein Dasein auf der Ersatzbank.

    2016/17 gab es dann das nächste Leihgeschäft, dieses Mal ging es zu PEC Zwolle in die Niederlande. Dort erhoffte sich Mastour aufgrund des geringeren öffentlichen Interesses fernab von Fernsehkameras und Fans in die Spur zurück zu finden, immer klarer wurden allerdings seine Defizite im Spiel ohne Ball. Während er mit der Kugel am Fuß reihenweise Gegner austanzen konnte, fehlte es im körperlichen Bereich an allen Ecken und Enden.

    Und das sollte noch nicht den Tiefpunkt markieren. Nachdem Milan die Geduld verlor und ihn 2018 ablösefrei zu PAS Lamia ziehen ließ, begann eine regelrechte Odyssee. Innerhalb von sechs Jahren tourte er von Griechenland über Italien bis in die Heimat seiner Eltern Marokko. Nirgends blieb er länger als ein Jahr, zwischenzeitlich war er sogar vereinslos. Bis zuletzt stand er bei einem Klub namens Union Touarga Sportif in Marokkos erster Liga unter Vertrag, doch auch hier dauert es nicht lange, bis sein sportlicher Wert das Gehalt nicht mehr rechtfertigte. Anfang Januar setzte man ihn erneut vor die Tür.

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    Mastour: "Alles, was ich durchgemacht habe, hat mir gut getan"

    Mittlerweile ist Mastour 27 Jahre alt, das Prädikat "Talent" hat er längst verloren. Dennoch will er sich mit seinem Schicksal als gescheiterter Jungstar, dem der Erfolg ein wenig zu früh zu Kopf stieg, noch nicht abfinden. Er sei heute ein "reiferer Junge, der das, was er in der Vergangenheit gelernt hat, in der Gegenwart anwendet." Von seinem 16-jährigen Ich sei lediglich der Wunsch übrig geblieben, "beim Fußballspielen glücklich zu sein. Es gibt nichts, was mich mehr erfüllt, als auf dem Platz zu stehen, den Ball zu berühren, Spaß mit meinen Mitspielern zu haben und zu gewinnen. Dafür wurde ich geboren."

    Zum 1. Juli unterschrieb er beim drittklassigen Klub Virtus Verona einen Vertrag – vielleicht seine letzte Chance, seine Karriere doch noch zum Guten zu wenden. "Das ist es, was ich suche. Ich hatte viele Anfragen in Italien, aber im Moment ist Virtus der richtige Ort für mich. Die Kategorien sind nicht so wichtig: Im heutigen Fußball geht es von einer Minute auf die andere nach oben und nach unten, so dass ich nie das Problem hatte, in welcher Liga ich spiele. Ich hatte mein Lächeln und die Freude am Fußballspielen verloren, jetzt muss ich nur noch auf den Platz gehen und ich selbst sein", meinte er nach seiner Unterschrift.

    Denn nach wie vor ist es sein größter Wunsch, auf die ganz große Fußballbühne zurückzukehren. Es den Leuten zu zeigen, dass mehr in ihm steckt als ein gescheitertes Talent: "Ich habe gelernt, dass es im Leben kein Glück ohne Leid gibt. Das eine ergänzt das andere und lässt es einen noch mehr schätzen. Alles, was ich durchgemacht habe, hat mir gut getan, und das zu Recht. Ich bin ein gläubiger Mensch und glaube, dass jede Schwierigkeit, die wir durchmachen, das, was danach kommt, leichter."

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